Wenn Chuck wieder Chaim ist

Chuck Lorre, der bis heute mit seinen TV-Serien wie Two and a half men oder Mike & Molly weltweit präsent ist, hat nun mit The Kominsky Method eine Serie für Netflix vorgelegt, die sich von allem abhebt, was er bisher geschrieben und produziert hat. The Kominsky Method ist zudem das Jüdischste, das er je für den Bildschirm kreiert hat.

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Chuck Lorre mit Michael Douglas (Sandy Kominsky) auf Presse-tour letzten Sommer.

Schon in The Big Bang Theory ist ziemlich viel jüdischer Spirit zu spüren. Einer der vier Nerds, die diese Serie tragen, ist Howard Wolowitz, dessen Mutter nie im Bild zu sehen ist, die aber mit ihrer wortgewaltigen Stimme den Sohn im ganzen Haus verfolgt. Sie bringt ihrem Sohn kreplach ans Bett und bezeichnet ihn schon auch einmal als putz oder schmock. Wolowitz verkörpert das Stereotyp eines assimilierten Juden: unsportlich, ein Mama-Söhnchen, blass, sich stets selbst verspottend, bevor es jemand anders tut.
Chuck Lorre, der 1952 als Charles Michael Levine auf Long Island, New York, zur Welt kam, verriet 2009 in einem Interview, dass die Figur des Howard auf seinen persönlichen Erlebnissen und Erfahrungen als junger Mann basiert. Ist so auch zu erklären, warum er sich einen nicht jüdisch klingenden Künstlernamen verpasste?
Mit seinen „Vanity Cards“, in vielen Serienepisoden im Abspann zu sehen, schickt Lorre regelmäßig Botschaften an seine Zuseher. 2011 textete er anlässlich eines Israel-Besuches: „For the first time in my life, I’m surrounded with DANN much like my own. Until I got here […] I didn’t realize how much my double helix yearned to be around similar strands.“ Und er sinnierte in einer weiteren Botschaft: „Why did I spend a lifetime moving away from that group? How did Chaim become Chuck? How did Levine become Lorre?“
In The Kominsky Method ist jedoch durch und durch Chaim zu spüren. In dieser Serie gibt es keinen raschen Schenkelklopfer-Humor. Hier reihen sich viele Szenen aneinander, die ganz im Gegenteil gar nicht zum Lachen einladen. Sondern zum Sinnieren. Die einen in eine fast schon traurige, nachdenkliche Stimmung versetzen. The Kominsky Method ist die bisher tiefgründigste Arbeit von Chuck Lorre. Und sie ist so durch und durch jüdisch, kommt aber gleichzeitig ganz ohne Stereotype und vordergründige Accessoires aus.
Nur in zwei Szenen ist die Serie auch vom Setting her jüdisch verortet: Einmal ist eine Synagoge zu sehen, einmal wird Schiwe gesessen. Es geht in The Kominsky Method nicht um Religion. Hier steuern zwei Juden – Sandy Kominsky, ein Schauspieler und nunmehriger Schauspiellehrer (Michael Douglas), und Norman Newlander (Alan Arkin), sein erfolgreicher Agent – auf das Ende ihres Lebens zu. Während sich Norman nicht zuletzt auf Grund des Todes seiner Frau Eileen (Susan Sullivan), der den Beginn der Serie prägt, dessen durchaus bewusst ist, versucht Sandy das Rad der Zeit ein wenig zurückzudrehen.
Ob Lorre mit den Problemen alternder Hollywood-Protagonisten, die er hier porträtiert, vertraut ist? Kann sein. Wünschen würde man ihm die Prostataprobleme Sandys oder Normans Kampf mit seiner drogensüchtigen Tochter, die selbst bei der Trauerfeier für die eben verstorbene Mutter nicht davor zurückschreckt, diese vor großem Publikum durch den Dreck zu ziehen, nicht. Die Fragen, welche die beiden langjährigen Freunde, die auch durchaus immer wieder so manches Streitgespräch entzweit, aufwerfen, mögen ihm aber schon einmal durch den Kopf gegangen sein. Lorre sinniert hier im Grunde weniger über den Tod als über das Leben. Wo lagen die Fehler, was ist gelungen?
In The Kominsky Method muss man sich langsam hineinfinden – vielleicht, weil sich diese Serie so stark von dem abhebt, was man sonst von Chuck Lorre kennt. Doch nach einigen Folgen freut man sich schon auf die nächsten Zwiegespräche, den nächsten Winkelzug Sandys, den nächsten trocken formulierten verbalen Tiefschlag Normans. Im herkömmlichen TV-Vorabend würde diese Serie vielleicht nicht funktionieren. Streamingdienste müssen aber nicht immer den Massengeschmack treffen. Und liefern so in manchen Fällen Serienproduktionen, die an filmische Kunstwerke anschließen.

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