Wie weiblich ist DER HERR?

„Frauenpower im Judentum“ ist das Motto des diesjährigen Festivals der Jüdischen Kultur mit vielfältigen Live-Veranstaltungen wie Konzerte und Filmvorführungen. Eine Podiumsdiskussion am 7. Dezember wird sich dem Thema „G’ttes weibliche Seite“ widmen, das Felicitas Heimann-Jelinek bereits für zwei großen Ausstellungen in Hohenems und Frankfurt aufbereitet hat.

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FESTIVAL DER JÜDISCHEN KULTUR
14. November bis 9. Dezember 2021
Programm: ikg-wien.at/festival

 

WINA: Wir sind mit der Vorstellung von G’tt, dem Herrn, aufgewachsen. Die Frage nach dessen weiblicher Seite hat sich lange nicht aufgedrängt. Wie kam es zu dieser Fragestellung bzw. zu diesem feministischen Ansatz?
Felicitas Heimann-Jelinek: Dazu ist es im Zusammenhang mit der Frauenbewegung am Ende des 19. und Beginn des 20. Jahrhunderts gekommen. Damals haben Frauen begonnen, das traditionelle männliche G’ttesbild in Frage zu stellen und auch zu überlegen, wie könnte man anders beten, könnte man G’tt anders, vielleicht auch ohne einen bestimmten Artikel ansprechen. In der Nachfolge dieser Überlegungen kam es zu einer kleinen Revolution innerhalb des rabbinischen Judentums, als Regina Jonas als erste Frau ein Rabbinatsstudium absolvieren und auch den Beruf als Rabbiner ausüben wollte.

Das ist eine Entwicklung, die mit dem steigenden Selbstbewusstsein der Frau als Arbeitende und aktive Familienerhalterin Ende des 19. Jahrhunderts beginnt und sich dann mit den Unterbrechungen durch die beiden Weltkriege in den USA ganz stark in verschiedenen religiösen Bewegungen im Christentum und Judentum gleichzeitig und auch im Austausch fortsetzt. Das ist aber doch zweierlei. Das eine wäre die Rolle der Frau im religiösen Ritus und das andere das G’ttesbild. Sprachlich gibt es in den Gebeten zwar die männliche Form der Ansprache, aber da wir ja keine Bilder haben, ist das G’ttesbild im Judentum doch eher abstrakt und damit geschlechtslos.
I Trotzdem denkt jeder in männlichen Kategorien, was auf eine sehr lange Entwicklungsgeschichte zurückgeht, in die Frühzeit, in der sich langsam der Glaube an einen spezifischen Stammesgott und davon ausgehend der Glaube an einen einzigen G’tt herausgebildet hat. Nach der Landnahme Kanaans haben die Israeliten offenbar schon einen Wüstengott in das damalige kanaanäische Götterpantheon mitgebracht. In diesem gab es natürlich männliche und weibliche Gottheiten, weil man sich die Schaffung von Leben nur durch ein Paar vorstellen konnte. Das ist ja auch die fundamentale Aussage in der Genesis-Erzählung. „Im Angesicht G’ttes männlich und weiblich schuf Er sie.“ Wenn man sich die Kulturgutfunde aus dem heute israelischen Raum ansieht, findet man ebenso viele, wenn nicht sogar mehr weibliche Gottheiten bzw. Figurinen. Es gibt archäologische Funde, die auch sprachlich darauf hinweisen, dass El, der noch in Isra-El vorhanden ist, eine Ela, also ein weibliches Pendant hatte. Es gab also ein Götterpaar, das seinen Niederschlag eben in materiellen Zeugnissen fand. Im Laufe der Zeit verdrängte Israels Stammesgott Jahwe die kanaanäischen Gottheiten, und das zeigt sich auch darin, dass weibliche Namen und Endungen immer mehr eliminiert werden. Spätestens nach dem babylonischen Exil hat der Sieg des Monotheismus zur Folge, dass auch alle weiblichen Gottheiten wegfallen und vermutlich die ursprünglich matriarchalen Strukturen zurückgedrängt werden.

 

„Der ,männliche Monotheismus‘ […] hat generell die Entrechtung,
die Unterdrückung der Frau in weiten Teilen der Gesellschaften
mit sich gebracht.“
Felicitas HeimannJelinek

 

Wie wichtig ist für einen feministischen Zugang zur Religion die Zuschreibung einer weiblichen Seite des G’ttesbilds? Wäre es nicht möglich, G’tt weiterhin männlich zu denken und trotzdem die Rolle der Frau im Ritus zu verstärken?
I
Der „männliche“ Monotheismus, der in allen drei Religionen noch immer mit einem patriarchalen System einhergeht, hat generell die Entrechtung, die Unterdrückung der Frau in weiten Teilen der Gesellschaften mit sich gebracht. Insofern wollen sich Frauen, die heute an allem auch aktiver teilnehmen, in dieser schöpferischen Kraft, in einem schöpferischen Prozess eingeschrieben sehen. Darum ist es uns in der Ausstellung gegangen, weniger um feministische Positionen, sondern eher um die Frage, wie man diese Idee von einem gleichberechtigten weiblichen Element stärker in das Bewusstsein rücken kann.

Einerseits ist das Judentum eine männlich dominierte Religion, was sich in den Riten, in der Liturgie zeigt, wo Frauen z. B. im Minjan im wahrsten Sinn gar nicht zählen, andererseits wird das Judentum maternal weitergegeben. D. h. die Frau ist als Mutter ganz wichtig, ihre Bedeutung zeigt sich bis hin zum Mythos der jiddischen Mame. Ist das ein Widerspruch?
I Es ist ein völliger Widerspruch, der im Römischen Recht wurzelt, das besagte „Pater semper incertus est“. Deswegen hat man sich jüdischerseits auf den Standpunkt der Maternalität zurückgezogen. Das ist eine ziemlich späte talmudische Entwicklung. In der Thora wird die Frage nach dieser Maternalität ja gar nicht gestellt, wenn wir zum Beispiel an Ruth denken, die keine Jüdin war.

FELICITAS HEIMANN-JELINEK, Judaistin und Kunstwissenschaftlerin, war von 1993 bis 2011 Chef-Kuratorin des Jüdischen Museums der Stadt Wien. Sie ist als Kuratorin und Beraterin für verschiedene jüdische Institutionen und Museen tätig. Gemeinsam mit Michaela Feuerstein-Prasser kuratierte sie die Ausstellung Die weibliche Seite Gottes ©Ingrid Sontacchi; Jüdisches Museum Hohenems

Hatte das eine Änderung der Stellung der Frau zur Folge?
I Ich glaube, dass es in verschiedenen Regionen oft unterschiedliche Rollenzuschreibungen gegeben hat, dass die Bedeutung jüdischer Frauen in Aschkenas im Mittelalter eine ganz andere war als etwa im sephardischen Raum. Die gesellschaftliche Position der Frauen war aber wahrscheinlich überhaupt eine bedeutendere, als wir das heute annehmen. Da gab es durchaus schon Powerfrauen, die auch als solche wahrgenommen wurden. Erst in der Neuzeit wird die Frau in ihrer gesellschaftlichen Relevanz zurückgedrängt, die Erfindung der Frau als quasi unsichtbares Wesen ist erst etwa im Biedermeier entstanden.

Es gibt seit etwa rund 100 Jahren auch Rabbinerinnen. Hat das eine Ausstrahlung auf das gesamte Judentum oder bleibt dieses Phänomen im Reformjudentum verhaftet?
I Es hat eine Ausstrahlung wie überhaupt demokratische Formen, aber sie haben diese Ausstrahlung natürlich nur bis dorthin, wo sie akzeptiert werden. Ich glaube, das sind Langzeitprojekte, wie auch Demokratie etwas ist, an dem man immer wieder arbeiten muss. Man sieht es dort, wo Frauen es schaffen, als religiöse Leitbilder in Gemeinden hineinzuwirken, dort wird das immer „normaler“, und dort ändert sich auch das Denken und der Zugang schneller als dort, wo diese Frauen keine Wirkmöglichkeit haben.

Im Gegensatz zum Christentum ist das Judentum ex lege nicht reformierbar, weil es keine Instanz, keine Autorität dazu gibt. Können sich solche Entwicklungen daher nur in Randbereichen vollziehen?
I Im norddeutschen Bereich, wo es die ersten Rabbinerkonferenzen gab, sind in der späten ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts rabbinische Autoritäten aus beiden Lagern zusammenkommen, um genau das zu diskutieren, ob nämlich das Judentum in seinen Grundfesten veränderbar ist. Die Orthodoxie hat quasi „gewonnen“, weil nichts abgeschafft wurde. Beschneidung, Schabbat, Schächten etc. blieben, aber man hat Zugeständnisse gemacht, und man konnte mangels einer rabbinischen Autorität auch nichts dagegen unternehmen, dass sich die Reformidee bis heute weiterentwickelt hat.

Alle Religionen sind ihrem Wesen nach konservativ, sie hängen an überkommenen Traditionen und Werten. Wie viel Feminismus verträgt das Judentum, ohne sich in einer Verwässerung aufzulösen?
I
Das würde ja bedeuten, dass nur Männer konservativ sein können. Frauen können genauso konservativ und fundamentalistisch sein, und es gibt genug Frauen, die in ihrem Feminismus wirkliche Fundamentalistinnen sind, auch in ihrem Bestreben, Teil dieses religiösen jüdischen Systems zu sein.

„Frauenpower im Judentum“, also jüdische Frauen im Fokus, ist die säkulare Seite des Themas. Könnte man diese auch ohne religiösen Konnex betrachten?
I Ich glaube, man muss diese Frage generell stellen, und da kommt man schnell in eine Identitätsdebatte, d. h. was bedeutet jüdisch, was jüdische Frau, was bedeutet dieses Adjektiv überhaupt, ist es eine Frage der Selbstdefinition, kann man das jenseits von jüdischer Erfahrung definieren? Das ist nur auf Frauen bezogen nicht beantwortbar.

 

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