„Wir sind sehr offen“

Lea Nanikashvili strahlt vor allem eines aus: Herzlichkeit. Die Mutter von zwei Kindern stammt aus einer georgischen Familie und arbeitet für die Nachbarschaftshilfe sowie die Bildungskommission der IKG Wien. Ihre Identität beschreibt sie als vielschichtig, die georgische Kultur spielt aber eine große Rolle. Diese versucht sie auch ihrer Tochter und ihrem Sohn zu vermitteln.

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Foto: Daniel Shaked

Nach Wien brachte Lea Nanikashvili 2010 die Liebe. 1986 als Tochter georgischer Juden, die es zunächst nach Israel gezogen hatte, in Belgien geboren, wuchs sie nahe Antwerpen auf. Dort besuchte sie eine öffentliche Schule, dort absolvierte sie auch ein Jusstudium – das sie schließlich aber nur abschloss, um abzuschließen, was sie begonnen hatte. Bereits während des Studiums wurde ihr klar, dass es sie beruflich in eine andere Richtung zog – zum Beispiel in die Psychologie.

Doch bevor sie konkrete andere Studienpläne wälzen konnte, lernte sie ihren späteren Mann Aaron kennen. Wie sie kommt auch er aus einem georgischen Elternhaus. Die Väter der beiden hatten noch in Georgien miteinander Fußball gespielt, so kannten die Familien einander. Lea und Aaron kamen sich jedoch über Social Media näher, und schließlich reiste Aaron nach Belgien für ein erstes richtiges Treffen. Rund ein Jahr später heirateten die beiden. Auch Aaron kam nicht in Wien zur Welt: Er zog als Teenager mit seinen Eltern von Israel nach Wien.

Bald kamen die beiden Kinder des jungen Paars zur Welt: Der Sohn ist inzwischen 14 Jahre alt, die Tochter elf. Von Anfang an war es Nanikashvili allerdings wichtig, ihr Deutsch, das sie in Belgien am Gymnasium bereits als Fremdsprache erlernt hatte, zu perfektionieren. Dankbar ist sie ihrem Mann, dass er sie hier auch entsprechend gestupst hat: „Er meinte, ich soll alle Termine mit den Kindern zum Beispiel bei Ärzten allein machen, so lernt man die Sprache am besten. Und das hat gestimmt.“

Sprachen zu lernen und zwischen verschiedenen Idiomen hin- und herzujonglieren ist sie allerdings von klein auf gewohnt. Die Familiensprache in Belgien war Georgisch, mit Georgisch wuchs sie auch in ihren ersten Lebensjahren auf. In der Schule war die Unterrichtssprache Flämisch, später kamen Französisch und Englisch sowie eben Deutsch dazu. Hebräisch hat sie sich nach der Matura im Selbststudium beigebracht, erzählt sie.

Hebräisch und Deutsch sind heute die Familiensprachen in der Familie Nanikashvili in Wien – wobei sie mit den Kindern zunächst nur Hebräisch und ihr Mann mit diesen nur Deutsch gesprochen habe. Inzwischen sei das mehr ein Mix. Das Flämische versuchte sie zunächst hintanzuhalten, da es dem Deutschen zu ähnlich sei und sie die Kinder nicht überfordern wollte. Heute lernt ihre Tochter auf eigenen Wunsch auch Flämisch, ihr Sohn versteht es. Nicht mehr sehr sicher fühlt sich Lea Nanikashvili dagegen im Georgischen. Auf Reisen in die Heimat der Vorfahren über lässt sie das Reden daher lieber ihren Eltern oder ihrem Mann.

Foto: Daniel Shaked

Stichwort Reisen. Mehrmals im Jahr fliegt Lea Nanikashvili nach Antwerpen, um ihre Eltern zu besuchen. Immer wieder geht es aber auch nach Georgien – und dann meist nach Tbilisi oder Batumi. Kutaisi, die Heimat ihrer Mutter, und Kobuleti, den Geburtsort des Vaters, hat sie bisher jeweils einmal aufgesucht. Besonders gern erinnert sie sich dabei an die gemeinsamen Touren mit ihren Eltern, die ihr zeigten, wo und wie sie groß geworden waren.

Die Familie ihres Mannes sei dagegen stärker in Israel verankert. Ihr selbst sei Israel zwar auch wichtig, aber ihr Herz hänge an Belgien. Gefragt, als was sie sich fühle, meinte sie: „Ich bin belgisch. Dort bin ich aufgewachsen.“

Dort habe sie auch wie all ihre Freundinnen bereits im Alter von 15 Jahren neben der Schule zu arbeiten begonnen. Jeden Sonntag jobbte sie ab frühmorgens in einer Bäckerei. Der Vater sei anfänglich dagegen gewesen; „aber ich habe gesagt: Alle Freunde arbeiten, und wenn ich das nicht mache, schaut das komisch aus.“ Heute ist sie dankbar für diese Erfahrungen und wünscht sich, dass auch ihre Kinder schon früh Arbeitserfahrungen machen. Das tue jedem gut.

Wichtig war es Lea Nanikashvili auch, nach ihrer Heirat in Wien rasch berufstätig zu sein. Zunächst machte sie sich mit einem Kleinunternehmen im Bereich Online-Handel selbstständig, dann absolvierte sie am JBBZ die Ausbildung zur Kindergartenassistentin und war dann ab 2019 im ZPC-Kindergarten tätig. Das war im Rückblick der erste Schritt in ihre neue berufliche Richtung. 2022 wechselte sie in die IKG, wo sie zunächst half, die Nachbarschaftshilfe mitaufzubauen, die sie bis heute betreut. Seit vergangenem Jahr arbeitet sie auch für die Bildungskommission – und begleitet dabei vor allem Familien, die nach einer geeigneten Bildungseinrichtung für ihr Kind oder ihre Kinder suchen.

 

„Zum Glück bietet Wien so viele Möglichkeiten,
die eigene jüdische Identität zu stärken und zu leben.“
Lea Nanikashvili

 

Ja, sagt Nanikashvili, natürlich sei ein jüdisches Setting dabei eine feine Sache. Sie selbst spüre heute, dass ihr durch den Besuch einer öffentlichen Schule hier, was das Thema Identität betrifft, ein bisschen etwas fehle. In Antwerpen habe es zwar eine große jüdische Gemeinde gegeben, diese sei aber aschkenasisch-orthodox und sehr französisch geprägt gewesen. Zudem habe sie mit ihrer Familie etwas außerhalb der Stadt gewohnt; so gab es auch kaum Kontakt zur sehr großen nichtjüdischen georgischen Community, und so habe sie auch keine jüdische Jugendorganisation besucht. Zu Hause hielten ihre Eltern es so, wie sie es auch mit ihren Kindern hält: Traditionen werden gepflegt – von den Feiertagen bis zur georgischen Küche.

Sie sagt aber auch, es gebe Kinder, die andere Bedürfnisse hätten. Und hier sei es vielleicht klüger, einen Platz an einer nichtjüdischen Schule zu suchen. Bei dieser Suche unterstützt und begleitet sie Familien. Dabei kann sie – wie auch in der Nachbarschaftshilfe – durchaus auch auf ihre persönlichen Erfahrungen zurückgreifen. Sie weiß, was es bedeutet, in einem anderen Land mit fremder Sprache neu anzufangen. Sie weiß aber auch, wie wichtig es ist, den Bedürfnissen eines Kindes gerecht zu werden. Ihr Sohn besucht daher eine nichtjüdische Schule, ihre Tochter geht in eine jüdische Schule.

Und sie meint: „Zum Glück bietet Wien so viele Möglichkeiten, die eigene jüdische Identität zu stärken und zu leben.“ Es gebe ein so großes Angebot für Kinder und Jugendliche, dass jede oder jeder ihren oder seinen Platz in einer Jugendorganisation finde. Eine spezifisch georgische Jugendorganisation gebe es zwar nicht, dafür sei die jüdisch- georgische Community zu klein. So finden daher die einen ihren Platz bei Jad be Jad, andere in der Bnei Akiva und wieder andere im Shomer. Das entspreche insgesamt auch dem Mindset der georgischen Juden: „Wir sind sehr offen.“ Nicht klar zu benennen sei daher auch, ob man sich eher aschkenasisch oder mehr sephardisch sehe. „Wir sind da irgendwo in between.“

Ihre Tätigkeit für die IKG macht Nanikashvili große Freude. „Es ist schön, jeden Tag Menschen und Familie helfen zu können.“ Dabei lerne sie zudem viele neue Leute kennen. Auch das schätzt sie an ihrer Arbeit. Was ihr allerdings wichtig ist: sich auch hier weiterzuentwickeln. Sie lotet gerade aus, welche Aus- und Weiterbildung sie noch näher in den Bereich der Sozialarbeit bringen könnte. Schon ihr jetziger Alltag gehe in diese Richtung und sie merke: Das ist das Richtige.

Ihren beiden Kindern will sie vor allem eine jüdische Identität, aber auch die Freude am Lernen weitergeben. Doch auch die georgische Kultur ist ihr wichtig. Die Tochter erlernte in einer georgischen Tanzgruppe traditionelle Tänze – und sorgte damit beim Siebziger des Vaters in Antwerpen gemeinsam mit ihren Cousins für eine gelungene Tanzeinlage. Dann ist da natürlich die georgische Küche mit Khachapuri, einem mit Frischkäse gefülltem Fladenbrot, Chadi, einem Maisbrot, Khinkali, gefüllten Teigtaschen, Lobiani, einem mit Bohnenpaste gefüllten Fladenbrot, oder mit dem Bohneneintopf Lobio sowie mit vielen Salaten. Mit diesen Gerichten wurde Lea Nanikashvili groß, sie kocht sie auch immer wieder für ihre Kinder. Am Schabbestisch sind sie allerdings selten zu finden, denn, so erzählt sie schmunzelnd: „Mein Mann mag dieses Essen nicht – obwohl seine Mutter es auch kocht.“

Kultur ist für sie aber auch mehr als Speisen und Tänze. Geprägt habe sie zum Beispiel Der Recke im Pantherfell von Shota Rustaveli, das georgische Nationalepos, entstanden im 12. Jahrhundert. Die zwei Helden Tariel und Avtandil überwinden darin gemeinsam große Gefahren, um die von ihnen geliebten Nestan-Darejan sowie Tinatin zu retten beziehungsweise sich ihrer als würdig zu erweisen. Eine große Rolle spielen dabei die ritterlichen Tugenden der beiden. „Es ist eine wunderschöne Geschichte“, erzählt Lea Nanikashvili. Und dass es solche Geschichten gibt, das möchte sie auch an die nächste Generation weitergeben.

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