Dem Wienerlied verfallen

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Manche Menschen haben einen schwierigen Start ins Leben und bewahren sich dennoch bis ins hohe Alter ein heiteres Wesen. Vorhang auf für Felix Lee.

Von Alexia Weiss   

Sein Instrument: das Akkordeon. Sein Genre: das Wienerlied – aber nicht nur. Seine Heimat: Wien. Sein Aussehen: asiatisch. Seine Identität: jüdisch. Wer Felix Lee nicht kennt, denkt: Was für ein bunter Vogel. Auf den zweiten Blick ist alles anders: Lee ist Wiener durch und durch. Hier wuchs er auf, hier überlebte er die NS-Zeit, hier erfüllte er sich seinen Traum: ein Leben mit und für die Musik. Über hundert Wienerlieder hat er im Lauf seines Lebens komponiert.

„Es beruhigt mich, dass ich weiß, dass ich, auch wenn ich nicht mehr lebe, Teil einer Gemeinschaft bleibe ...“

In seiner Jugend bevorzugte er andere Klänge: Der amerikanische Swing hatte es ihm angetan. Als langsam die Beatles und in ihrem Gefolge andere Popbands die Charts eroberten, machte Lee diese Entwicklung allerdings nicht mit. Er orientierte sich eher in Richtung Schlager und Chanson. Und blieb schließlich beim Wienerlied hängen, „das ja auch sehr viel vom Schlager in sich hat“.

Die Musik wurde Felix Lee in die Wiege gelegt – und dann auch wieder nicht. Sein Vater, Sohn aus vermögendem Haus, war aus China zum Musikstudium nach Wien gezogen. Auf der Suche nach einem Zimmer stieß er auf Felix Lees Großmutter, eine Jüdin. Sie war mit ihren Eltern und den Geschwistern noch in der Monarchie von Mähren nach Wien zugezogen. Man schrieb die 1930er, und sie lebte mit ihrer heranwachsenden Tochter im dritten Bezirk. Die Familie besaß ein Klavier und hatte ein Zimmer unterzuvermieten. Eine ideale Bleibe für den jungen Musikstudenten also, da sich auch die Musikakademie in Wien-Landstraße befand. Bald lag Romantik in der Luft: Er verliebte sich in die Tochter des Hauses. Die Eheschließung im Rathaus fand sogar ihren Weg in lokale Medien.

Als 1935 der kleine Felix auf die Welt kam, war der Vater allerdings bereits nach China zurückgereist – er war an die Universität von Nanking berufen worden. Frau und Kind sollten folgten, und so machte sich die junge Mutter wenige Monate nach der Geburt auf die lange Reise. Die Welt, wie sie sich ihr in diesem fernen Land eröffnete, schien ihr nicht einladend – die Realität war eine gänzlich andere als in ihrer Vorstellung. So nahm sie nochmals die einen Monat dauernde Reise auf sich und kehrte mit demselben Schiff, das sie nach China gebracht hatte, wieder nach Wien zurück. 1936 trafen Mutter und Sohn wieder in Österreich ein und zogen zurück zu Felix’ Großmutter in den dritten Bezirk. 1937 wurden seine Eltern offiziell geschieden.

Im Jahr darauf griffen die Nationalsozialisten auch in Österreich nach der Macht. Das Leben wurde schwierig für die Familie. Die Wohnung wurde „arisiert“, man musste in die Leopoldstadt umziehen. Die Mutter war durch ihre Heirat mit einem chinesischen Staatsbürger 1933 zunächst geschützt, doch der Sohn durfte die Volksschule nicht besuchen, die Großmutter konnte ab 1943 überhaupt nur als U-Boot versteckt überleben. Als die Lage immer schwieriger wurde, weil das NS-Regime eine jüdische Chinesin ohne Ehemann nicht mehr akzeptieren wollte, ergab sich für die Mutter die Möglichkeit einer zweiten Heirat: 1944 ehelichte sie erneut einen chinesischen Staatsbürger und trug von da an den Familiennamen Lee-Chang. Diese Verbindung war mehr Zweck- denn Liebesheirat, sagt der Sohn heute. In den Nachkriegsjahren trennte sich das Paar wieder. Doch endlich konnte der kleine Felix in die Schule gehen. Jeden Tag machte er sich nun auf den Weg von der Blumauergasse, wo er inzwischen mit seiner Mutter lebte, in die Pazmanitengasse.

Dunkle Zeiten & große Leidenschaften

Das Belastendste in dieser Zeit war im Rückblick, niemandem sagen zu dürfen, dass er Jude war. Und die Großmutter, von der er großteils aufgezogen worden war und die er so sehr liebte, zwar manchmal sehen zu können, darüber aber niemals sprechen zu dürfen. Auch all die Verwandten, die inzwischen in Lager verbracht worden waren und an die der Stiefvater so emsig Pakete schickte, mussten verheimlich werden. Ob er in der NS-Zeit wegen seines asiatischen Aussehens gehänselt worden sei? Nein, eigentlich nicht, sagt Lee. Er meint heute, die Väter seien an der Front und jeder mit seinen eigenen Sorgen befasst gewesen. Anders sah das dann in der Nachkriegszeit aus. Lee war kränklich, musste an den Ohren operiert werden. So schickte man ihn in eine Hauptschule. Anschließend absolvierte er eine Lehre als Goldschmied – nicht sein Wunschberuf, aber für diesen Beruf musste man nicht stark sein.

Seine Leidenschaft war aber die Musik. Nach absolvierter Lehre arbeitete er zwar für ein paar Jahre als Goldschmied, lernte aber parallel dazu am Konservatorium. Er studierte Akkordeon, Klavier und Komposition. Eine Stelle als Musiklehrer der Stadt Wien ermöglichte es ihm schließlich, auch von der Musik zu leben. Unterrichten diente dem Lebensunterhalt. Doch auch die Bühne hatte ihn in ihren Bann gezogen. Lee begründete das Wiener Akkordeon Solisten Ensemble mit und bildete einige Jahre später mit Gertrude Kisser – sie ist österreichische Akkordeonmeisterin – das immer noch aktive Akkordeonduo Gola. Bis heute steht Lee gerne auf der Bühne, um mit seiner Musik den Menschen Freude zu bereiten, auch wenn er schmunzelnd sagt, dass man sich in seinem Alter – er feierte kürzlich seinen Achtziger – mit der Kondition schon etwas schwer tue. Gespielt hat Lee übrigens auch mit Geduldig & Thimann – und dabei auch die jüdische Musik kennen und lieben gelernt.

Was heute anders ist als in seiner Jugend: Heute kann Felix Lee klar zu seiner jüdischen Identität stehen. Der erste Ort, wo er sich endlich einmal als Jude zu erkennen geben durfte, war übrigens der Haschomer Hatzair. Lee erinnert sich an schöne Stunden im Wiener Ken und langjährige Freundschaften. Den anderen Freunden öffnete er sich über Jahrzehnte nicht – zu sehr war er von seiner Kindheit im NS-Regime geprägt. Erst mit Waldheim brach etwas in ihm auf, das er heute so beschreibt: „Damals musste man Position beziehen.“ Für ihn war klar, auf welcher Seite er stand. Damals trat er auch der Kultusgemeinde bei und ist bis heute Mitglied.

Ein religiöses Leben hat Felix Lee umständehalber nicht kennen gelernt. Schon die Großmutter hatte mehr säkular als religiös gelebt, anders wäre die Verbindung ihrer Tochter mit einem Nichtjuden auch nicht vorstellbar gewesen. Aber wie Lee es schmunzelnd formuliert: „Jede jüdische Familie war vor einigen Generationen einmal religiös.“ In seiner Jugend ist aber Jom Kippur gehalten worden. Und auch Pessach hat man gefeiert: „Wir haben immer einen Sederabend gehalten mit Kerzen und Mazzot und traditionellen Speisen.“

Über die Jahre sei seine Spiritualität intensiver geworden, erzählt Lee – und wird nachdenklich. Jeder komme einmal in ein Alter, in dem man auch an das Lebensende denke. „Und ich muss sagen: Es beruhigt mich, dass ich weiß, dass ich, auch wenn ich nicht mehr lebe, Teil einer Gemeinschaft bleibe und dort liegen werde, wo auch meine Mutter liegt: am vierten Tor.“ ◗

Felix Lee, geb. 1935 in Wien, überlebte die Schoah in Wien, da seine Mutter mit einem chinesischen Staatsbürger verheiratet war. Jugend im Haschomer Hatzair. Goldschmiedlehre, anschließend Studium am Konservatorium der Stadt Wien (Akkordeon, Klavier, Komposition). Ab 1962 bis zur Pensionierung 1995 Musiklehrer an Musikschulen der Stadt Wien. Bis heute als Komponist und Musiker tätig. Sein Werk umfasst Kompositionen für Akkordeon, Orchester, Kammermusik sowie über hundert Wienerlieder und Chansons. 2006 Verleihung des Professorentitels. Zahlreiche weitere Auszeichnungen. Lee ist Vater einer erwachsenen Tochter und lebt mit seiner langjährigen Partnerin in Wien.

Bild: © Daniel Shaked

1 KOMMENTAR

  1. Es ist eine sehr, sehr schöne und beeindruckende Geschichte. Wir kennen einander seit vielen Jahren, aber ich habe sehr viel über Dich erfahren,lieber Felix und freue mich darüber! Danke!

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