Wina Editorial

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Jedes Jahr zu Purim feiern Juden in aller Welt die Errettung ihres Volkes vor der Vernichtung im persischen Reich des Achaschwerosch. So spektakulär der Ausgang war, so still ging die Errettung vor sich: Ester, die jüdische Königin, überredete den König, den Plan Hamans zur Ermordung und Enteignung aller Juden im Reich zu unterbinden und so ihr Volk vor dem Verderben zu retten. Um uns daran zu erinnern, feiern wir also jedes Jahr ein rauschendes Fest und versuchen dabei, Freunde, Familie und Bedürftige glücklich zu machen. Das ist der Sinn von Purim: feiern, schenken, helfen und Le’Chaim rufen, um damit auf das Leben anzustoßen. In einer Welt der Krisen und Kriege, in einer Gesellschaft der Egoisten und Selbstverwirklicher ist dieser Feiertag wohl aktueller denn je und eine wichtige Zäsur in unser aller Alltag.

„Keinen verderben lassen, auch nicht sich selber, jeden mit Glück erfüllen, auch sich. Das ist gut.“ Bertolt Brecht

Zur Zeit Esters fühlten sich die Juden Persiens sicher und waren wohl Teil der multikulturellen Mehrheitsgesellschaft. In dieser Sicherheit wiegen sich auch die europäischen Juden seit Jahrzehnten und doch werden in den letzten Jahren Juden in Europa getötet, weil sie Juden sind – sagt Ariel Muzicant, Vizepräsident des EJC im Interview. Er spricht über das subjektive und objektive Sicherheitsempfinden jüdischer Gemeinden und über das gemeinsame Ziel, gerade jetzt Menschlichkeit zu leben – auch wenn das Wie unterschiedlich definiert wird. Historikerin Shoshana Duizend-Jensen zum Beispiel unterrichtet Geflüchtete in Deutsch. Mediatorin Claudia Prutscher vernetzt über den Verein Cardamon & Nelken heimische Kulturschaffende mit jenen, die sich nach Österreich gerettet haben.

Alt-Kanzler Franz Vranitzky kritisiert im großen WINA-Gespräch die Uneinigkeit Europas. Er zeichnet eine Kulilsse aus weltpolitischen Krisen, in der Flüchtlingsbewegungen auf die Wirtschaftskrise in einem gespaltenen Europa treffen. Er spricht kritisch über das Verhältnis Europas zu Russland und mahnt davor, die Zeichen an der Wand zu ignorieren.

Stets gegen Rassismus und Diskriminierung arbeitete auch die verstorbene Regielegende Luc Bondy. Schauspielerin Dörte Lyssewski erzählt von ihrer jahrzehntelangen Zusammenarbeit, von seiner Lebenslust und seiner Auseinandersetzung mit der eigenen Jüdischkeit.

Wir haben in diesem Heft Politiker, Wissenschaftler und Künstler zu politischen und gesellschaftlichen Krisen und zu persönlichen Herausforderungen befragt. Bei allen fanden wir ähnliche Antworten: es reicht nicht zu jammern, wir alle müssen etwas tun – in der Realpolitik, im persönlichen Umfeld und im eigenen künstlerischen Schaffen, um andere und letztlich auch sich selbst ein Stück glücklicher zu machen. Und das nicht nur zu Purim.

Julia Kaldori
Chefredaktion

Bild: © flash 90

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