Die Flucht in andere Zeiten und virtuelle Welten ist gerade in Israel beliebt. Sie bietet auch in der Kunst Antworten auf nicht lösbar scheinende Fragen der Gegenwart an. Von Thomas Edlinger
Von Europa aus wird Israel in erster Linie im Verhältnis zu seinen arabischen Nachbarn und vor dem Hintergrund des Holocaust begriffen. „Das heutige Israel“, schreibt hingegen die in Paris lebende Historikerin Diana Pinto, „wird von seiner europäischen Vergangenheit nicht mehr heimgesucht“.
Pinto hat in vielen Reisen der israelischen Wirklichkeit auf den Zahn gefühlt – in kritischer Verbundenheit mit einem Land im Umbruch. Dabei hat sie beobachtet, wie chinesische Geschäftspartner hofiert und amerikanische Politiker düpiert werden. Ihr Befund: Israel versucht sich seiner drängenden Probleme dadurch zu entledigen, indem es sie ignoriert. Es will nicht mehr ausschließlich vom Trauma der Schoa, vom Nahostkonflikt, dem Erbe des Zionismus und der außenpolitischen Lähmung bestimmt sein.
Ein Staat zieht geistig in den Cyberspace um und bezieht sich gleichzeitig auf eine andere virtuelle Welt, nämlich eine biblisch-archaische Vergangenheit. So erfindet sich Israel im Rückzug als zugleich extrem weltläufig-liberales wie auch als ultrareligiöses Gebilde neu. Psychologisch gesprochen, hört man immer wieder, neigt Israel zum Autismus – und damit vielleicht auch zu eigensinnigen Ersatzhandlungen, die aus der Einschränkung des Perspektive eine Tugend machen. Zum Beispiel zur Konsultierung von Netzadressen wie israel.god, die vom gemeinsamen Fluchtpunkt aus Technoutopismus und identitätsstiftenden Messianismus künden.