Zwischen Sehnsucht und Verzweiflung

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Eine gleichermaßen inhaltlich wie gestalterisch gelungene Schau im Österreichischen Theatermuseum widmet sich den kaum beachteten Exiljahre des österreichischen Schriftstellers Stefan Zweig. Von Angela Heide

Am 25. Juli 1940 geht Stefan Zweig an Bord der britischen „Scythia“, mit ihm seine zweite Frau Charlotte (Lotte), geb. Altmann, zuvor Zweigs Sekretärin, die er 1939 im Londoner Exil geheiratet hat. Bereits 1934 hatte Stefan Zweig Salzburg verlassen und war als erste Station seines achtjährigen Exils nach London emigriert, wo er eine Biografie über Maria Stuart verfasst wie auch den Roman Ungeduld des Herzens. Nach ihrer Heirat zieht das Paar nach Bath, 1940 in die USA. Am 22. Februar 1942 nehmen sich Stefan und Lotte Zweig in der brasilianischen Stadt PetrÓpolis das Leben. Zweig ist 60 Jahre alt.

„Stefan Zweig verbrachte sein Leben bis kurz nach seinem 52. Geburtstag in Österreich, und zu diesem Zeitpunkt war er ein weltberühmter Mann. Dann wurden seine Bücher verboten, 1933 in Deutschland, 1938 auch in Österreich. Was ihm in den acht Jahren des Exils widerfahren ist, darüber ist – sieht von seinem Suizid in PetrÓpolis ab – wenig bekannt“, erzählt Clemens Renoldner, Leiter des Stefan Zweig Centres in Salzburg und Kurator einer in vielerlei Hinsicht eindrücklichen Ausstellung im Österreichischen Theatermuseum. Hat sich der erfahrene Zweig-Experte und Dramaturg nicht nur auf Zweigs „Abschied von Europa“ konzentriert, sondern diesen auch gleich in einem berührenden Gesamtbild eines bekennenden Kosmopoliten, literarischen Freundes, Briefe-Schreibers wie -Empfängers und nicht zuletzt vergessenen Dramatikers inszeniert.

Declaracão – Stefan Zweigs Abschiedsbrief, verfasst am 22. Februar 1942, aufgefunden auf dem Schreibtisch des Schriftstellers in seinem Haus in Petrópolis.
Declaracão – Stefan Zweigs Abschiedsbrief, verfasst am 22. Februar 1942, aufgefunden auf dem Schreibtisch des Schriftstellers in seinem Haus in Petrópolis.

Zweig war von Beginn an ein Neugieriger, Zuhörer und Vernetzer, er bereiste die Welt „aus freien Stücken und voller Neugier“. Doch, so Renoldner, „die Reise ins Exil geschieht unfreiwillig. Nun blickt er voller Sehnsucht zurück nach Österreich, erinnert und beschwört jene Welt, die er verloren hat. Von dieser Polarität her ist die Ausstellung konzipiert.“

Die „Welt der Sicherheit“, die Welt eines friedvollen, einigen und dennoch weltoffenen Europa, an dem man seit 1918 zumindest auf intellektueller Ebene gebaut hatte, war zugrundegegangen. Zweig erinnerte sich ihrer ab dem Moment seiner Emigration, vor allem aber in den letzten Monaten seines brasilianischen Exils nur noch aus der Ferne, zeitlich wie räumlich. Die Welt von gestern und die Schachnovelle entstanden tausende Kilometer entfernt von Europa, in den USA, in Brasilien. Im Juni 1941 schreibt der 1881 in Wien als Sohn des wohlhabenden jüdischen Textilunternehmers Moriz Zweig und dessen Gattin Ida Brettauer geborene vielbewunderte österreichische Schriftsteller seinem Freund Paul Zech aus New York: „Wir brauchen einen ganz anderen Mut.“ Zweig selbst hatte zu diesem Zeitpunkt schon alle Hoffnung verloren. Das wird nicht nur aus den zahlreichen, zum Teil erstmals gezeigten beeindruckenden Autografen seiner umfangreichen Sammlung deutlich, erläutert Kurator Klemens Rendoldner: „Wir wollten Momente des Abschiednehmens, der Auflösung der alten Ordnung, des Erinnerns zeigen, und natürlich die Umstände des Exils – aber auch, wie verzweifelt Zweig war über die Verfolgung und Ermordung der Juden. Auch darauf beziehen sich einige der ausgewählten Texte. Und unter welchen Bedingungen er in seinen letzten Lebensjahren zu leiden hatte, z. B. dass sein Buch Die Welt von gestern in einer Phase schwerster Depression geschrieben wurde. Die Fotos vom Sommer 1941 sprechen eine deutliche Sprache.“

Die erwähnten zahlreichen Fotos der Schau – Zweig in jungen Jahren, mit seinen Freunden und als immer reger Gesprächspartner, Zweig auf Reisen und an den Stationen seines Exils, Brasilien, London, Oostende, erneut Brasilien … – dokumentieren eine zur Last gewordene, erzwungene Unstetheit, der die Suche des Autors nach Ruhe, nach der alten Heimat diametral gegenübersteht. 1941 schreibt Zweig seinem amerikanischen Verleger Ben Huebsch von Ossining/New York aus: „Ich fühle mich niedergeschlagen, und die bloße Vorstellung, dass ich wieder auf Reisen gehen muss, mir auf Jahre weder ein Heim noch Rast und Ruhe vergönnt sein werden, ich mein Leben immerfort in Hotelzimmern fristen muss und in meinem Alter Sklave eines ausländischen Passes und von Genehmigungen abhängig, nimmt mir alle Freude am Leben.“

In Ossining, wohin das Ehepaar, das zu diesem Zeitpunkt bereits einige Monate in Lateinamerika gelebt hatte, 1941 zog, begann Zweig mit seiner Autobiografie Erinnerungen eines Europäers, die – 1942 postum in Bermann Fischers schwedischem Exilverlag erschienen – als Welt von gestern zu einem der wichtigsten Werke des Autors werden sollte.

„An der Garderobe hingen drei oder vier nasse militärische Mäntel,die Mäntel meiner Folterknechte.“ Schachnovelle, 1942

Momente des Fremd-Werdens

Die Ausstellung umkreist thematisch wie gestalterisch (Peter Karlhuber) mit bestechender Konzentration und kuratorischer Präzision in zwei Räumen und einem in die Ausstellung einführenden impressionendichten Foyer- und Hofareal des Museums diese Momente des Abschieds, des Weggangs, des Fremd-Werdens und sich (nicht mehr) neu Zurechtfindens. Umzugskisten, die die Namen wichtiger Freunde und Wegbegleiter Zweigs tragen – Richard Beer-Hofmann, Walter Hasenclever, Hugo von Hofmannsthal, René Schickele, Romain Rolland, Joseph Roth, um nur einige wenige aus einer eindrucksvollen Menge zu nennen – dominieren den kleineren der beiden Ausstellungsräume, der dennoch das inhaltliche Zentrum darstellt. Sie enthalten Briefe, Handschriften, Bücher, Fotografien und beleuchten Zweigs weltumfassendes Freundschafts- und Literaturleben ebenso wie seine Zweifel, wachsende Hoffnungslosigkeit und letztendliche Verzweiflung. Einen Tag von Zweigs Selbstmord schreibt Robert Neumann dem fernen und an der Ferne von allen und allem Vetrauten leidenden Freund am 21. Februar aus dem eigenen Londoner Exil: „Gehen Sie zurück nach England oder U.S.A. – und Sie werden merken, wie sehr Sie dazugehören.“

Am selben Tag bringt Zweig das Typoskript seiner Schachnovelle in Petrópolis zur Post. Es wird sein letztes zu Lebzeiten vollendetes Werk sein.

Ihm ist so auch der größere der beiden Ausstellungsräume zentral gewidmet. Eine Inszenierung, gänzlich in Schwarz gehalten: ein aufgerollter Hotelteppich als sich durch die gesamte Schau ziehendes Symbol des Abschieds, an den Wänden hängen lange Männerledermäntel, in einer Vitrine das Schachbrett Zweigs aus dem englischen Nachlass, in der Mitte ein gewaltiges Modell des Hotel „Métropole“, ab 1938 die größte Dienststelle der Gestapo; daneben historisches Bildmaterial des einstigen luxuriösen 300-Zimmer-Hotels am Wiener Morzinplatz, Filmausschnitte. Und Zweigs Abschiedsbrief vom 22. Februar 1942. ◗

Die Austellung
„Wir brauchen einen ganz
anderen Mut!“ Stefan Zweig – Abschied von Europa
läuft bis 12. Jänner 2015
im Österreichischen Theatermuseum.
Lobkowitzplatz 2, 1010 Wien
theatermuseum.at

Bilder: © Stefan Zweig Centre, Salzburg; © Archives Department, National Library of Israel, Jerusalem

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