Von der Pflicht und dem Vergnügen zu kochen

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Puntarelle & Pomodori: Der Römer Luciano Valabrega porträtiert die römisch-jüdische Küche. Von Alexander Kluy   

Wagenbach, der italophile intellektuelle Verlag mit Autoren wie Malerba, Manganelli und Celati, präsentiert nun ein – Kochbuch? Muss das sein? Das muss sein. Denn Puntarelle & Pomodori des jüdischen Römers Luciano Valabrega ist ein etwas anderes Buch über die jüdisch-italienische Küche der Hauptstadt des Stiefelstaates. Es ist impressionistischer, herzwärmender, klüger (und auch koscherer). Und zudem ein Buch, dessen Rezepte sich trefflich zum Nachkochen eignen.

„Reguläre Portionen, gute Freunde, ein kühler Weißwein und was man sonst noch braucht, um einen schönen, heiteren Sommerabend mit oder ohne Terrasse zu genießen.“

Luciano Valabrega:  Puntarelle & Pomodori.  Die römisch-jüdische Küche meiner Familie. Aus dem  Italienischen von Marianne Schneider. Wagenbach Verlag 2015, 144 S.  inkl. zahlreichen Abb., € 16,40 (A)/15,90 (D)
Luciano Valabrega:
Puntarelle & Pomodori.
Die römisch-jüdische Küche meiner Familie.Wagenbach Verlag 2015, 144 S.
€ 16,40 (A)/15,90 (D)

Der gebürtige Römer, Kunsthandwerker, Maler und Koch – sein Vater betrieb in der Via del Corso ein Atelier für Federn und Kunstblumen – hat einen ganz anderen Ansatz, eine ansprechendere, viel wärmere Methode als stylishe Schnellköche, die Advokaten des Veganen oder die Adepten einer „alten“ Küche mitsamt fast ausgestorbener Vieh- und Obstsorten. Da gibt es cholesterinsattes Omelett, da wird nur gutes Öl benutzt und eher Unbekanntes aufgetischt: i grandi supplì di nonna Fiorina (Oma Fiorinas große Reiskroketten), Pagliati (römisch: Pajata, Kalbsdarm) oder Concia (frittierte Zucchini mit Essig). „Wenn die erste Frühlingswärme aus den rauen Pflanzen die glänzenden Artischocken hervorwachsen lässt, die wir ‚cimaroli romaneschi’ nennen (das sind die größeren runden Artischocken) – ungefähr in der Zeit von Pessach oder des katholischen Osterfests –, entfesselt sich eine Raserei in der ganzen jüdischen Gemeinde, bei den Freunden, den Bekannten, die alle ein ganzes Jahr banger Erwartung hinter sich haben. Die Liste ist lang und die Anfragen sind dringlich. Wer nicht zur Teilnahme am Ritus gebeten wird, der wird einen dann möglicherweise nicht mehr grüßen und den Wert der Freundschaft in Frage stellen.“

Naheliegender wie kluger Weise hat er die vielen Gerichte menüorthodox angeordnet: Vorspeisen, Hauptgerichte, als Finale die Süßspeisen, darunter Pizzarelle dell’azzime oder Dörrfeigen mit Ricotta, auch Flüssiges wie liquore di cedrina, Zitronenkrautlikör. Doch die Auflistung von Rezepten verquickt Valabrega mit leichter Hand mit Rückblenden und familiären Szenen.

Er, Jahrgang 1942, erinnert sich des Roms der späten Vierziger- und der Fünfzigerjahre, einer Stadt, in der noch immer Armut herrschte, die Not der Kriegsjahre keineswegs verblasst oder durch Konsum, noch nicht vorhanden, übertüncht war. Fertigprodukte gab es damals keine, supermercati waren Zukunftsmusik, Ketchup ein unbekanntes Ding. Alles wurde von Hand gemacht, etwa die Mayonnaise, die jedes Mal unterschiedlich ausfiel. „Noch etwas, das ich in meinen Erinnerungen entdeckt habe und das mich angenehm berührt hat, war das Bewusstsein, dass auch ‚einkaufen gehen’, ‚auf den Markt gehen’, ‚mit den Verkäufern reden und streiten’ seinen Rhythmus und den besonderen Wert einer menschlichen und sozialen Beziehung hatte.“

Tempi passati

Kaum eine Wohnung, auch nicht die der Valabregas, verfügte über einen eigenen Backofen. So brachte man am Sonntagvormittag der nächstgelegenen Bäckerei, bei der Familie Valabrega war es jene der F.lli Ansuini Via del Corso Ecke Via San Giacomo, sein Sonntagsmittagessen, Huhn mit Kartoffeln oder Milchlamm oder mit Reis gefüllte Tomaten oder Lasagne oder Kuchen. Dort wurden die Speisen auf einem langen Tisch aufgereiht und nacheinander vom Bäcker auf einem Blech in den noch vom Brotbacken warmen Ofen geschoben und voll erhitzt. Danach, eine ehrenvolle Aufgabe für den jungen Luciano, nach Hause getragen. Es ging alles gegen Vertrauen. Keine Speise wurde namentlich registriert, Quittung gab es ebenfalls keine.

Auf anderes vergisst er nicht: auf seine Familie. Und dem, was ihr in den 1940er-Jahren widerfuhr. Verfolgung, Deportation, Tod. So sieht man auf Seite 20 den eleganten Großvater Emanuele, die Bildunterschrift informiert lakonisch: „Deportiert am 16. Oktober 1943, umgekommen in einem versiegelten Waggon auf dem Weg in ein Konzentrationslager.“

Auch an längst verschwundene Kinos erinnert sich Luciano Valabrega. Damals ging man ungeachtet der Beginnzeiten in eine Filmvorführung. So lief der Streifen mitunter schon etwas und man musste sich zusammenbuchstabieren, worum es auf der Leinwand ging. Wobei man oft buchstäblich nicht allzu klar sah: Denn es wurde intensiv geraucht, die Luft war zum Schneiden dick, und geknabbert wurde nicht Popcorn, sondern man griff auf Sonnenblumenkerne, Erdnüsse, Johannisbrot zurück – ein Genuss.

Bei einem anderen Genuss, den heute zum Alltagsgericht gewordenen Spaghetti, wird deutlich, was für essenzielle Freundschafts- und Lebensbereicherungen Essen und Kochen sein können: „Die Spaghetti kocht man unterschiedlich lang. Man gießt sie ab und mischt sie mit dem dicken, mit Öl eingekochten Sugo, gibt ein wenig Petersilie dazu und rührt alles gut um, bringt sie auf den Tisch und isst sie warm. Oder man lässt sie unter einer Kuppel aus Haarsieb erkalten und serviert sie am Abend, noch einmal mit dem Sugo gewürzt, und isst sie wie die warmen: reguläre Portionen, gute Freunde, ein kühler Weißwein und was man sonst noch braucht, um einen schönen, heiteren Sommerabend mit oder ohne Terrasse zu genießen.“ Und in Griff- und Lesenähe unbedingt dieses herz-, bauch- und seelenwärmende Büchlein.

Kuriosum am Rande: Dieses Genussbuch eines Italieners ist bisher nur auf Deutsch erschienen. Was der Wagenbach Verlag aus dem halb protestantischen, halb atheistischen Berlin hier als Band 214 der in rotes Leinen, also haltbar gebundenen handlichen Salto-Reihe präsentiert, ist die Welterstausgabe. Il mondo è pazzo! Darauf einen Liquore di cedrina. ◗

Bilder: © Wagenbach Verlag

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