„Wir haben die besseren Argumente“

Daniela Bankier, Spitzenbeamtin in der EU-Kommission, lobt die österreichische Initiative für die Antisemitismusresolution und spricht über offene Fragen in der Gleichstellung von Männern und Frauen.

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Daniela Bankier. „Den Europäern ist bewusst, dass wir in Zeiten großer Veränderungen leben und die EU ein lebendiger Kosmos ist.“ © Reinhard Engel

Wina: Sie haben in Ihrer Geburtsstadt Wien sowie in Paris und Michigan, USA, studiert und 2003 zu den rechtlichen Fragen der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion promoviert. Ihre Karriere in der EU-Kommission ist beeindruckend: Sie haben sieben Jahre die Abteilung für Chancengleichheit zwischen Frauen und Männern in der EU geleitet, davor die Rechtsabteilung für Gleichbehandlung und Antidiskriminierung. Welche Projekte konnten Sie in dieser Zeit realisieren, was konnten Sie für die reale Lebenswelt verändern?

Daniela Bankier: Da gibt es einiges, z. B. hat mein Team, unter meiner Leitung, die Richtlinien ausgearbeitet, die u. a. das Gesetz zum Verbot der Diskriminierung am Arbeitsplatz enthalten. Damit ist Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, des Alters, einer Behinderung, der ethnischen Herkunft oder Rasse, der Religion, des Glaubens oder der sexuellen Orientierung in der europäischen Union illegal. Und jede Person, die sich durch den Arbeitgeber, egal ob in Bulgarien, Frankreich oder Österreich benachteiligt fühlt, kann das individuell vor nationalen Gerichten, letztinstanzlich vor dem Europäischen Gerichtshof einklagen.

Ist bei dieser Definition von Diskriminierung auch der Antisemitismus enthalten?
Ja, weil es zur Religion zählt. Das ist geltendes Recht und muss von den Gerichten in allen Mitgliedstaaten respektiert werden. Das ist schon spannend, wenn man etwas durchsetzen kann, das es in dieser Art vorher nie gegeben hat.

Während der österreichischen EU-Ratspräsidentschaft wurde eine Initiative für eine europaweite Antisemitismusresolution gestartet. Hierzulande erntete Bundeskanzler Kurz viel Lob dafür. Wurde das auch in Brüssel so positiv aufgenommen?
Ich mag die Ausdrücke historisch oder epochal nicht, aber hier wären sie durchaus angebracht: Dank der österreichischen Präsidentschaft ist es das erste Mal gelungen, dass alle Mitgliedstaaten diese Resolution zum Kampf gegen den Antisemitismus unterstützt und verabschiedet haben. Das ist ganz wichtig, und das musste die Präsidentschaft nicht machen, sie hat das aber sehr engagiert betrieben.

»Es ist das erste Mal gelungen, dass alle Mitgliedstaaten diese Resolution zum Kampf gegen den Antisemitismus unterstützt und verabschiedet haben.«

 

Die Definition ist nicht rechtsverbindlich?
Nein, weil es sich eher um einen politischen und nicht um einen rechtsverbindlichen Text handelt. Aber es ist das erste Mal, dass sich der EU-Ministerrat zu einem Text verpflichtet, der erstens überhaupt den Antisemitismus definiert und zweitens sich für den Kampf gegen Antisemitismus in all seinen Formen in dieser Deutlichkeit ausspricht. Bisher gab es Erklärungen zur Xenophobie, zur Islamophobie, und wir mussten ständig dafür kämpfen, dass hinter all den vielen Beistrichen vielleicht noch Antisemitismus ausdrücklich dazukommt. Das ist jetzt ein großer Erfolg, und das muss man so anerkennen.

Werden in der Resolution Antisemitismus und Antizionismus als gleichwertige Übel dargestellt?
Nicht ganz so deutlich, denn man hat die Arbeitsdefinition der Internationalen Allianz für Holocaust-Gedenken (IHRA) als Grundlage genommen. Aber es wird auf einen anderen Text verwiesen, wo das dann so enthalten ist. Man sollte positiv sehen, was jetzt drinnen steht, das ist ein großer Schritt. Es ist kein bindendes Recht, aber politisch ein ganz wichtiges Zeichen.

Wie steht es um die Gleichbehandlung von Frauen?
Die Gleichstellung und Gleichbehandlung im Berufsleben ist immer noch ein ganz schwieriges Thema. Grundsätzlich finden es alle immer gut, dass niemand diskriminiert werden soll, aber wenn es dann um die Detailfragen geht, diesen Schutz europaweit zu verankern, dann gibt es schon Widerstände.
Wir forcieren in der EU die Gleichberechtigung, weil das ein Grundwert der EU ist und zu unserer „DNA“ gehört. Wir fördern die wirtschaftliche Unabhängigkeit der Frauen, weil das die wichtige Voraussetzung für die gleichberechtigte Teilnahme an der Gesellschaft und zum selbstbestimmten Leben ist. Das stärkt sie auch gegen mögliche Gewalt und Übergriffe. Die EU fördert Frauen, damit sie im Erwerbsleben stehen, sich am Arbeitsmarkt behaupten, ihre Talente einbringen, Steuern zahlen, um so ihren Beitrag zur Gesellschaft und für die europäische Wirtschaft leisten können. Die skandinavischen Länder sind uns da eine Generation voraus, und ihr Wirtschaftsmodell ist auch deshalb so erfolgreich, weil dort die Gleichstellung von Frauen und Männern weitgehend verwirklicht ist.

Welche Erfahrungen haben Sie selbst auf ihren diversen Karrierestufen gemacht?
Ich habe meine Karriere in der Österreichischen Nationalbank begonnen, diese ist von Männern dominiert, und ich war oft die einzige Frau in einer Sitzung. Ich hatte aber nie das Gefühl, als Frau nicht ernst genommen zu werden. Vielleicht hatte ich Glück, dass ich mit Männern zusammengearbeitet habe, die Frauen auch bewusst gefördert haben. Erst ab dem Moment, als ich Kinder hatte, wurde ich schon anders behandelt. Man wird in das Mami-Eck gestellt, man ist keine Konkurrenz mehr, und die Männer ziehen an einem vorbei – oder versuchen es zumindest.

Das heißt, die Männer sind noch nicht bereit, ein Stück von ihrem Kuchen abzugeben?
Ich sehe schon Fortschritte: Es kommt jetzt viel natürlicher und systematischer vor, dass Männer sich bei der Erziehung der Kinder stärker engagieren, das auch gerne tun und als Bereicherung empfinden. Ich sehe das im persönlichen Umfeld: Zwischen meinem ersten und dritten Kind lagen acht Jahre. Die Zahl der Väter, die ihre Kinder in die Schule bringen oder abholen, ist jetzt ungefähr gleich wie die der Mütter – früher waren das immer nur die Mütter. Diese Veränderung hat die Politik sehr bewusst gefördert – auch mit dem Vaterschaftsurlaub, der in Teilen der EU-Staaten schon verwirklicht ist. Diese gesellschaftliche Entwicklung geht in die richtige Richtung.

Im Mai wird ein neues EU-Parlament gewählt, damit wird auch die Kommission neu bestellt. Welche gravierenden Veränderungen erwarten Sie in der zukünftigen Zusammensetzung des Parlaments und der Kommission?
Das Allerwichtigste ist die Teilnahme an den Wahlen, das wird ganz entscheidend sein. Den Europäern ist bewusst, dass wir in Zeiten großer Veränderungen leben und die EU ein lebendiger Kosmos ist, der sich auch ständig verändert. Ich traue mir keine Prognose zu, aber bei dieser Wahl geht es hauptsächlich darum, ob die europafreundlichen und Europa unterstützenden Kräfte gewinnen oder die europakritischen bis europafeindlichen. Daher ist es umso wichtiger, dass man an der Wahl teilnimmt und so seine Meinung kundtut.

Wird es im Parlament zu dem befürchteten Rechtsruck kommen?
Ich bin zuversichtlich, dass die Vernunft und die europäischen Werte, von denen die Mehrheit der Menschen überzeugt ist, in diesen schwierigen Zeiten überwiegen werden. Ich hoffe, dass die europa-freundlichen Kreise gut mobilisieren und überzeugen können, denn wir haben eindeutig die besseren Argumente.

Wie wird der Brexit aufgenommen?
Wir bedauern das sehr, sind alle eher traurig, dass es so weit gekommen ist. Gerade bei unserem Thema der Gleichstellung waren die Briten ein ganz wichtiger Partner, der uns mit wesentlichen Impulsen unterstützt hat. Sie werden uns gerade auch auf diesem Politikfeld sehr fehlen. Das Chaos, das jetzt auf der Insel entstanden ist, hat sicher eine abschreckende Wirkung für manches andere Mitglied.

Wie sehen Ihre persönlichen Zukunftspläne aus?
Ich bin derzeit in der Generaldirektion für Justiz: Die Gerichtsbarkeit in Europa, die Qualität der Gerichte, die Grundrechte, die Rechtsstaatlichkeit und Demokratie in Europa, das sind alles ganz wichtige und spannende Themen. Ich möchte gerne weiter für die EU-Kommission tätig sein und gerade auch in schwierigen Zeiten an diesem großen Projekt Europa weiterarbeiten, denn es gibt noch so viel zu tun. Da ich aus der Wirtschaftspolitik komme, könnte ich mir vorstellen, mich auch stärker in den Außenbeziehungen oder der Entwicklungspolitik einzubringen.


Daniela Bankier, geboren und aufgewachsen in Wien; Studium der Rechtswissenschaften; 2003 Promotion zu rechtlichen Fragen der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion; seit 1999 bei der Europäischen Kommission in Brüssel tätig, 2009–2016 Leitung der Abteilung für Chancengleichheit zwischen Frauen und Männern in der EU; derzeit in der Generaldirektion für Justiz tätig.

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