„Woher der Antisemitismus kommt, ist unwichtig“

Daniel Landau, Pädagoge und Musiker, hat das pädagogische Konzept für Workshops an Schulen mitentwickelt.

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Daniel Landau. „Es geht darum, das Bewusstsein dafür zu schärfen, was in diesem Land vor und ab 1938 passiert ist.“ © Reinhard Engel

Wina: Als Reaktion auf die Ergebnisse der Studie über den Antisemitismus in Österreich, die im Auftrag des Parlaments durchgeführt wurde, hat sich die neue Initiative „Demokratie in Bewegung – Bildung gegen Vorurteile“ zum Ziel gesetzt, Jugendliche für die Themen Antisemitismus und Rassismus zu sensibilisieren. Als Bildungsexperte haben Sie an dem pädagogischen Konzept für die Workshops mitgearbeitet. Sie sind ein bekennender Grüner, wie kam es zu dieser Einladung durch den Parlamentspräsidenten Wolfgang Sobotka?
Daniel Landau: Ich habe als ehemaliger Lehrer für Musik und Mathematik selbst keine sehr große Expertise in Bezug auf den Antisemitismus. Andererseits gestalte ich seit längerer Zeit als Kind eines Zeitzeugen Stunden zur Flucht meines Vaters in Neuen Mittelschulen.
Die substantielle Expertise bringt die vom Parlament eingesetzte informelle Plattform für Organisationen ein, die im Bereich Antisemitismus und Rassismus bereits viele Jahre Aufklärungsarbeit leisten: Dazu gehören etwa das Mauthausen Komitee, Mauthausen Memorial, der Nationalfonds für Opfer des Nationalsozialismus, der Verein ZARA, der Österreichische Integrationsfonds sowie CENTROPA. Ein Motiv mag gewesen sein, dass ich im Bildungssystem gut vernetzt bin – und dass es hier um ein essenzielles, parteiübergreifendes Anliegen geht. Dazu gab es in der Parlamentsdirektion mehrere gute Gespräche, daher bin ich ohne Zögern der Einladung gefolgt.

»Sie kommen ins Nachdenken, was Hass bewirkt, welche Zahnräder dabei ineinander greifen,
ohne den
historischen Kontext
aus den Augen zu verlieren.«

Der Workshop richtet sich an Schülerinnen und Schüler ab der 9. Schulstufe sowie an Lehrlinge. Was war die Aufgabenstellung? Wie sieht das Konzept aus?
❙ Es ging darum, das erfolgreiche Programm „Demokratie in Bewegung“, das bereits 400 Workshops in zwei Jahren durchgeführt hat, mit einem zusätzlichen Modul aufzustocken, das sich thematisch mit den Folgen der Ausgrenzung, des Antisemitismus und des Rassismus beschäftigt. Unter dem Titel Mensch sein? Persönliches Verhalten im Nationalsozialismus haben wir gemeinsam ein zweistündiges Modul entwickelt, das den Schulen angeboten wird. Das pädagogische Konzept sieht vor, dass die Schüler und Schülerinnen ihre eigenen Annahmen hinterfragen. Sie sollen nicht mit „moralischen Lektionen“ belehrt werden, sondern das Thema selbstständig erkunden und reflektieren.

Was kann man bei 14- bis 15-Jährigen in zwei Stunden bewirken?
❙ Das ist tatsächlich nicht einfach. Doch es ist unser Bestreben, in einfacher Sprache und passend zu ihrer alltäglichen Lebenswelt in den Köpfen der Jugendlichen zu verankern, was passiert, wenn man beginnt, andere Menschen auszuschließen oder zu schubladisieren. Sie sollen selbst die Mechanismen hinter den Vorurteilen erkennen, die auch zum Wahnsinn der Schoah geführt haben. Denn wir können zwar nicht aus der Geschichte lernen, aber die wichtigsten Analogien ziehen, jeden Schritt thematisieren, der zur Ausgrenzung führt, ob aufgrund von Religion, Nationalität oder Geschlecht. Was musste alles zusammenspielen, damit industrieller Mord möglich wurde? Egal ob es sich um Chinesen oder Brillenträger handelt.

Die Jugendlichen müssen aktiv mitmachen?
❙ Ja, eindeutig. Sie arbeiten eigenständig in Kleingruppen an Biografien von Tätern, Kollaborateuren, Mitläufern, Widerständlern und Rettern. Sie versuchen, deren Lebensgeschichten zwischen 1938 und 1945 in das ganze Panorama einzuordnen. Sie kommen ins Nachdenken, was Hass bewirkt, welche Zahnräder dabei ineinandergreifen, ohne den historischen Kontext aus den Augen zu verlieren. Erst zuletzt wird gefragt: „Wer ermordete Adele Kurzweil?“ Und damit rückt das Opfer ins Zentrum. Adele war ein jüdisches Mädchen in Graz, das 1938 etwa so alt war wie die Schülerinnen heute.

Wer leitet diese Workshops?
❙ Zwei Trainer aus dem Gesellschafts- und Wirtschaftsmuseum wurden jetzt bereits für dieses Modul ausgebildet. Obwohl das Projekt seit Ende September läuft, ist es noch ein work in progress. Im BR-Gymnasium in der Theodor-Kramer-Straße (Donaustadt) konnte ich beobachten, wie gut es funktioniert. Auch aus einer Berufsschule in Gmunden wurde mir berichtet, dass die Kinder sehr interessiert und nachdenklich waren.
Bei der Erstellung der Module konnten wir auf einen Workshop von Paul Salmons zurückgreifen. Er war unter anderem Programmdirektor am Centre for Holocaust Education des University College London, der Bildungsmaterialien für den von der UN eingeführten Internationalen Holocaust-Gedenktag erarbeitet hat. Weiters hat Wolfgang Schmutz seine Expertise eingebracht. Er war u.a. zuletzt Co-Leiter der Pädagogik an der KZ-Gedenkstätte Mauthausen.

Gibt es unter den Jugendlichen mit Migrationshintergrund Vorbehalte gegen das Thema Antisemitismus?
❙ Obwohl es in den Neuen Mittelschulen (NM) insbesondere in den Bezirken mit ärmeren sozialen Hintergründen ganz viele mit muslimischem Glauben gibt, sind diese genau so viel oder wenig religiös wie katholische Kinder. Was den so genannten re-importieren Antisemitismus betrifft, also die kulturbedingte Ablehnung von Juden, bemühen wir uns, die Themen sensibel, aber klar auseinanderzuklauben, die tagespolitische Bewertung des Staates Israel vom Stereotyp der Gefahren des Antisemitismus zu trennen.

Die Parlamentsstudie zeitigte bedenkliche Ergebnisse bezüglich des „autochthonen“ österreichischen Judenhasses. Trotzdem strich Präsident Sobotka die Gefahr des importierten islamischen Antijudaismus besonders hervor, obwohl dem nur ein nicht wissenschaftliches Sample zugrunde lag. Wie stehen Sie zu dieser etwas schiefen Optik?
❙ Das Ergebnis der Studie habe ich mit Betroffenheit zur Kenntnis genommen und zugleich die Motivation dahinter als teilweise fragwürdig erachtet. Die Versuchung war sicher groß, die Ergebnisses der Antisemitismusstudie – vor allem rechts vom Parlamentspräsidenten – für eigene Zwecke zu benützen. Woher der Antisemitismus kommt, kann kein Thema sein, und das darf auch nicht im Zentrum stehen. Unser Modul überzeugt mich, weil es darum geht, das Bewusstsein dafür zu schärfen, was in diesem Land vor und ab 1938 passiert ist. Warum es passierte, warum es nie wieder geschehen und niemals vergessen werden darf.


Daniel Landau,
Jahrgang 1964, wurde in Wien geboren. Er absolvierte eine Ausbildung als Dirigent und schloss das Studium der Betriebswirtschaftslehre mit dem Magister ab. Er arbeitete als Diplompädagoge (Pflichtschullehrer) für Musik und Mathematik. Landau ist Gründer zahlreicher Bildungsinitiativen, u.a. des Bildungsvolksbegehrens, und Staatsmeister Bridge in Paar und Team. Als Geschäftsführer des Kulturcafés Tachles am Karmeliterplatz im 2. Bezirk erfüllt sich der jüngere Bruder des Caritas-Österreich-Präsidenten Michael Landau einen Kindheitstraum. Derzeit führt er Regie bei einer Musical-Produktion eines jungen freien Ensembles; er war Mitinitiator und Organisator des Theaterabends Gegen Willkür im Oktober 2018 im Theater in der Josefstadt. Die berührende Lebensgeschichte seines Vaters Erwin Landau (1929–2011), der u.a. auch Mitarbeiter der IKG war, findet man unter centropa.org/biography/erwin-landau.

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