
So eine Absage traut sich nicht jeder. Im Sommer 1933, Adolf Hitler war seit Anfang des Jahres Reichskanzler, offerierte der Dirigent Wilhelm Furtwängler Fritz Kreisler, mit ihm und den Berliner Philharmonikern als Solist zu spielen. Kreisler ließ ihn abblitzen, verwies darauf, dass bereits namhafte Künstler wie die Dirigenten Bruno Walter, Otto Klemperer und Fritz Busch Deutschland hatten verlassen müssen.
Seine Begründung für die Absage war mehr als klar: „Ich bin daher fest entschlossen, mein Auftreten in Deutschland so lang aufzuschieben, bis das Recht aller Künstler, ihre Tätigkeit in Deutschland ungeachtet der Abstammung, der Religion oder Nationalität auszuüben, unumstößliche Tatsache geworden ist. Ich vertraue darauf, daß es mir bald vergönnt sein wird, mit Ihnen zu musizieren.“ Dem sollte freilich nicht so sein. Seine eigenen Aufnahmen durften ebenfalls nicht mehr gespielt werden, seine Kompositionspartituren kamen nicht mehr in den Handel.
Doch noch wohnte Fritz Kreisler, damals schon eine internationale Berühmtheit, in seiner eleganten Villa in Berlin-Grunewald. Seine Frau Harriet, die aus einer wohlhabenden deutschen Einwandererfamilie in New York stammte, war zu den Nazis keineswegs auf Distanz. Und er spielte auf Tourneen in anderen europäischen Ländern, etwa in Frankreich. Als 1934 in Wien Bundeskanzler Engelbert Dollfuß, mit dem Kreisler befreundet war, von den Nazis ermordet wurde, bot man ihm die französische Staatsbürgerschaft an, Kreisler lehnte ab. Auf dieses Angebot kam er erst zurück, als nach dem „Anschluss“ Österreichs 1938 die österreichischen Staatsbürgerschaften in deutsche umgewandelt wurden. Kreisler verließ Berlin für immer und emigrierte über Frankreich in die USA. 1943 wurde er US-Bürger und kehrte nie mehr nach Europa zurück.
Ein Kind aus der Leopoldstadt. Fritz Kreisler wurde 1875 in der großen Schiffgasse auf der Mazzesinsel geboren, als drittes Kind des jüdischen Arztes Samuel Kreisler und seiner Frau Anna aus Galizien. Der kleine Fritz war so musikalisch, dass ihn sein Vater schon ab dem Alter von vier Jahren auf der Geige unterrichtete. Der Konzertmeister des Ringtheaters, Jaques Auber, tat das bald ebenfalls, und schon mit sieben wurde Fritz als jüngster Student am Konservatorium der Gesellschaft der Musikfreunde aufgenommen, dem Vorläufer der mdw – Universität für Musik und darstellende Kunst Wien. Er hatte prominente Lehrer, Josef Hellmesberger für Violine, Anton Bruckner für Musiktheorie und Harmonielehre. Den ersten öffentlichen Auftritt absolvierte er 1884, noch keine zehn Jahre alt.
„Lassen Sie sich eine Melodie, die
dermaßen populär werden kann,
einmal einfallen!“
Wilhelm Sinkovicz
Doch seine früh begonnene Ausbildung sollte noch nicht zu Ende sein. Ab 1885 studierte er am Conservatoire de Paris, dort waren seine Lehrer unter anderem Joseph Lambert Massart, Léo Delibes und Jules Massenet. 1887 gewann Kreisler die höchste Auszeichnung des Pariser Konservatoriums, den Premier Prix. Und gleich nach seiner Rückkehr nach Wien startete der 13-Jährige seine erste internationale Konzerttournee – in die USA. Begleitet vom Pianisten Moriz Rosenthal bestritt er dort 50 umjubelte Konzerte.
In Wien absolvierte Kreisler – der inzwischen zum Katholizismus übergetreten war – das Einjährig-Freiwilligen-Jahr beim Militär und bewarb sich beim Hofopern-Orchester. Dort wurde er abgelehnt, konnte angeblich nicht gut genug vom Blatt spielen. Er begann, Malerei und Medizin zu studieren, kehrte aber bald wieder zur Musik zurück. 1898 gab er ein erstes Konzert mit den Wiener Philharmonikern, ein Jahr später eines in Berlin mit den dortigen Philharmonikern. Weitere Tourneen in den USA und durch Westeuropa folgten, mit großem Erfolg. Auf einer der Amerika-Reisen lernte Kreisler seine spätere Frau Harriet Lies kennen. Sie sollte auch seine Managerin werden, die – kinderlose – Ehe würde 60 Jahre halten.
Etwa zu dieser Zeit begann Kreisler auch selbst zu komponieren, zarte spätromantische Walzer mit Wiener Touch. Freilich trat er zunächst mit den Kompositionen nicht unter eigenem Namen auf. Er gab vor, dass es sich dabei um Archivfunde berühmter Meister handle, er habe sie bloß bearbeitet. Stücke wie Liebesfreud – Liebesleid, Schön Rosmarin oder Caprice viennois wurden internationale Renner, die Noten verkauften sich äußerst gut. Als sich dann Kreis ler später zu den eigenen Schöpfungen bekannte, wurde er erst für die Täuschung kritisiert, dann hängte man ihm den derogativen Begriff „Salonkünstler“ um, weil er nicht scharf genug zwischen klassischer EMusik und leichtgewichtiger U-Musik getrennt hatte.
Der Wiener Musikkritiker der Tageszeitung Die Presse Wilhelm Sinkovicz verteidigt diese leichtere Seite Kreislers: „Für seine Musik gilt, was für die beliebtesten StraußStücke gilt: Lassen Sie sich eine Melodie, die dermaßen populär werden kann, einmal einfallen!“ Und weiter verweist der Kritiker auf Kreislers historische Aufnahmen von Werken Beethovens, Mozarts oder Schuberts: „Sie bewahren einen Ton, der verloren scheint. Da klingt Wien!“
Auch aus berufenem Kollegenmund gab es höchstes Lob. Der weltberühmte Geiger Yehudi Menuhin sagte einmal über ihn: „Der typische Kreisler-Klang war subtil und eindringlich, unter der Oberfläche erfüllt von Regungen und Impulsen, von Hinweisen, die aufzufangen die damalige primitive Aufnahmetechnik und ich uns nach Kräften bemühten.“ Und er ergänzte: „Ich sehne mich glühend danach, Schön Rosmarin und Caprice viennois mit einer so raffinierten Eleganz zu spielen.“
Krieg und internationaler Erfolg. Der Reserveoffizier Kreisler kam 1914 an die Front – gegen Russland, wurde zwei Mal verwundet und danach ehrenvoll aus dem Militärdienst entlassen. Freilich sollte ihm lebenslang ein leichtes Hinken bleiben. Eine kurzzeitige Blockade seiner Auftritte in den USA – als Vertreter einer feindlichen Nation – wurde nach Kriegsende bald wieder aufgehoben. Und Kreisler komponierte weiter, etwa zwei Operetten, Apple Blossom, 1919 in New York uraufgeführt, sowie Sissy, die 1932 am Theater an der Wien mit Paula Wessely und Hans Jaray Premiere hatte. Das Libretto stammte von Ernst und Hubert Marischka, die Zweitbesetzung für die „Sissy“ hieß Hedy Lamarr.
Auch wenn sich die Notenblätter international gut verkauften, wirklich großes Geld verdiente Kreisler mit seinen eigenen Auftritten und für die damalige Zeit extrem gut dotierten Schallplattenverträgen. „Zwei Jahrzehnte hindurch blieb Fritz Kreisler der gefragteste und höchstbezahlte Violinvirtuose der Welt“, liest man auf der Website des immer noch alle vier Jahre in Wien alternierend im Musikverein und im Konzerthaus stattfindenden Internationalen Fritz Kreisler Wettbewerbs. Er hatte diesen in den 1930er-Jahren selbst erstmals gestiftet.
Das blieb aber bei Weitem nicht seine einzige Leistung als Wohltäter. Sowohl nach dem Ersten Weltkrieg als auch nach dem Zweiten sandte er beträchtliche Summen nach Europa, um hungernden Kindern zu helfen. Auch in seiner neuen Heimat, den USA, war er stets spendenfreudig, bis hin zum Vorlass, den er an die Library of Congress abgab, inklusive seiner wertvollsten Geige, einer Guarneri aus dem Jahr 1733.
Kreisler, der 1941 in den USA einen schweren Verkehrsunfall überlebt hatte, trug davon Langzeitschäden davon. Er gab sein letztes öffentliches Konzert im Jahr 1947, lebte aber – mit erheblichen Seh- und Höreinschränkungen – bis 1962. Er ist am Woodlawn Friedhof in der Bronx in New York begraben.