WENN FRAUEN ERZÄHLEN

Das Frauenmuseum Hittisau zeigt aktuell die Ausstellung Zwischen den Welten der Wiener Fotografin Nurith Wagner-Strauss. In berührenden Porträts fängt sie dabei die Gesichter von zwischen 1915 und 1935 geborenen Frauen ein, unter ihnen auch einige Jüdinnen. Hörstationen laden zudem ein, sich Kindheits- und Jugenderinnerungen der Porträtierten anzuhören.

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Maria Dorothea Simon in einer Installation von Nurith Wagner-Strauss | © Nurith Wagner-Strauss

 ZWISCHEN DEN WELTEN 
Die Ausstellung ist noch bis 18. Juni 2023 zu sehen
frauenmuseum.at/zwischen-den-welten
 Sie sind zwischen 1915 und 1935 geboren und möchten von Nurith Wagner-Strauss porträtiert werden? 
nurithwagnerstrauss.com

Was Nurith Wagner-Strauss an den Gesichtern hochbetagter Menschen und dabei Frauen im Speziellen fasziniert? „Es ist da auf der einen Seite diese Fülle von gelebtem Leben, die zu sehen ist. Andererseits haben diese Gesichter für mich auch so etwas Weiches und Verletzliches, was mich so besonders berührt.“

Vor mehr als 20 Jahren lud sie eine befreundete Ärztin, die auf einer geriatrischen Station arbeitete, ein, Fotos von Patientinnen zu machen, die dazu zustimmten. „Ich war dann immer wieder dort und habe fotografiert, dann aber wieder andere Projekte verfolgt.“ Das Thema habe sie aber nicht mehr losgelassen, „weil mich diese alten Gesichter, in denen sich das Leben in jeder Falte eingeschrieben hat, so gefangen genommen haben“. Spannend habe sie auch die Gespräche mit den Frauen während dieser Termine im Krankenhaus gefunden.

Fotografin und Biografin Nurith Wagner-Strauss vor einer ihrer Fotografien. ©Claudia Prieler

Und so reifte eine neue Projektidee in ihr, die sie schließlich ab 2017 umzusetzen begann. „Ich fotografiere die Frauen nun nicht nur, sondern ich nehme auch ein Tondokument auf, in dem sie über ihre Kindheit und Jugend erzählen.“ Entstanden ist damit über die Jahre eine Zusammenschau von Erinnerungen, die aus einer gänzlich anderen Zeit erzählen. „So kann man ein bisschen von der Geschichte zwischen den beiden Weltkriegen festhalten“, sagt Wagner-Strauss. Die männliche Perspektive sei ja immer präsent. „Aber hier gibt es nun so etwas wie eine Biografie der Zwischenkriegszeit aus Frauenperspektive.“

Der Titel Zwischen den Welten fängt perfekt ein, was den Ausstellungsbesucher, die Ausstellungsbesucherin in der Schau erwartet. Die Fotoporträts, alle in SchwarzWeiß gehalten, ließ die Fotografin einerseits auf Papier, andererseits auf Glas drucken. Damit entsteht der Eindruck sich zunehmend verflüchtigender Aufnahmen. Das sei als „Metapher für das unaufhaltsam näher rückende Entfernen der Seele aus dem Körper zu lesen“, wird dazu auf der Internetseite des Frauenmuseums Hittisau festgehalten.

Manche der Frauen, die die Künstlerin in ganz Österreich in ihrem jeweiligen persönlichen Umfeld porträtiert und interviewt hat, sind gesundheitlich schon schwer angeschlagen, darunter auch an Demenz Erkrankte. Andere dagegen stehen noch mit beiden Beinen fest im Leben – das hört man dann auch in den Tonaufnahmen, wenn zum Beispiel die Psychoanalytikerin Erika Freeman oder die Ärztin Helga Feldner-Busztin aus ihrer Kindheit und Jugend erzählen.

 

  „All diese Frauen waren eigentlich nicht verbittert,
obwohl sie
zum Teil Schreckliches erlebt haben.“  

 Nurith Wagner-Strauss 

 

Was Wagner-Strauss überrascht hat: Obwohl alle Frauen den Zweiten Weltkrieg erlebt haben und einige von Flucht und Vertreibung betroffen waren, „obwohl diese Frauen so viel ertragen, getragen, mitgetragen haben, erzählen die meisten von einer glücklichen Kindheit“. Ein zweites Motiv, das sich durch die Interviews ziehe und die Fotografin überrascht hat, sei Resilienz. „All diese Frauen waren eigentlich nicht verbittert, obwohl sie zum Teil Schreckliches erlebt haben. Das zeigt doch, dass der Mensch immer wieder wie der Phönix aus der Asche steigen kann.“

Greifbar wird das etwa, wenn Irene Bartz, sie ist die dritte der insgesamt vier porträtierten jüdischen Frauen, über die NS-Zeit erzählt. Sie befand sich zu Kriegsbeginn in Krakau und wurde zunächst mit ihrer Mutter und ihrer Schwester nach Lemberg evakuiert. Nach einem halben Jahr wurden sie allerdings in ein russisches Arbeitslager in Novosibirsk verbracht. Dort ist schließlich auch ihre Mutter verstorben. „Sie war nicht gesund“, erzählt Bartz, „sie war sehr zart.“

Schließlich sei die Mutter bereits im Spital versorgt worden, doch eines Tages in der Früh „hat man mich verständigt, sie ist in der Nacht gestorben. Das war der schrecklichste Moment meines Lebens.“ Das Lager habe sie schließlich nur verlassen können, indem sie einen Polen geheiratet habe. „So bin ich nach Polen gekommen. Ansonsten hätte ich noch eine ganze Weile in Russland bleiben müssen, um dann mit den Österreichern zurückzukommen.“ Und ergänzt: „Vielleicht wäre das besser gewesen. Ich glaube, wenn meine Mutti gelebt hätte, hätte ich nicht geheiratet.“

 Erika Freeman und Irene Bartz 
© Nurith Wagner-Strauss

Feldner-Busztin wiederum überlebte Theresienstadt, wohin sie mit ihrer Mutter und ihrer Schwester deportiert worden war. Sie erzählt von Hunger, von Krankheiten, von Ungeziefer, von schwerer Arbeit, die zu verrichten war. Aber eben auch, dass das ihr Großwerden, ihr Aufwachsen war. Und was für ein Glück sie hatte, schließlich nicht nach Auschwitz transportiert worden zu sein.

Die Sozialwissenschafterin Maria Dorothea Simon, die zu Beginn der NSZeit bereits eine junge Erwachsene war, konnte nach England flüchten. Im Gespräch mit Wagner-Strauss lässt sie ihre früheste Kindheitserinnerung wieder auferstehen, drei Jahre war sie damals alt (das war 1921 und damit also vor inzwischen mehr als 100 Jahren). Wenn sie mit ihrer Mutter einkaufen war, bekam sie immer von der Verkäuferin ein Zuckerl geschenkt. Also ging sie eines Tages allein in das Geschäft und bat um ein Zuckerl, doch da habe diese dann gefragt, ob sie Geld mithabe, und als sie verneinte, gab es auch keine Süßigkeit. Anschließend fand sie allerdings den Weg nach Hause nicht mehr und lief auf der Straße in die falsche Richtung. Es kam jedoch zu einem Happy End – ihre Mutter und Großmutter fanden sie schließlich.

  Maria Dorothea Simon und Helga Feldner-Busztin  
© Nurith Wagner-Strauss

Insgesamt hat Wagner-Strauss im Rahmen ihres Projekts bisher 35 Frauen porträtiert – 23 Lebensgeschichten wurden nun für die Schau im Frauenmuseum Hittisau ausgewählt. Die Fotografin sieht diese Arbeit allerdings als work in progress. Gerne möchte sie noch weitere Frauen aus dieser Generation interviewen und fotografieren. Besonders schön sei es auch, wenn sie dann von den Kindern und Enkeln höre, wie sich diese über die Porträts freuen. Denn, so erzählt auch Wagner-Strauss: Oft sei ein solches Projekt der Anstoß, damit auch innerhalb der Familie mehr nachgefragt werde.

 

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