Adunka kombiniert in dieser Ausgabe den Originaltext von Freis Jugenderinnerungen mit ihren historischen Recherchen zu seiner weiteren Biografie. In Der Strohhut schildert Bruno Frei, geboren als Benedikt (Benö) Freistadt in Pressburg, zunächst sein Aufwachsen in der Orthodoxie, um dann zu erzählen, wie er nach und nach den Weg in die säkulare Welt suchte, dem Judentum aber dennoch verbunden blieb. Obwohl längst als sozialkritischer Journalist aktiv (bahnbrechend hier seine Veröffentlichung Jüdisches Elend in Wien, 1920 erschienen im R. Löwit Verlag), dissertierte er über die Pirke Awoth (Sprüche der Väter, ein Traktat der Mischna).
Apropos spezifisch jüdische Details: Frei schildert in seinen Jugenderinnerungen Szenen aus der Schul und von privaten Familienfeiern so, dass er die Traditionen und Bräuche des Judentums nicht unkommentiert erzählt. Hier könnte man sagen: Er ist sich seiner nichtjüdischen Leserschaft bewusst und erfüllt deren Bedürfnisse. Bei der Lektüre entsteht dadurch aber auch phasenweise der Eindruck einer Distanzierung.
Historische Einsichten mit aktuellem Bezug. Nichtsdestotrotz erlauben die Erinnerungen Freis spannende – und auch nostalgische – Einblicke in eine längst vergangene Zeit. Entstanden ist Der Strohhut auf Anregung von und in Zusammenarbeit mit der deutschen Politikwissenschafterin Antonia Grunenberg. Sie bemühte sich auch um die Veröffentlichung bei mehreren großen und auch kleineren Verlagen, erhielt aber Absagen. So erschienen die Jugenderinnerungen schließlich 1982 und 1983 in Fortsetzungen in den von Alice Schwarz herausgegebenen Israel Nachrichten.
„Im Ersten Weltkrieg hatten die Engländer Palästina besetzt,
das eine türkische Provinz gewesen war,
bewohnt von Juden und Arabern.“
Bruno Frei
Die Stärke von Der Strohhut liegt in Szenen, die aus dem Alltag orthodoxer Juden vor mehr als 100 Jahren erzählen. Da ist etwa Freis Schilderung des wöchentlichen Schächtens der Schabbesgans in Pressburg, deren Leber die Mutter – die Familie war nicht besonders begütert – jedes Mal an einen Händler verkaufte, sodass sie schließlich zu Pastete verarbeitet wurde. „Wenn der Gansbraten am Freitagabend aufgetischt wurde, konnte ich die Erinnerung an das grausige Bild des Schächtens nicht verdrängen. Ich aß trotzdem so viel ich kriegen konnte.“
Da ist aber auch die Erzählung über die Bartpflege des Vaters. „Grauer Wildwuchs bedeckte das Gesicht meines Vaters. Der fromme Jude duldet kein Rasiermesser an seinem Bart. Der Ausweg, den die Frommen fanden, war das Wegschwefeln des Barthaars. Von Zeit zu Zeit ging Vater in ein bestimmtes Friseurgeschäft in der Kapuzinerstraße, wo man diese Fertigkeit handhabte. Die graue, stinkende Schwefelmasse wurde ins Gesicht gestrichen, so dass die Barthaare verschwanden.“
Den Leser erwarten bei dieser Zeitreise aber auch spannende Einsichten mit durchaus aktuellem Bezug. So schrieb Frei in seinem Eintrag zum Jahr 1918 über „palästinensische Flüchtlinge“ in Wien. Deren Elend habe ihn tief beeindruckt, betonte der Autor da. „Sie lebten, wenn man das leben nennen kann, in der Leopoldstadt. Im Ersten Weltkrieg hatten die Engländer Palästina besetzt, das eine türkische Provinz gewesen war, bewohnt von Juden und Arabern. Viele Palästinenser, besonders die Juden, suchten angesichts der Kriegsereignisse ihr Heil in der Flucht. So kam es, dass palästinensische Flüchtlinge, vor allem Juden, nach Wien kamen.“
Fazit: Texte können mit den Jahren immer wieder neue Perspektiven eröffnen. Allein diese Passage rechtfertigt die Neuherausgabe von Freis Erinnerungen.