„Wie man ein Kind lieben soll“

Vor 75 Jahren begleitete Janusz Korczak 200 Waisenkinder nach Treblinka und in die Gaskammer. Vor 25 Jahren wurde in Wien eine Gesellschaft gegründet, die sein Andenken ehrt und sein großes pädagogisches Werk bekannter machen will. Denn dieses ist heute immer noch aktuell, aber nahezu vergessen.

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Vater der Kinderrechte. Janusz Korczak leitete ein jüdisches Waisenhaus in Warschau, erbaut nach seinen Plänen.

An den 5. August 1942 erinnert sich der Pianist Władysław Szpilman in seinen Memoiren:
Für jenen Morgen war die „Evakuierung“ des jüdischen Waisenhauses, dessen Leiter Janusz Korczak war, befohlen worden; er selbst hatte die Möglichkeit, sich zu retten, und nur mit Mühe brachte er die Deutschen dazu, dass sie ihm erlaubten, die Kinder zu begleiten. (…)Er wollte es ihnen leichter machen. Sie würden aufs Land fahren, ein Grund zur Freude, erklärte er den Waisenkindern. Endlich könnten sie die abscheulichen, stickigen Mauern gegen Wiesen eintauschen, auf denen Blumen wüchsen, gegen Bäche, in denen man würde baden können, gegen Wälder, wo es so viele Beeren und Pilze gäbe. Er ordnete an, sich festtäglich zu kleiden, und so, hübsch herausgeputzt, in fröhlicher Stimmung, traten sie paarweise auf dem Hof an. (…) Als ich ihnen an der Gęsia-Straße begegnete, sangen die Kinder, strahlend, im Chor, und Korczak trug zwei der Kleinsten, die ebenfalls lächelten, auf dem Arm und erzählte ihnen etwas Lustiges.


„Zuneigung für das, was das Kind heute ist, und Achtung vor dem, was es werden kann.“
Janusz Korczak

Kinder zu begleiten hatte sich der polnisch-jüdische Kinderarzt, Pädagoge und Kinderbuchautor zur Lebensaufgabe gemacht. 1878 als Henryk Goldszmit in eine assimilierte Anwaltsfamilie in Warschau geboren, nahm er schon als 20-Jähriger für seine literarischen Veröffentlichungen das Pseudonym Janusz Korczak an, unter dem er später als „Vater der Kinderrechte“ bekannt werden sollte. 1912 bot man dem damals bereits prominenten Pädagogen die Leitung des nach seinen Plänen erbauten jüdischen Waisenhauses in Warschau an. Dort und bald darauf auch in dem Waisenhaus für polnische Kinder verwirklichte er seine erzieherischen Ideen, die auf dem Recht des Kindes auf Achtung, so der Titel eines seiner Schriften, gründeten. Wie man ein Kind lieben soll nennt er sein pädagogisches Hauptwerk. Daneben entstehen ganz wundervolle Kinderromane, vor allem das bezaubernd poetische, aber ebenso politisch-kluge Jugendbuch König Hänschen 1. Darin will der zehnjährige Königssohn Hänschen nach dem Tod seines Vaters demokratische Reformen für alle durchsetzen, muss aber am Widerstand der mächtigen Altvorderen scheitern. Das von Hänschen gegründete „Kinderparlament“ in einer modellhaften „Kinderrepublik“ hat Korczak dann selbst in seinem Waisenhaus etabliert, samt Kinderzeitung und Kindergericht.

Janusz-Korczak-Gesellschaft.
„Er muss fast Tag und Nacht geschrieben haben“, meint Volker Edlinger, der 1992 die Österreichische Janusz-Korczak-Gesellschaft gründete. Der „erste Jude“, dem er bewusst begegnete, ein Schallforscher aus Haifa, hatte ihn auf Korczaks Schriften aufmerksam gemacht, die dem Pädagogen aus Wien bis dahin fast unbekannt waren. Als er tiefer in das umfangreiche Werk eindrang, war es offenbar ein Erweckungserlebnis, und bis heute hat diese Faszination nicht nachgelassen. Über die Lektüre Korczaks hat Edlinger als Psychologe und Psychotherapeut „näher zu den Kindern gefunden, seine Schriften sind unglaublich anregend und total aktuell.“ Weshalb ihm eine weitere Verbreitung auch eine Herzensangelegenheit ist. „Ich habe in meiner Praxis Material für ein ganzes Korczak-Museum und auch angeregt, das zu machen“, aber schon die Gründung der Gesellschaft vor 25 Jahren war finanziell nicht ganz einfach. Mit den anderen Korczak-Gesellschaften in der Schweiz, in Deutschland und in Israel ist man vernetzt, es gibt immer wieder Veranstaltungen und Seminare und sogar eine Janusz-Korczak-Schule in Wien. Dennoch scheint der Weg an eine größere Öffentlichkeit schwierig zu sein.

Einige seiner Ideen haben in die Kinderrechtskonvention der UNICEF Eingang gefunden, und 1972 wurde Korczak postum mit dem Friedenspreis des deutschen Buchhandels geehrt.

„Nur um den Kindern die Angst zu nehmen, ist er mit ihnen in den Tod gegangen“, ist Edlinger überzeugt, aber man sollte Korczak nicht ausschließlich von seinem so berührenden Ende her betrachten. Zukunftsorientiert wollte er, der selbst keine Familie hatte, nach dem Krieg in Deutschland mehrere Waisenhäuser gründen. Vor dem Krieg ist Korczak als Zionist sogar zweimal nach Palästina gereist, doch angesichts der antisemitischen Bedrohungen wieder zu seinen Schützlingen nach Warschau zurückgekehrt.

„Zuneigung für das, was es heute ist, und Achtung vor dem, was es werden kann“, empfand er dem Kind gegenüber. Eine Haltung, die auch 75 Jahre danach eine Maxime sein sollte.

 

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