Wo der Terror zwei Mal zuschlug

Es ist ein so kleiner Platz, der Desider Friedmann-Platz, benannt nach einem ehemaligen Präsidenten der Israelitischen Kultusgemeinde Wien, der 1944 im KZ Auschwitz ermordet wurde. Inzwischen finden sich auf ihm bereits zwei Erinnerungsorte für hier verübte Anschläge: 1981 wurden zwei Gemeindemitglieder von einem palästinensischen Terroristen getötet. Im November 2020 ermordete ein islamistischer Attentäter hier und in den umliegenden Gassen vier Menschen und verwundete 23 weitere.

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Monate lang umgaben den imposanten Baum in der Mitte des Desider Friedmann-Platzes Kerzen, dazwischen vertrocknete Blumen und verwitterte Trauerbekundungen. Nach dem blutigen Anschlag hatten viele Menschen das Bedürfnis, zu trauern und der Platz, aber auch die Seitenstettengasse, der Beginn des Rabensteigs und ein Teil des Schwedenplatzes verwandelten sich in ein rot-weiß-dominiertes Kerzenmeer.

Lockdown sei Dank hatten die Lokale ab dem Tag nach dem Attentat geschlossen – so konnten die wächsernen Trauergesten über viele Wochen verbleiben, wo sie hingestellt wurden. Ende Februar ersetzte die Stadt die temporären, spontan gewachsenen Gedenkstätten durch einen offiziellen Gedenkstein. Schlicht gestaltet mit spartanisch gehaltener Inschrift erinnert er nun neben dem Baum am Desider Friedmann-Platz an das Attentat Ende vergangenen Jahres.

„Im Gedenken an die Opfer des Terroranschlages vom 2. November 2020 – In memoriam of the victims of the attack on 2 November 2020“ wurde auf den Stein eingraviert. Darunter prangt das Logo der Stadt Wien. Viel wurde auf Social Media bereits über diesen Gedenkstein geschrieben. Wäre eine konkretere Formulierung passender gewesen? Hätte man nicht zumindest die Namen der Ermordeten in den Text mitaufnehmen können? Weiß jemand, der in ein paar Jahren vor diesem Stein steht, was hier genau passiert ist?

Wesentlich mehr an Information ist dagegen einer Gedenktafel an einem der Häuser auf dem Desider Friedmann-Platz zu entnehmen. „Am 29. August 1981 (29. Av 5741) starben an dieser Stelle die IKG-Mitglieder Nathan Fried s.A. und Sarah Kohut s.A. durch Kugeln palästinensischer Terroristen. Ehre Ihrem Angedenken. Bundesverband der Israelitischen Kultusgemeinden Österreichs.“ Darunter findet sich eine hebräische Übersetzung dieses Textes.

Nun gewinnt diese Gedenktafel zwar sicher keinen Designpreis, aber wenn ich vor ihr stehe, weiß ich zumindest in groben Zügen, was hier passiert ist. Der nun gesetzte Gedenkstein, der seinerseits auch keinen Kunstwettbewerb für sich entscheiden würde, liefert dagegen kaum Information. Ja, das Attentat, vor allem aber die Motivation des Terroristen sind immer noch nicht geklärt (und sollte sie bereits geklärt sein, wurde sie jedenfalls noch nicht der Öffentlichkeit vermittelt). Aber dass es sich um einen islamistischen Täter handelte, ist gesichert und dass vier Personen starben ebenso. Zumindest letzteres hätte hier vermerkt werden können.

Es gibt Situationen, in denen Reflexion zu besserem Ergebnis führt. Die Stadt und vor allem die Anrainer wollten das Kerzenproblem gelöst wissen, ohne pietätlos zu sein und Menschen in ihrer Trauer vor den Kopf zu stoßen. Eine Lösung wäre aber doch gewesen, hier einen Wettbewerb auszuschreiben und beim Wegräumen der Kerzen darauf zu verweisen, dass nach Auswahl eines passendes Entwurfes an dieser Stelle eine Gedenkort errichtet wird. Vielleicht wäre es dann eine Skulptur geworden, die total abstrakt ist, aber dennoch besser an das Attentat erinnert. Und wenn Sie meinen, das widerspricht nun dem oben Geschriebenen: wahrscheinlich ist es einfach so, dass der nun gesetzte Gedenkstein eben wie eine Verlegenheitslösung wirkt.

Und dann wieder: schön, dass dem offensichtlichen Wunsch vieler Menschen, an das, was hier passiert ist, zu erinnern, entsprochen wurde. Schön auch, dass einige der Kerzen an das Haus der Geschichte Österreich übergeben wurden. Das ist eine angemessene Reverenzerweisung und auch ein bewusster Umgang mit Zeitgeschichte. Man könnte auch sagen: die Gesellschaft hat inzwischen den Wert von Erinnerungskultur verinnerlicht. Und das ist ein großer Fortschritt.

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