Zwischen Traum und Trauma

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Untitled. Aus der Serie über den kollektiven Ini-tiationsritus männlicher israelischer Rekruten./ © base level

Der israelische Künstler Gidon Levin erinnert sich in seiner ersten Einzelausstellung in Wien an seinen Militärdienst zwischen der Negev-Wüste und dem Westjordanland. Von Thomas Edlinger

Während man in Österreich über den Sinn des Militärs so uneinig ist, dass sich immerhin über die Hälfte der Wahlberechtigten veranlasst sah, ihre Haltung zur Wehrpflicht in einer Volksbefragung zu äußern, ist die Armee in Israel ein integraler und identitätsstiftender Bestandteil der Gesellschaft. Bis auf – neuerdings politisch umstrittene- Ausnahmen leisten Frauen zwei und Männer drei Jahre Dienst. Es ist daher nicht verwunderlich, dass das Militär in Israel immer wieder zum Gegenstand künstlerischer Bearbeitungen wird.

In der Wiener Galerie base-level wird zur Zeit eine zweiteilige Soloschau des israelischen Fotokünstlers Gidon Levin gezeigt.

In der Wiener Galerie base-level wird momentan eine Soloshow des Fotokünstlers Gidon Levin gezeigt. Sie besteht aus zwei Teilen. Die eine Arbei zeigt, sowohl als Installationsform auf Sand wie auch als Fotos, zusammengeknüllte Uniformen, die sich zu gehirnförmigen Klumpen verdichten. Sie lagern wie Zufallsfunde auf dem Sand am Galerieboden. Auf Fotos verketten sich die Uniformbälle als abstrakte Land Art zu einer geraden, auf den Horizont zulaufenden Linie im Nichts der nicht näher identifizierbaren Landschaft der Negev-Wüste. Oder sie türmen sich zu einer zeltartigen Skulptur auf, die Friends betitelt ist.Friends. Zu Stoffballen zusammengeklebte Uniformen aus der Fallschschirm- jägereinheit der  Künstlers./ © base level

Dieser Titel verweist auf den zweiten Strang der Ausstellung, der die Spannung zwischen Individualität und Kollektivismus, zwischen erzwungener gesellschaftlicher Isolation und unverhoffter neuer Kameradschaft in der Armee thematisiert. Was zunächst wie Schwarz-weiß-Fotografien über ein tribalistisches Ritual im Schlamm aussieht, in dem ein Haufen halbnackter Männer zu einem Gesellschaftskörper verschmilzt, offenbart sich als gut eingeführte militärische Prozedur, mit deren Hilfe die Rekruten zu einer Truppe verschweißt werden sollen. Der die Männer einende, in der Übung die Haut mehr und mehr bedeckende Schlamm dient einerseits zur Intensivierung einer archaischen Körpererfahrung. Andererseits stellt er selbst „eine erste Uniform“ dar, wie Kurator Sharon Toval sagt.

Ästhetische Trauma-Therapie

Gidon Levin ist Absolvent der Bezalel-Kunstakademie in Jerusalem und arbeitet mit diesem Projekt seine eigene Vergangenheit als Soldat auf. Die Verwandlung von Uniformen zu animistischen Objekten, die Umdeutung von durch jeweils ganz individuelle Dreckschlieren verschmutzten Gewehrreinigungstüchern zu abstrakten, expressiven Gemälden oder die Darstellung bloß mit einer Sporthose bekleideter, ein wenig mit Tarnfarbe beschmierter Männer vor weißen Fallschirmballen, die wie ausladende Engelsflügel wirken: All diese Verfahren bezeichnet Levin als Elemente einer „Therapie“ für das „Trauma“ der Militärdienstzeit. Tatsächlich verschwand Levin nach Ende seiner Dienstzeit für einige Monate nicht im bei israelischen Ex-Soldaten beliebten Hippie-Hangout Goa, sondern in Südamerika.

Gleichwohl bleibt in seiner Erinnerungsarbeit und den Medienwechseln zwischen Zeichnungen, Fotografien, Skulpturen und Installationen im Dunkeln, worin dieses Trauma genau bestanden haben könnte und wo seine Spuren in der konkreten Wirklichkeit sichtbar wären. Fest steht jedenfalls, dass Levin als sechsjähriges Kind 1990 von Russland nach Israel emigrierte. Sein Kindheitstraum war „Pilot“, doch dafür schaffte er den Aufnahmetest nicht. So wurde er Fallschirmjäger. Eine Wendung in seinem Leben, der er mit dem Porträt eines 12-jährigen kampfsportbegeisterten Jungen ein Bild gibt. Das ernste Gesicht und der nackte, schon recht muskulöse Oberkörper gehören einem jüngeren Bruder einer der „Friends“, die Levin in seiner Einheit gewonnen hat. Wird auch bei ihm der Bubentraum des Abenteuers zum Trauma werden?

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heißt die erste internationale Einzelausstellung von Gidon Levin. Sie ist bis zum 9. Mai in der Galerie base-level in Wien zu sehen. Sie wurde von Sharon Toval kuratiert, der auch Initiator der Plattform modern ART israel ist, die sich der Vermarktung und Verbreitung junger israelischer Kunst widmet.
base-level.com

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