„Wien wird immer mein, Theater-Zuhause‘ sein“

Wer Tamara Stern schon einmal auf der Bühne erlebt hat, vergisst die deutsch-israelische Schauspielerin und Sängerin mit einiger Gewissheit nicht mehr. WINA hat die beeindruckende jüdische Künstlerin während ihrer Proben zur Wiederaufnahme ihres Erfolgsprogramms Heute Abend: Lola Blau anlässlich des 100. Geburtstags von Georg Kreisler an einem herbstlichen Sonnentag zum Gespräch bei Kaffee und Kuchen gebeten und sie über ihren beruflichen Werdegang und ihr Leben zwischen so manchen Welten befragt.

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© Privat, Gerhard-Breitwieser, G. Macho

Georg Kreisler: Heute Abend: Lola Blau
Mit Tamara Stern (Schauspiel und Gesang), Marcelo
Cardosa Gama (Klavier), Mathias Krispin Bucher
(Kontrabass); Regie: Ernst Kurt Weigel
Off Theater, 17. Dezember 2022, 19:30 Uhr
off-theater.at
aktionstheater ensemble: Die große Pension Europa Show. Eine Trilogie des Scheiterns
Mit: Zeynep Alan, Babett Arens, Michaela Bilgeri, Aisha Eisa, Isabella Jeschke, Elias Hirschl, Luzian Hirzel, David Kopp, Raphael Macho, Kirstin Schwab, Tamara Stern, Benjamin Vanyek; Konzept/Text/Inszenierung: Martin Gruber
Werk-X, 11. bis 18. Jänner 2023, 19:30 Uhr
werk-x.at


Kennengelernt hatten sich Tamara Sterns Eltern als Student:innen in Jerusalem. „Mein Vater wurde in der Nähe von Königsberg geboren“, beginnt die Schauspielerin zu erzählen. Aufgewachsen ist Frank Stern dann in Berlin. Tamara Sterns Mutter, die „geschützt durch die Russen auf einem Bauernhof“ geboren worden war, erlebte im Alter von zwei Jahren die DP-Camps in Berlin, obwohl die Großeltern Deutschland lieber verlassen hätten. „Doch Israel oder gar die USA waren für sie nicht mehr möglich, da mein Großvater durch das in der Shoah Erlittene bereits damals zu krank war, um eine solche Übersiedelung noch zu schaffen – die USA blieb für ihn zudem verschlossen, weil er als Partisane gekämpft hatte.“ So kamen, eine Ironie des Schicksals, die Großeltern mütterlicherseits schließlich nur nach Bayern – und dort in eine „entnazifizierte“ Wohnung, die man ihnen zur Verfügung stellte. „So ging nur meine Mutter nach Israel, lernte dort meinen späteren Vater kennen – und als dieser aus familiären Gründen wieder nach Berlin musste, ging sie mit ihm zurück. Es sind dann noch einige Jahre vergangen, ehe ich in West-Berlin auf die Welt gekommen bin.“

Tamara ist 12 Jahre alt war, als sich die Eltern trennen. „Mein Vater ging mit mir nach Jerusalem, der Stadt in Israel, zu der er den stärksten Bezug hat. Er selbst unterrichtete in Tel Aviv und pendelte mehrmals in der Woche zwischen den Städten, und ich begann, in die Schule der dortigen Akademie der Künste zu gehen, da ich seit meiner Kindheit Barock-Flöte spielte.“

Bei ihrer Ankunft in Israel kann das Mädchen kein Wort Hebräisch. „Ich kannte bis auf ,Ich heiße Tamara‘ und ,Ich liebe dich‘ kein Wort“, lacht Stern heute – und ergänzt rasch: „Das war schon sehr schwer.“ Die beiden ziehen in das Marktviertel im Westen der Stadt, wo auch enge Freunde der Familie wohnen, die der Jugendlichen „zumindest einen kleinen Bezug zu meiner Geburtsstadt“ schenken. „Relativ rasch habe ich auch neue Menschen kennengelernt, die für mich zu zentralen Bezugspersonen in den folgenden Jahren wurden“, ist Tamara Stern dankbar und erzählt unter anderem von ihrer damaligen Hebräisch-Lehrerin, die auch „Tamar“ hieß und nur wenige Jahre älter war. „Und da wir ein Haus mit Garten hatten, bekam ich auch einen Hund, der für mich zu einem der wichtigsten Anker in dieser Zeit wurde.“

Innerhalb eines halben Jahres werden ihre Hebräisch-Kenntnisse immer besser, die Matura absolviert sie dann dennoch nur teilweise, denn schon seit Langem weiß sie damals, was sie werden will: „Schauspielerin! Ich habe schon im Kindergarten erzählt, dass ich Schauspielerin werden will – ich erzähle davon übrigens auch in meinem Soloprojekt Lola Blau.“

 

„Ich will das, was ich mache, aus vollem Herzen machen,
mit großem Respekt vor der Sache
und bedingungsloser
Leidenschaft.“
Tamara Stern

 

Der Weg dahin geht zuerst über ihre Musikausbildung an der Jerusalemer Musikakademie, „doch ich habe bald schon gemerkt, dass ich mich mit der Flöte allein nicht genug ausdrücken konnte. Irgendwann kam dann die Stimme dazu, und so dachte ich kurze Zeit auch mal, dass ich Sängerin werde. Aber schließlich war klar, dass ich Schauspielerin werde.“

Facettenreich und furios: Tamara Stern in den beiden Erfolgsproduktionen Lonely Ballads des aktionstheaters … © Günter Macho; Gerhard-Breitwieser

Mit 17 Jahren besteht Tamara Stern das mehrstufige Aufnahmeverfahren der renommierten Nissan Nativ School of Acting. Im letzten Jahr spielt sie fließend auf Hebräisch, und schon bald ist die Schauspielerin Teil des 1991 vom russischen Regisseur Yevgeny Arye in einer Lagerhalle in Jaffo gegründeten gefeierten Gesher (Brücke) Theaters. „Das ist mein Theater. Da hab ich meine ersten Schritte gemacht, denn von diesem Theater träumt jede junge Schauspielerin in Israel. Und gleich mit meiner ersten Rolle dort habe ich damals den Israelischen Theaterpreis in der Kategorie ,Nachwuchs‘ gewonnen. Das verdanke ich alles diesem Theater!“

Nach ein paar Jahren hat Stern das Gefühl, sich weiterentwickeln zu wollen, wieder auf Deutsch spielen zu wollen. Die Sehnsucht nach Deutschland spielte dabei keine Rolle, betont sie, vielmehr „die Sehnsucht nach Europa. Ich hatte damals 16 Jahre in Israel gelebt, und Europa ist mir in diesen Jahren doch sehr abgegangen.“ Sie geht mit 28 Jahren nach Berlin, „das war mein privater Anhaltspunkt“, kehrt kurz darauf noch einmal für die Polly in Bertolt Brechts Dreigroschenoper nach Israel zurück und versucht schließlich noch einmal, in Berlin Fuß zu fassen. Sie spielt bei den Jüdischen Kulturtagen und lernt über den Regisseur Dominik Horwitz die aus Wien kommende damalige Intendantin der Bad Hersfelder Festspiele, Elke Hesse, kennen. „Elke hatte viele Schauspieler aus Wien im Ensemble, und so bin ich mit dieser Stadt in Kontakt gekommen. Und von da an wurde Wien meine Theaterstadt.“ Vier Jahre ist Stern im Hersfelder Ensemble, pendelt dazwischen nach Wien und ist hier unter anderem am Rabenhof Theater und am 3raum-Anatomietheater tätig. In Wien wird Tamara Stern 2008 auch vom damals neuen Intendanten des Vorarlberger Landestheaters angesprochen – und von da an ist sie acht Jahre lang „on off“ Ensemblemitglied in Bregenz. Ab 2016 ist sie schließlich fest in Wien – und beginnt in Zusammenarbeit mit dem Regisseur und Intendanten des Off Theaters, Ernst Kurt Weigel, mit dem sie auch den Theaterverein *sterne*reißen* gründet, eigene Projekte zu realisieren, die ihr vom Konzept bis zur Umsetzung am Herzen liegen und „brennen“: „Als Künstlerin bin ich extrem selbstständig, und ich ertrage es als Schauspielerin auf Dauer nicht, keine entscheidungskräftige Stimme zu haben. Es sind nicht immer Stücke oder Rollen, die einen interessieren und auch nicht immer gute Regisseure, mit denen man in einem festen Engagement arbeiten muss. Irgendwann wollte ich das nicht mehr. Also musste ich mir die Frage stellen, warum ich diesen Beruf mache. Ich will das, was ich mache, aus vollem Herzen machen, mit großem Respekt vor der Sache und bedingungsloser Leidenschaft – das ist auch das, was ich am Gesher Theater gelernt habe, und ich sehe das um mich herum nur in sehr seltenen Momenten. Ich kann nicht auf die Bühne gehen und sagen, ,heute geht es mir nicht so gut, heute spiele ich nur mit halber Energie‘ – das geht nicht!“

„Und vielleicht ist der emotionale Weg auch genau der richtige,
um politisch zu agieren.
Denn du kannst damit die Menschen öffnen“

Tamara Stern

 

Die gemeinsam mit Weigel erarbeiteten Stücke nennt Stern „musikalische Soloprogramme. Die Inhalte entstehen während der gemeinsamen Arbeit, werden dann aber von Ernst geschrieben. Wir ergänzen einander auf eine ganz wunderbare Weise.“ Vor allem die musikalische Arbeit, die ihr bereits als Polly am Gesher Theater ans Herz gewachsen war, Stern aber über Jahre nicht in der Intensität verfolgen konnte, wie sie es sich gewünscht hatte, ist ihr dabei ein Anliegen. „Ich hatte auch jahrelang, neu in der österreichischen Theaterszene, nicht die richtigen Kontakte, und ich hatte es mir auch noch nicht wirklich zugetraut“, erzählt sie. Ein wichtiger erster Schritt war hier auch schon die Einladung, Georg Kreislers sentimental böse Geschichte rund um eine junge jüdische Schauspielerin in den Jahren des NS-Regimes Heute Abend: Lola Blau für das Vorarlberger Landestheater einzustudieren – „in einer konventionellen Inszenierung. Aber ich habe diese Rolle von Anfang geliebt – und das Stück acht Jahre lang vor ausverkauftem Haus gespielt.“ Als sie in Wien Ernst Kurt Weigel von Lola Blau erzählt, wird rasch klar, dass die Figur noch wesentlich mehr mit der Schauspielerin verbindet, als man in Kreislers wunderbarem Original erzählen kann. „Die Lola Blau, das ist inzwischen nicht mehr nur eine Rolle, die ich einfach spiele, das ist ein Teil von mir, und ich wollte gerne auch einen Abend auf die Bühne bringen, in dem ich mein Leben mit dem Stück verbinde.“ Die Idee, Kreislers wohl bekanntestes „Ein- Frau-Musical“ aus dem Jahr 1971 noch einmal punktgenau auf sie zugeschnitten in einer kabarettistischeren Version auf die Bühne zu bringen, war geboren: „Es ist im Grunde die Geschichte von Tamara, die die Geschichte von Lola erzählt.“ Nach dem großen Erfolg ihres ersten eigenen Soloprojekts, das sie und Ernst Kurt Weigel am Wiener Off Theater realisieren, ist klar, dass sie diese Arbeit auch in den kommenden Jahren gerne gemeinsam fortsetzen wollen: „Es folgten Ich, Zarah (2018) und Kein Groschen Brecht (2019). Und das nächste Projekt ist ein Stück über Lilith, die erste Frau Adams, mit der grandiosen Musik von Andreas Dauböck, dem Sänger und Komponisten der Wiener Band Dun Field Three“, verrät Stern über ihre aktuelle Recherchearbeit.

 

„Die Lola Blau, das ist inzwischen nicht mehr nur eine Rolle,
die ich
einfach spiele, das ist ein Teil von mir.“
Tamara Stern

 

Parallel zu ihren Projekten am Neubauer Off Theater lernt Tamara Stern auch das zwischen Wien und Vorarlberg pendelnde freie aktionstheater ensemble kennen, dessen Arbeitsweise sie sofort begeistert. Seit 2021 kooperiert sie kontinuierlich mit dem mehrfach ausgezeichneten Ensemble rund um Regisseur Martin Gruber, zuerst in Lonely Ballads, danach in Pension Europa – und derzeit wird in Wien auch schon an der neuen „Trilogie des Scheiterns“ Die große Pension Europa Show gearbeitet, die im Jänner im großen Saal des Meidlinger Werk X zu sehen sein wird. Die Arbeit mit Gruber inspiriert und begeistert die Schauspielerin vom ersten Moment an: „Martin ist jemand, der jede Sekunde eines Abends durchchoreografiert und unglaublich genau, minutiös arbeitet. Und doch wirkt es am Ende so, als würde alles auf der Bühne im Moment entstehen, fast beiläufig. Das ist große Kunst und extrem kluges politisches Theater.“

… und Heute Abend: Lola Blau am Off Theater. © Privat, Gerhard-Breitwieser, G. Macho

Kritische Beobachterin. Im Gespräch mit Tamara Stern beeindrucken neben ihrem analytischen Blick auf die Welt und die eigene Arbeit auch ihre Offenheit und Leidenschaftlichkeit, die sich selbst beim Genuss einer „Wiener Jause“ sympathisch zeigen. Darauf angesprochen, gibt sie offen zu: „Ich bin eine sehr emotionale Schauspielerin, keine intellektuelle Schauspielerin. Aber in den letzten Jahren verbindet sich das immer mehr. Und vielleicht ist der emotionale Weg auch genau der richtige, um politisch zu agieren. Denn du kannst damit die Menschen öffnen, und dann kannst du da ,reinfahren‘.“ Dabei ist es nicht erst die Arbeit an den stets hoch brisanten Produktionen des aktionstheaters, zuletzt etwa mit ihrem beeindruckenden Soloauftritt in Lonely Ballads, die ihre deutliche politische Haltung sichtbar macht – auch als Privatperson hält sie mit den so notwendigen kritischen Beobachtungen zum in den letzten Jahren erstarkenden Antisemitismus nicht zurück: „Schon meine Eltern sind ja nach Jerusalem gegangen, um das Land der Täter zu verlassen, und dass sie zurückgekommen sind, hatte mit äußeren Umständen zu tun, die das notwendig gemacht haben. Man fühlt sich fremd, und man fühlt sich auf eine Art immer auch bedroht. Diese Bedrohung ist real, sie ist ja da – und sie wird wieder größer“, weiß Stern, die sich im Laufe der Jahre immer bewusster wurde, dass auch ihre Arbeit als Schauspielerin hier eine wichtige gesellschaftliche Funktion einnehmen kann: „Ich habe immer mehr das Bewusstsein, dass ich das, was ich als Schauspielerin machen kann, nämlich eine Stimme zu haben, zu versuchen, etwas zu bewegen, auch tun muss. Wenn ich zum Beispiel einen Abend wie Ich, Zarah mache und die Menschen wegen der ,schönen Lieder‘ kommen und dann aber gehen und wissen, sie können ihre Lieder nie wieder hören, ohne daran zu denken, dass diese Künstlerin damit ganz wesentlich das nationalsozialistische Regime unterstützt hat, dann habe ich meine Arbeit getan.“

Die Theaterpendlerin. Nach ihrer Kindheit in Berlin, ihren Jugend- und ersten Theaterjahren in Israel und dem letzten Jahrzehnt in Österreich zieht es die vielbeschäftigte Schauspielerin seit zwei Jahren wieder vermehrt in ihre Geburtsstadt. Wegen der Arbeit, aber auch aus privaten Gründen. „Wo ich im Moment bin, hängt stark auch davon ab, wo ich gerade gebraucht werde“, erzählt sie. „Es ist beides da. Bis jetzt war es so, dass Berlin meine Heimatstadt war, da, wo meine Wurzeln sind, wo auch meine Mama ist. Und Wien, das war meine ,Theaterstadt‘. Im Moment verschiebt sich das ein wenig. Aber Wien wird immer mein ,Theater-Zuhause‘ sein. Das wird sich nie ändern.“

Immer wieder kehrt sie auch nach Israel zurück – so war sie unter anderem 2019 mit Lola Blau beim Internationalen Theaterfestival eingeladen, wo sie ihr Publikum auch damit überraschte, dass sie Teile auf Iwrit spielte. Und auch mit ihrem Brecht-Abend sollte sie erneut beim selben Festival auftreten. Doch Covid zerschlug diese Pläne, und so bleibt für Tamara Stern derzeit nur die Hoffnung, bald wieder nach Israel reisen zu können: „Israel ist ein Großteil meiner selbst. Tamara, die Schauspielerin, ist in Israel geboren worden. Und es ist definitiv auch ein Ort, an den ich vielleicht einmal zurückgehe.“ Nur „Urlaub“ will sie dort nicht machen, betont sie nachdenklich zum Schluss: „Israel ist für mich kein Ort zum Urlaub machen. Wenn ich da bin, dann will ich auch arbeiten, dann will ich da auch leben. Ich bin ja keine Touristin. Wenn, dann lieber Israel als dritten Ort für meine weitere Arbeit aufbauen.“

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