„Wenn ich was mach, dann mit Haut und Haaren“

„Mirjam Unger ist ein Multitalent“, lobte Kulturstaatssekretärin Andrea Mayer die vielseitige Regisseurin, Filmerin und Drehbuchautorin, als sie diese kürzlich zur künstlerischen Leiterin für den Gastauftritt Österreichs bei der Leipziger Buchmesse 2022 bestellte. Den Spagat, der zwischen der Fernsehserie Vorstadtweiber, deren 6. Staffel sie gerade abgedreht und geschnitten hat, und dem literarischen Event einer Buchmesse liegt, findet Mirjam Unger „lustig“, denn sie ist, wie sie sagt, gern in verschiedenen Welten zu Hause. Eine davon ist das jüdische Erbe, das sie lange Zeit als schwer empfand, bis sie es mit der Arbeit am Film Vienna’s Lost Daughters beherzt aufnahm. Projekte mutig und unbefangen anzugehen, scheint überhaupt ein wesentlicher Charakterzug der erfolgreichen multimedialen Künstlerin zu sein.

1824
Mirjam Unger wurde 1970 in Klosterneuburg geboren. Nach ihrer Matura am Lycée français de Vienne verbrachte sie ein Jahr in Brasilien und ging danach zum ORF, wo sie als Radio- und Fernsehmoderatorin in verschiedenen Formaten tätig war, bevor sie an der Filmakademie bei Wolfgang Glück Regie studierte. Mit Vienna’s Lost Daughters und der Verfilmung von Christine Nöstlingers Maikäfer flieg! gelangen ihr prämierte Publikumserfolge. Mirjam Unger, die weiterhin als Dokumentarfilmerin, Journalistin und Drehbuchautorin verschiedentlich tätig ist, wurde von Kulturstaatssekretärin Andrea Mayer mit der künstlerischen Leitung für Österreichs Gastauftritt bei der Leipziger Buchmesse 2022 betraut. ©Starpix/picturedesk.com

WINA: Du hast nicht nur Filme, sondern auch schon große Events inszeniert, darunter zwei Festwochen-Eröffnungen und eine Filmpreis-Gala. Wie herausfordernd ist nun diese neue Aufgabe des Leipzig-Projekts für dich? Gibt es da vielleicht Berührungsängste mit der literarischen Szene?
Mirjam Unger: Überhaupt nicht, ich muss ja kein Buch schreiben. Ich will auch niemandem etwas wegnehmen. Ich hab einerseits den journalistischen Approach, d. h. ich bin interessiert, neugierig, führe Gespräche und sammle, und andererseits den filmischen Zugang. Wie man in all den audiovisuellen Medien mit Literatur präsent sein kann, wie man Bilder für die Literatur schaffen kann, damit befassen sich viele, und ich glaube, dafür hat man mich geholt. Ich kann eine Bühne und kann filmische Bilder inszenieren, und damit will ich auch dienen. Ich verstehe Leipzig als Bühne und unseren Auftritt als Festival.

Das ist also dein „Out of the box“-Blick, den die Kulturstaatssekretärin gemeint hat?
Ich war immer gern in verschiedenen Welten zu Hause. Ich hör gern die Charts und geh ins Burgtheater. Die Welt, in der ich lebe, ist vielfältig. Ich unterhalte mich gern mit Menschen, die nicht das Geschenk einer guten Ausbildung hatten, und gern mit einem doppelten Doktor, und beide haben eine Weisheit. Aber natürlich muss ich mich einarbeiten, und das ist auch das Schöne an dieser Aufgabe. Mein fachliches Team kommt zum Teil aus der Szene, aus Verlagen etc., und Valerie Besl unterstützt mich als Expertin.

Das Frauenthema
begleitet mich seit meinen
Anfängen.
Mirjam Unger

Welchen Stellenwert hat die Buchkultur im klassischen Sinn für dich, und welche Beziehung hast du zur Literatur?
Ich bin mit Literatur und Theater aufgewachsen, hab daher einen Bezug zur Literatur und kann mit Wort und Sprache viel anfangen. Ich hab auch ein sinnliches Verhältnis zu Büchern und denke, in Zeiten wie diesen findet wieder eine Aufwertung des Buches statt. Ich bin aber auch zeitungssüchtig und lese sie am liebsten gedruckt.
Das bringt uns zu deinem Background, der ja auch mit Journalismus zu tun hat.
I Ja, mein Großvater Dr. Immanuel Unger war ein bekannter Journalist. Er hat nach dem Krieg die von Theodor Herzl begründete Illustrierte Neue Welt herausgegeben. In Österreich war er Korrespondent für den Maariv und Israel-Korrespondent für eine österreichische Zeitung, wenn er in Israel gelebt hat. Ich war zwar sehr klein, als er gestorben ist, aber er war eine sehr starke Persönlichkeit, die mich auch geprägt hat. Mein Papa, Gavriel Unger, war Mathematiklehrer im Lycée français und passionierter Bridge-Spieler. Auch meine Mutter hat im Lycée gearbeitet, und meine zwei Schwestern und ich gingen dort zur Schule. Ich bin dann durch Zufall in der Jugendredaktion beim ORF-Radio Zick Zack gelandet, darauf beim Jugendfernsehen X Large und hab mit 23 begonnen, Regie an der Filmakademie in Wien zu studieren. Ich hab dann Kurzfilme gemacht und beim Radio gearbeitet. FM 4 wurde geboren und meine Tochter kam im selben Jahr zur Welt, sie ist jetzt 25, schließt gerade das Reinhardt Seminar ab und wird Schauspielerin, mein Sohn ist 18 und maturiert.

Dein jüdisches Outing als Filmerin hattest du erst 2007 mit Vienna’s Lost Daughters. Es geht darin um acht jüdische Frauen aus Wien, die über einen Kindertransport schließlich in New York gelandet sind. Wie ist es dazu gekommen?
Zwei Casterinnen aus der Barbara-Karlich-Show, Lisa Juen und Sonja Amman, sind über Umwege auf dieses Thema gestoßen und haben mich darauf angesprochen. Ich hab anfänglich gesagt, das mache ich sicher nicht! Das jüdische Erbe ist eh so schwer, jetzt auch noch für einen Film über zwei Jahre daran arbeiten. Aber als sie mir Interviews mit den Frauen zum Lesen gegeben haben, war ich so berührt und hab geweint und schließlich zugesagt, das Projekt mit ihnen zu entwickeln und zu schreiben. Wir waren dann in New York bei den Frauen, die vor der Kamera aufgeblüht sind. In ihren Wohnzimmern hab ich geglaubt, ich bin in Wien, und hab dazu noch Vanillekipferl bekommen. Das war eines der tollsten Projekte meines Lebens.

Es ist toll,  in Israel zu sein
und zu wissen,
ich bin Staatsbürgerin.

Mirjam Unger

Warum hast du dich so gegen dieses jüdische Erbe gewehrt? Was war für dich das Schwere?
Es betraf die Generation meiner Großmutter Sara. Sie hatte es zwar als 16-Jährige vor dem Krieg mit ihrer jüngeren Schwester mit der Jugend-Alija von Berlin nach Israel geschafft, aber sie konnte ihre Eltern und die jüngeren Geschwister nicht retten, die in Auschwitz umgekommen sind. Sie hat dann meinen Großvater kennengelernt und nach der Geburt meines Vaters offenbar ein Trauma wieder erlebt und eine Paranoia entwickelt. Sie hatte immer Angst, wenn jemand angeklopft hat, dass man sie holen kommt. Das war ein Tabu in der Familie. Auch deshalb hat mich die Geschichte dieser acht Frauen so berührt, sodass ich beschlossen hab, das Thema anzugehen. Ich hab dann auch die Geschichte meiner Großmutter nachrecherchiert bei meiner Tante, die noch gelebt hat.
Mein Vater war ein sehr bewusster Jude. Wir sind auch jüdisch erzogen worden, haben die Feste gefeiert und waren oft im Tempel. Mein Problem war nicht das Judentum, sondern der Holocaust. Das Thema für mich war auch Trauma-Vererbung.

Und wie ging es dir damit danach?
Den Film zu machen, war für mich eine Heilung, denn ich konnte positive Großmütterfiguren treffen, Frauen, die es gut geschafft haben. Der Film wird regelmäßig gezeigt, er ist ein Dokument, und das wollten wir auch. Die Frauen sind dann später auch alle auf Einladung vom Jewish Welcome Service nach Wien gekommen.

Es gibt also eine Verbindung zu Leon Zelman, dem Gründer des Jewish Welcome Service, und damit zu seiner Tochter Caroline, die ja eine Verwandte von dir ist.
Ja, ich liebe das, dass alles zusammenhängt. Das ist das Schönste.

Viennas Lost Daughters. „Den Film zu machen, war für mich eine Heilung.“ Viennas Lost Daughters. „Den Film zu machen, war für mich eine Heilung.“ © Vienna’s Lost Daughters

Welche Beziehung hast du heute zu Israel?
Mein Papa ist dort geboren, und ein großer Teil der Familie lebt dort. Ich war zuletzt 2019 mit dem Film Maikäfer flieg in Israel eingeladen, das war interessant von der Opfer-Täter-Seite aus, die österreichische Familie Nöstlinger, aber auch ein russischer Jude kommen darin vor. Beim Ankommen wurde ich nach meinem israelischen Pass gefragt. Mein Vater hatte einen israelischen Pass, aber ich nie. Man hat mir gesagt, ich könnte nur mit einem israelischen Pass wieder ausreisen. Mein Onkel ist ein bekannter israelischer Entertainer, Mosche Timor, und der ist mit mir ins Innenministerium gegangen und hat mir zum Pass verholfen. Ich bin also Doppelstaatsbürgerin, und es war für mich eine sehr spezielle Situation, als Österreicherin einzureisen und als Israelin auszureisen. Es ist toll, in Israel zu sein und zu wissen, ich bin Staatsbürgerin, und ich hab ja viele Schulfreundinnen und Familie dort.

Soll es bei der Leipziger Buchmesse 2022 auch einen jüdischen Aspekt geben? Österreichisch-jüdische Literatur gibt es ja genug, vor allem in der Vergangenheit.
Das hab ich mir noch nicht überlegt, aber es wäre eine Idee. Ich hab zwar die künstlerische Leitung und die Programmierung über, aber in Abstimmung mit dem Beirat. Vor allem das Heute, d. h. die Gegenwartsliteratur und die neue österreichische, auch die politische Debatte sollen zu Wort kommen. Männer und Frauen fifty-fifty!

Das bringt uns auf deine Regiearbeit bei der Fernsehserie Vorstadtweiber, die ja atmosphärisch in einer totalen Kunstwelt spielt. War das einfach nur ein Job?
Nein, ich bin kein Typ nur für einen Job. Wenn ich was mach’, dann mit Haut und Haaren. Mein Motiv war, dass Frauen auch Hauptrollen haben. Ich hab immer einen feministischen Zugang, und das Frauenthema begleitet mich seit meinen Anfängen. Außerdem ist der Erfolg im Kollektiv für mich das Schönste, dass wir alle miteinander reden und spüren, dass wir zusammen mehr erreichen können. Bei jedem Thema ist ein Kollektiv befasst, jetzt auch, was Leipzig betrifft, oder bei Vienna’s Lost Daughters.

Weil du offenbar noch immer nicht ausgelastet bist, willst du auch noch ein Drehbuch schreiben. Worum soll es da gehen?
Wir, das heißt Sandra Bohle und ich, wollen zu zweit einen Fernsehkrimi schreiben und einen jüdischen Detektiv, der im jüdischen Wien von heute lebt, zur Hauptfigur machen. Da kann ich meinen Background einbringen, da gibt es so viele gesellschaftliche Zusammenhänge, die wir kennen, die man aber sonst nicht so kennt, die jedoch extrem spannend, witzig, intelligent und versteckt sind. Das alles in einen Krimi reinzubringen, würde ich wirklich spannend finden. Wir haben schon grünes Licht dafür bekommen und starten gerade.

Wer soll der Täter sein, und hast du schon ein Vorbild für die Detektivfigur?
Na, den Täter werde ich doch nicht verraten, und Vorbild hab ich noch keines aber wenn mir eins einfällt, lass ich es dich wissen.

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