„Wagners Musik lernte ich erst in Berlin kennen“

Im deutschen Fach fühlt sich die Israelin Noa Beinart mit ihrer stimmlichen Bandbreite zwischen Contralto und Mezzosopran gut aufgehoben. Ebenso als junges Mitglied des Wiener Staatsopernensembles.

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NOA BEINART wurde in Tel Aviv geboren. Sie absolvierte ihr Gesangsstudium an der Hochschule für Musik Hanns Eisler Berlin und verkörperte dort diverse Partien in hauseigenen Produktionen. Nach Meisterkursen, unter anderen bei Brigitte Fassbaender und Christine Schäfer, gewann sie 2017 den Trude-Eipperle-Rieger-Preis. Als Konzertsängerin sang sie auch in der Frankfurter Paulskirche Bach-Kantaten. Ab der Spielzeit 2018/2019 war sie Mitglied des Opernstudios der Bayerischen Staatsoper und sang unter anderem „Stimme der Mutter“ in Les Contes de Hoffmann und „Annina“ in La Traviata. 2020 wurde sie an die Wiener Staatsoper verpflichtet und debütierte dort in zwei Werken von Richard Strauss. © julian-baumann/salzburgerfestspiele.at

WINA: Sie waren Mitglied des Opernstudios der Bayerischen Staatsoper in München und sind seit der Spielzeit 2020/2021 Ensemblemitglied an der Wiener Staatsoper. Wie kam es zu diesem Wechsel?
Noa Beinart: Es ist ganz normal, dass man sich umhört und umschaut, wo es Angebote für das eigene Stimmfach gibt. Ich hatte Glück und habe in München erfahren, dass es in Wien eine Chance zum Vorsingen gibt. Ich habe dann bei Direktor Bogdan Roščić und Musikdirektor Philipp Jordan vorgesungen, und das hat wunderbar geklappt.

Damit rutschten Sie direkt in die längste Lockdown-Phase?
I Glücklicherweise hatte ich gleich eine schöne Aufgabe mit einem kleinen Debüt in Elektra. Anschließend konnten wir nicht vor Publikum singen. Aber wir durften proben. Da ich im Januar 2021 für die „Suzuki“ in Madame Butterfly vorgesehen war, konnte ich an den Vorproben teilnehmen. Im September hegten wir ja alle noch die Hoffnung, dass wir eine normale Saison haben werden. Natürlich war es eine große Enttäuschung, als ich dann nicht singen konnte. Als Trostpflaster sang ich dann die „Annina“ im Rosenkavalier für eine Fernsehaufzeichnung.

Was macht man stattdessen als Sängerin?
I Ich war erst im August hierher umgezogen, trotzdem war ich in einer glücklicheren Lage als sehr, sehr viele Sängerinnen und Künstler in dieser Zeit. Im Vergleich zu meinen Freelance-Kollegen war ich abgesichert. Wir haben weitergeprobt, ich konnte üben und mich weiterentwickeln. Selbstverständlich ist es für eine Sängerin nicht schön, zu Hause zu sitzen, aber man darf sich nicht beschweren, denn alle hatten es schwer.

Sie wurden in Tel Aviv geboren, haben die renommierte Thelma Yellin High School of the Arts absolviert. Wann kam die Entscheidung, Sängerin zu werden?
I Mit acht Jahren habe ich schon im Kinderchor gesungen, und ich hatte Glück: Als ich fünfzehn war, hatte ich eine Gesanglehrerin, die zu hundert Prozent an mich geglaubt hat. Sie war überzeugt davon, dass ich eine professionelle Karriere machen könnte. Aber zuerst war der Weg in Israel klar vorgegeben: Mit 18 Jahren geht man in die Armee und wird einer Einheit zugeteilt, in der das musikalische und künstlerische Studium ermöglicht wird. Jährlich werden da nur 100 Talente aufgenommen, und das gilt nur für Tänzer, Musiker und Sportler. Meine tiefe Stimme ist ziemlich schnell aufgefallen!

Sind Sie familiär musikalisch vorbelastet?
I Nein, überhaupt nicht. Niemand in der Familie ist Musiker, mein Vater ist Psychologe, meine Mutter arbeitet als Ärztin. Mein Vater hat zwar immer versucht, etwas für mich zu singen, aber er konnte es überhaupt nicht (lacht). Später erzählte er mir, ich hätte ihn schon als Kind korrigiert und gesagt, „Nein Papa, das geht nicht so, sondern so!“, und es dann richtig gesungen.

 

„[Wagners] Musik ist unglaublich spannend,
und was er für die Oper insgesamt geleistet hat,
ist großartig. Es ist keine Frage,
was für ein schrecklicher Mensch er war.“

 

Ihr Familiennamen Beinart klingt deutsch?
I Es stammt aber niemand aus Deutschland, der Name stammt aus Russland, wie die Vorfahren meines Vaters. Mein Großvater ist dort geboren, aber in Riga aufgewachsen, und er ging bereits mit 17 Jahren als Zionist nach – damals – Palästina. Die Großmutter wanderte erst 1945 aus Rumänien ein, und der Rest der Familie stammt aus Polen und der Ukraine.

Sie wagten dann den Sprung zum Studium nach Berlin. Warum Deutschland?
I Es geschah auf Drängen dieser Lehrerin, die mich gefördert hat. Sie meinte, für eine Sängerinnenkarriere wäre es besser, gleich im Ausland zu studieren. „In Israel ist es schön, aber nicht genug“, sagte sie zu mir. Ich sollte vor allem in deutschsprachige Länder gehen, wo die Welt der Oper am meisten geschätzt und gespielt wird. Ich habe mich dann für Berlin und für die Hochschule für Musik Hanns Eisler entschieden. Dort habe ich wunderbare Lehrerinnen gehabt, wie Anneliese Fried, Christine Schäfer und Brigitte Fassbaender. In sechs Jahren habe ich dann dort meinen Bachelor und den Master gemacht.

Noa Beinart mit WINA-Autorin Marta S. Halpert in der Wiener Staatsoper. © Reinhard Engel

Sie haben eine bewundernswerte gesangliche Bandbreite zwischen Contralto (Altistin) und Mezzosopran. In Wien haben Sie bereits für zwei Partien sehr positive Kritiken eingeheimst: Als „Mary“ in Richard Wagners Fliegendem Holländer und als „Auntie“ in Benjamin Brittens Peter Grimes. Was proben Sie jetzt?
I Im Mai 2022 kommt mein Debüt als „Erda“*, eine Rolle, von der ich seit Jahren träume. Es klingt wie ein Klischee, aber es ist kaum zu fassen, dass ich mit dieser Partie an der Wiener Staatsoper debütieren werde. Natürlich finden jetzt die Musikproben statt und noch nicht die szenischen.

 

„Ich sollte vor allem in deutschsprachige Länder gehen,
wo die Welt der Oper
am meisten geschätzt und gespielt wird.“

 

Regisseur Barrie Kosky inszenierte unter anderem eine Wagner-Oper in Bayreuth. Im WINA-Interview beschrieb er uns die Probleme, die er als jüdischer Mensch mit diesem Komponisten hat. Wie geht es Ihnen damit?
I Wenn man in Israel aufwächst, hört man niemals Wagner, weder im Radio noch sonst wo. Erst als ich nach Deutschland kam und mich laufend mit der Musikgeschichte beschäftigte, habe ich seine Musik gehört. Als erstes Parsifal an der Deutschen Oper in Berlin – und ich fand das großartig. Man kann diesen Teil der Musikgeschichte nicht ignorieren: Richard Wagner hat jeden Komponisten, der nach ihm gekommen ist, beeinflusst. Seine Musik ist unglaublich spannend, und was er für die Oper insgesamt geleistet hat, ist großartig. Es ist keine Frage, was für ein Mensch er war, man muss ja nur lesen, was er selbst geschrieben hat. Für mich war aber schon sehr früh klar, dass ich deutsches Fach singen werde, ich habe das Gefühl, dass ich dahin gehöre und es viele spannende Rollen für mich gibt.

Sie meinen mehr Kopf- als Herzmusik?
I Genau, das ist Wagner für mich, ich höre seine Musik bestimmt nicht, um zu weinen. Um das zu tun, geht man in eine Puccini-Oper.

Das Mystische liegt Ihnen auch?
I Ich finde es total spannend, meinen Nibelungenring zu machen: Ich singe neben der „Erda“ noch eine Norn in Götterdämmerung und eine Walküre in der Walküre. Als Sängerin spürt man das Genie dieses Mannes.

Ihr Debüt bei den Salzburger Festspielen feierten Sie 2021 als „Zweite Magd“ in Elektra; in diesem Jahr singen Sie die „Dritte Dame“ in der Zauberflöte, eine Neueinstudierung der Produktion aus dem Jahr 2018.
I Ja. Das bedeutet, dass die Inszenierung der Amerikanerin Lydia Steier wieder gezeigt wird, aber die Künstler und Künstlerinnen sind Großteils neu besetzt. Wir bekommen glücklicherweise eine Probenzeit wie bei einer Neuproduktion: Inklusive acht Vorstellungen bin ich von Ende Juni bis zur letzten Vorstellung am 27. August in Salzburg.

Was sind Ihre Traumrollen abseits von Wagner? Als „Carmen“ könnte ich Sie mir auch gut vorstellen.
I Natürlich bin ich sehr interessiert an anderen Facetten meiner Stimme. Ich würde mich riesig freuen, mehr Alte Musik zu singen. Ich fühle mich auch in Koloraturpartien sehr wohl, ich weiß, dass klingt komisch in meinem Stimmfach, aber tatsächlich gibt es so etwas zum Beispiel bei Georg Friedrich Händel. Ich liebe seine Musik, fühle mich darin wohl, eine Traumrolle wäre die Hauptrolle in Giulio Cesare. Wunderbar wäre es, die schönen Hosenrollen, die Gioachino Rossini für Contralto geschrieben hat, zu singen, wie zum Beispiel „Arsace“, den General in Semiramide, oder den „Serano“ in La donna del lago.

Ich bleibe bei meiner „Carmen“-Frage?
I Die „Carmen“ vielleicht später.

Ist die Partie zu hoch?
I Kann sein, aber ich bin für dieses Fach zu jung. Ich würde in diese Partien gerne hineinwachsen, muss aber abwarten, wie sich das entwickelt. Ich finde es total spannend, Männerrollen zu singen: Ich könnte mir auch den „Don Giovanni“ von einer Frau gesungen vorstellen. Das Gefühl, die „Noa“ zu Hause zu lassen und etwas komplett anderes zu sein, finde ich irgendwie befreiend.

 

* Erda ist in Richard Wagners Tetralogie Der Ring des Nibelungen der Name einer Erdgöttin. Sie tritt in zwei Teilen der Tetralogie auf, in Das Rheingold und im Siegfried.

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