Wina Editorial

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Kennen Sie das? Sie wachen mitten in der Nacht auf, und die Sie umgebende Stille wird zur Bedrohung? Ich merke oft erst dann, wie laut es den ganzen Tag für Aug’ und Ohr ist: politisches Geschrei, Kriegsgedonner, Baustellenlärm, Existenzangstgepolter, Bilder von Elend, Tod und Flucht.

Ja, sie haben es gerne laut, schrill und geifernd – die neuen Populisten und Nationalisten allerorts. Die Trumps, Le Pens oder Petrys schreien uns ununterbrochen das einzig Gültige entgegen. Sie haben stets rasche Lösungen für die immer gleichen Probleme – die sie uns mit ihren Drohgebärden als Bedrohungsszenarien entgegen schleudern: Terrorismus, Flüchtlingskrise, Globalisierung und Multikulturalität. Und auch ihre Lösungen lauten gleich martialisch auf allen Kontinenten: Maschendrahtzäune, geschlossene Grenzen, hartes Durchgreifen und – sofern das auch noch durchgeht – Bombenwerfen. Differenzieren, Argumentieren, Nachdenken sind out – Lügen und Sündenböcke sind wieder einmal in. Ihre Argumentationsmittel geben Auskunft über ihre Ziele, denn: Man schreit, wenn man Angst hat und verunsichert ist.

„Die Vernunft spricht leise, deshalb wird sie so oft nicht gehört“ Jawaharlal Nehru

Vielleicht passiert einmal ein Wunder und die Welt kommt zur Ruhe, der Frieden auf Erden kehrt ein, und die Schreihälse allerorts werden zum Schweigen bekehrt. Doch bis dahin müssen wir, die durch diese Lärmbelastung müde und krank werden, aktiv Widerstand in der eigenen Umgebung leisten – eine schwierige Aufgabe, da unsere Mittel meist eher leise und vor allem begrenzt sind. Doch wie der Dalai Lama sagt: Wenn du glaubst, dass du zu klein bist, um etwas zu bewirken, dann versuche zu schlafen, wenn eine Mücke im Raum ist. ‒ Das ist die Macht, die wir als Einzelne in der Hand halten. Wir können nachdenken und argumentieren, mutig und gütig sein, wir können lieben und mitfühlen. Wir können achtsam leben und uns immer wieder bewusst machen, dass wir zwar unmittelbar kein Brexit verhindern können, keine Ertrunkenen aus dem Mittelmeer retten und alleine keine Mauern beseitigen können – aber die Macht haben, zu summen und lästig zu sein. Und je mehr bewusste Individuen es gibt, umso mehr Mittel stehen uns gemeinsam zur Verfügung, um die Mauern der Angst zu niederreißen.

Wir verhängen unsere Fenster mit Vorhängen, unsere Türen mit Schlössern und unsere Häuser mit Alarmanlagen, damit niemand herein kann. Aber wir halten unsere Augen und Ohren ständig offen und lassen den Lärm der Außenwelt uneingeschränkt hinein, obwohl Körper und Geist unser einziges wirkliches Zuhause darstellen, in das wir uns zurückziehen können, in dem wir uns erholen können, um erneut zu Kräften zu kommen — auch um dann Veränderungen vollziehen zu können.

Nun ist der Sommer da, die vielleicht beste Zeit, um die Außenwelt außen vor zu lassen, sich zurückzuziehen. Ein wenig Müßiggang, die Sonne, die Wärme, die Familie genießen – und mit sich eins werden (wie die Dame auf unserem Cover). Um dann mit neuen Kräften widerständig und „lästig“ zu werden.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen einen leisen, nachdenklichen und liebevollen Sommerbeginn.

Von Julia Kaldori

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