Archäologie Europas

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Eine Ausstellung im Kunsthaus Dresden fragt nach Sichtweisen auf jüdische Identitäten. Von Thomas Edlinger

Vot ken you mach? Die jiddisch-englische Verballhornung von „Was kannst du machen?“ ist Titel einer Ausstellung und zugleich ein Songtitel, erfunden vom jüdisch-russischen Komponisten Aaron Lebedeff im New York der 1920er-Jahre. Die jüdische Identität, egal ob man diese als kulturelle, religiöse, ethnische oder nur als eine situationsabhängige mentale Form fassen will, ist dabei Antrieb und zugleich Gegenstand künstlerischer Untersuchungen. Das Verhältnis zu Israel und zum Nahostkonflikt spielt hingegen eine untergeordnete Rolle.

Vot ken you mach?

Tehnica-Schweiz_Gergely-László--and-Péter-Rákosi_The-Idol-of-Denial,-2013,-Videozeigt, dass identitätspolitische Differenzen nicht einfach verschwinden, sondern sich nur verändern. Das diasporische Lebensgefühl steht etwa im Zentrum der suggestiven Videoarbeiten von Ruth Novaczek. Die Künstlerin inszeniert das Moment des Übergangs in tanzenden Bildern und ineinander geblendeten Musikfragmenten. Meine Kleider waren alle falsch heißt es da einmal, so als ob man an jedem Ort unpassend angezogen ist und nicht hingehört.

Die jüdische Selbstidentifikation vor dem in nahezu allen Arbeiten deutlich nachwirkenden Hintergrund der Schoa-Erfahrung kann auch leicht in eine Befremdung vor lokalen Zuständen kippen. Wie etwa in Jewish Revenge, dem letzten Teil des dreiteiligen Filmprojekts Stockholm-Syndrome von Amit Epstein. Hier hastet ein junger Israeli durch ein Berlin, das von Gedenkstätten, Kriegsmonumenten und anderen stummen Zeugnissen der unheilvollen deutschen Geschichte übersät erscheint. Man weiß nicht, ob die Zeichen den jungen Mann zur Konfrontation nötigen – oder ob umgekehrt der Besucher hier von den Verweisen auf das Ungeheuerliche Antworten auf seine Irritation erwartet.

Die Bearbeitung der Geschichte ist in mehreren Arbeiten zentral

Nikola Radić Lucati bringt nochmals den Aspekt der Bereicherung, wie ihn Götz Aly für Nazi-Deutschland beschrieben hat, in Form einer Gedenktafel-Installation am Beispiel von Ermordungen im besetzten Ex-Jugoslawien ans Licht; gemeinsam mit Rafal Jakubowitz zeigt er in einer Architekturfotoserie, wie vergleichbare Formen des Bauhaus in Tel Aviv und dann im von den Nazis besetzten Belgrad ganz verschieden ideologisch besetzt werden können.

Intime Einblicke

Tal-Sterngast,-Let´s-Talk-About-Children,-Still,-aus-Zweikanalvideoinstallation,-2007Zu solchen, persönlich distanzierten Reflexionen gesellen sich Arbeiten, die von direkten Bezügen und Familienschicksalen handeln. Claire Waffel stellt die Abschiedsrede ihres Vaters, eines deutschen Industriellenvertreters, als Zeugnis einer Unterlassung nach. Waffels Vater wollte damals nämlich Persönliches zur Sprache bringen und verschwieg letztlich doch die jüdische Identität seiner Familie. Sharone Lifschitz zeigt in einem Video, was aus den Antworten auf ihre Zeitungsannoncen, die Menschen zu nicht näher vorgegebenen Gesprächen mit einer „jungen jüdischen Frau, die Deutschland besucht“, einluden, wurde. Ausschnitte daraus verpflanzte Lifschitz auf Straßenbahnen und Litfaßsäulen in München. So entstand ein intimes Textgewebe, das sich über die ganze Stadt spannte und von Begegnungen handelte, die die Täter-Opfer-Konstellation nicht explizit zum Thema machte.

Was kann man überhaupt wissen über kollektive Traumata? Barak Reiser findet für diese Fragen ein schlichtes Bild: Eine Hand schreibt im Video Seen ein Papier mit den Sätzen „Ich habe alles gesehen/Ich habe nichts gesehen“ voll, während eine zweite Hand diese Sätze wieder ausradiert. Tal Sterngast konfrontiert in einer Doppelvideoinstallation die Sprechweise der Psychoanalyse mit ihrer Selbstreflexion als Jüdin in Deutschland. Während ein Video nostalgisch eingefärbte Bilder über Kinder im Kibbuz zeigt, offenbart der Dialog zwischen Patientin und Therapeut im Video Verfehlung und zugleich Verdichtung von Sinn: „Die Frauen haben es in der Hand.“ „Was?“ „Die Geburtenrate zu erhöhen. Ich habe nur ein Kind für Deutschland geboren.“

An solchen Stellen wagt sich die Ausstellung auf unwegsames Terrain. Sie betrachtet nicht mehr nur bezeugbare Geschichte, sondern fragt danach, inwieweit man auch immer jemand anderer ist, als man ist: Jude, Deutscher, Mann, Frau, religiös, nicht religiös. Kann man sich selbst trauen? Auch gegen den Zweifel daran ken (und should) you nichts machen.

Bilder:
1. Stockholm Syndrom. Amit Epstein, 2010; Foto: Avi Levin
2. The Idol of Denial. Tehnica Schweiz, 2013;Video: Gergely László und Péter Rákosi
3. Let’s Talk About Children. Still aus Zweikanal-videoinstallation; Tal Sterngast, 2007

image002ZUR AUSSTELLUNG
Vot ken you mach?
im Kunsthaus Dresden läuft noch bis 4. Mai. Damit verknüpft sind eine Miniausstellung im Foyer über die erstaunlich vitale und vielfältige jüdische Comic-Szene wie auch eine Einzelpräsentation des französischen Comic-Zeichners Joann Safr im Kulturrathaus Dresden.
Diese ist noch bis 28. März zu sehen.
kunsthausdresden.de
Vot ken you mach?“ von Aaron Lebedeff anhören:

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