Was für eine Zäsur

Der Antisemitismus hat im Gefolge des Pogroms der Hamas in Israel am 7. Oktober 2023 mit all seinen unterschiedlichen und teils auch mehr als verquer anmutenden Fratzen seine Klauen weltumspannend ausgebreitet. Warum ich hier Bilder verwende, die auch benutzt werden, um Juden, Jüdinnen, „das Judentum“ zu beschreiben? Vielleicht wird das ein wenig der Absurdität dessen, was da gerade passiert, gerecht. Das Absurde schlägt sich freilich in unser aller – also im Alltag von Juden und Jüdinnen – nieder und ist dann gar nicht mehr absurd, sondern bedrohlich, verstörend und, ja, auch traumatisierend.

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Nein, ich habe keine Verwandten in Israel. Und dennoch ist alles anders auch für mich und meine Familie seit dem 7. Oktober 2023. Wenn ich die Geschehnisse Revue passieren lasse: Da war zunächst das blanke Entsetzen, als da ein Stückchen Information nach dem anderen über die unfassbaren Gräueltaten der Hamas-Schlächter in den Kibbuzim und beim Nova Festival bekannt wurden. Das führte zu einer Art Schockzustand: jeden Schnipsel Information lesen und gleichzeitig nicht mehr einschlafen können und unter Albträumen leiden.

Die Brutalität des Alltags schlug allerdings schon in der Woche ab Montag, dem 9. Oktober zu: Anfeindungen, Beleidigungen bis hin zu Morddrohungen gegenüber meiner Tochter, einerseits in der Schule, andererseits scheinbar anonym, vorzugsweise mit den Messenger-Tools von Social-Media-Accounts ohne Klarnamen verschickt. Es folgte eine Anzeige bei der Polizei, die schließlich im Sand verlief, die Betreffenden konnten nicht ausgeforscht werden. Doch der sehr nette Polizist meinte: Seiner Erfahrung nach komme so etwas wohl aus dem schulischen Umfeld. Das erzeugt nicht gerade ein sicheres Gefühl.

Genau darin liegt aber auch die Zäsur.
Im Erkennen, dass so etwas immer
wieder möglich ist – und sich die Welt
teilweise wenig empathisch zeigt.

Und auch der Umgang der Schule mit der Situation machte uns wenig froh. Da war einerseits ganz viel Bemühen, ganz viel Verständnis von der Leitung und einigen Lehrpersonen; da waren aber auch ein Sich-nicht-zuständig-Fühlen, das Suggerieren, man sei auch ein bisschen selbst schuld an der Situation. Und ein Lehrer, der ganz im Sinn des postkolonialen Diskurses, der Israel als Unterdrücker und die Hamas als Freiheitskämpfer sieht, noch Öl ins Feuer goss. Mehr als ernüchternd fiel auch der Umgang mit dem Thema in einer linken politischen Jugendorganisation aus, in der sich meine Tochter seit einem Jahr engagiert hatte. Das führte zu einem Cut. Ich hätte meinem sehr engagierten Kind diese Erfahrung gerne erspart. Aber.

Speaking of: Der Umgang von großen Teilen der Linken hinterließ mich ratlos. Traurig. Da gab es einen Punkt im Winter, an dem mir auffiel, dass ich mich wirklich verstanden nur mehr im Gespräch mit meinen jüdischen Freundinnen und Freunden fühlte. Da machte sich dieses Gefühl der kollektiven Einsamkeit breit. Ich will aber nicht unfair sein, denn es gibt auch ganz liebe nichtjüdische Freundinnen, die sehr unterstützend waren und sind. Inzwischen ist das insgesamt wieder ein bisschen besser geworden, was doch Anlass zu ein wenig Hoffnung gibt.

Die Einschlafprobleme sind nach ein paar Monaten wieder verschwunden, die Albträume ebenso. Das Sich-Fragen, wie es jenen Geiseln geht, die immer noch in Gaza sind, ist geblieben. Über die Berichterstattung in israelischen und jüdischen Medien und über SocialMedia-Initiativen, allen voran die #bringthemhomeSeiten, sind einem die Ermordeten, die inzwischen befreiten Geiseln – remember Emily! –, die immer noch Verschleppten ans Herz gewachsen. Hier liegt auch ein großer Gap in der Berichterstattung hier zu Lande: Sie ist viel distanter.

Und nicht nur das: Bei manchem Bericht fragt man sich, wer hier als Opfer und wer als Täter gesehen wird. Denn ja: Jeder unschuldige Mensch in Gaza, der in diesem Krieg stirbt, ist zu beklagen. Aber diese massive Gewalt begann am 7. Oktober vor einem Jahr mit dem Abschlachten von Jüdinnen und Juden durch die Hamas, nur weil sie Juden und Jüdinnen sind. Das, so dachte ich, hatten wir – in so einer Dimension – nach der Shoah überwunden. Es war ein Irrglaube. Eine Hoffnung, die sich nicht erfüllt hat. Genau darin liegt aber auch die Zäsur: im Erkennen, dass so etwas immer wieder möglich ist – und sich die Welt teilweise wenig empathisch zeigt.

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