Wiener Wunder

Auch Hunde, nach denen man sich so lange sehnt, bis es endlich einen Anlass gibt, sich an sie zu binden, bringen so manches magische Alltagsrätsel zustande.

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Es wird jetzt gemütlich. Dunkel mit Kerzenlicht und erleuchteten Fenstern. Warmer Punsch und heißer Tee mit Kandiszucker. Mandarinenduft. Leuchtende Girlanden in der Innenstadt. Sterne. Oben und unten. So lässt sich das Winterschwere etwas leichter abschütteln. Der Antiquitätenhändler gegenüber, den ich hier nicht namentlich erwähnen kann, weil sonst absolut klar ist, wo die Kolumnistin wohnt, was meistens zu netten, aber ab und an zu weniger netten Begegnungen führen würde, dieser Antiquitätenhändler hat jedenfalls schon Kugeln und Schmuck aus den Fünfzigerjahren im Schaufenster und lauter lichtumwundene Bäumchen vor dem Eingang, die mich ein bisschen an New York erinnern. Also: nur ein bisschen, weil rundherum Jugendstilhäuser und ein Gemeindebau sind, und das passt deutlich weniger.

Der Antiquitätenhändler und seine Familie haben mich übrigens eines Wiener Frühlings fast um den Verstand gebracht. Also nicht so, wie man vielleicht mit Anflug der Sehnsucht nach Frühlingsgefühlen denken könnte. Weit gefehlt! Ich meine, nicht, dass ich ab und an auch anderweitig an meinem Verstand zweifeln würde. Ich finde das, genauer betrachtet, wirklich sinnvoll. Wer sich seines Verstandes zu sicher ist, ist der Erste, der dessen verlustig geht.

Aber wir schweifen ab. Im Frühling vor mittlerweile fast zehn Jahren beschloss der Antiquitätenhändler – der meinen Blick seit noch längerer Zeit mit den Schönheiten seiner Auslage verwöhnt, sodass ich mir diesen Blick, der ständig auf seine Geschäftigkeiten geht, regelrecht antrainiert habe, um meine Laune zu heben –, sich und vor allem seinen Kindern einen kleinen Hund zuzulegen. Seit acht Jahren sehe ich vor allem den Antiquitätenhändler die Gassirunden drehen, aber damit teilt er das Schicksal vieler Familien, und so glücklich wie er dabei wirkt, vermute ich, dass der Hund (wie in manchen Fällen auch die geschenkte Modelleisenbahn) eigentlich sein eigener tiefer Wunsch gewesen ist. Damit soll jetzt aber keinesfalls vermittelt werden, er hätte einen Hund wie ein Spielzeug hergeschenkt!

Aber zurück zu diesem süßen Hundebeginn in der Gasse. Der Hund, klein, braunschwarz, rotzfrech und zuckersüß, nahm den Laden sofort in Besitz. Die ganz Gasse machte „Ah!“ und „Oh!“ und war begeistert. Die ganze Gasse? Nein! Denn in einer Wohnung gegenüber brachten die Umstände eine unschuldige Autorin dazu, sich ernsthaft um ein mögliches Verrücktwerden Sorgen zu machen. Und das ging so: Der Hund hatte die lustige Angewohnheit, sich aus dem ebenerdigen Lokal rauszuhängen und die Gasse zu kontrollieren. Ich saß mit meinem eingeübten Blick auf die angebotenen Wunder des Ladens am Fenster und schrieb. Der Hund sah aus der Tür heraus. Süß. Fein. Beim nächsten Rausschauen war er bereits im Laden drin und saß im Schaufenster. Immer noch okay. Aber dann, beim nächsten Blick, war er weder bei der Tür noch im Fenster, sondern plötzlich in der Wohnung zwei Stöcke darüber, wo er gut gelaunt aus dem Fenster guckte. Die Wohnung gehörte jemand völlig anderen, und das kam mir seltsam vor. Der Hund verschwand. Und tauchte – ich schwöre! – ein paar Sekunden später wieder im angestammten Schaufenster auf. Ich rieb mir die Augen.

Mit dieser Geschwindigkeit konnte er nur durch die Decke hinab gebrochen sein. Aber im Geschäft verhielten sich alle wie immer. Völlig entspannt. Ich sah nochmals hin. Der Hund war weg. Und wieder in der anderen Wohnung. Ich wurde ganz eindeutig wahnsinnig. Anders konnte das nicht mehr erklärt werden. Bevor ich mich dem Irrsinn ergab, suchte ich im letzten Aufbäumen den Laden auf und fragte nach. Nun ja, was soll ich sagen: Der Hund im zweiten Stock sah zwar genauso aus, war aber die Schwester.

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