„Immer ein Stück Israel in der Familie“

Wie Pamela Rendi-Wagner Israel und seine Gesellschaft erlebt hat, insbesondere in ihren heutigen Aufgabenbereichen Gesundheit und Frauenfragen, wie sie es mit der Religion und ihr Mann mit dem Feminismus hält, darüber spricht die Bundesministerin mit Anita Pollak.

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WINA: Die jüdische Community in Österreich hat Sie offenbar ins Herz geschlossen. Und das besonders seit Ihrer bewegenden Rede zum 69. Jom haAzmaut. Man hat Sie samt Familie beim jüdischen Straßenfest und beim Festakt für Oberkantor Shmuel Barzilai im Wiener Rathaus gesehen. Wie empfinden Sie persönlich diesen Kontakt?

Pamela Rendi-Wagner: Da gibt es eine Beziehung zur jüdischen Community fast unabhängig davon, dass mein Mann österreichischer Botschafter in Israel war. Wir hatten schon vorher viele Freunde in der jüdischen Community, das hat sich natürlich intensiviert durch die Rolle meines Mannes in Israel und ist bis heute so geblieben. Wir sind auch immer mit den israelischen Botschaftern in Österreich befreundet gewesen, jetzt mit Botschafterin Talya (Lador-Fresher). Ich glaube, wir werden diese Verbindung nie verlieren. Und weil meine jüngere Tochter in Israel geboren wurde, ist auch immer ein Stück Israel in unserer Familie.

Inwieweit ist diese Beziehung auch geprägt vom familiären Hintergrund Ihres Mannes? Die Rendis waren ja eine prominente jüdische Familie in Graz und Agram, der Urgroßvater Ihres Mannes war sogar Oberkantor. Sie haben sich selbst als ohne Bekenntnis definiert, spielt das Judentum in Ihrer Familie in irgendeiner Weise eine Rolle?

❙ Wir sind nicht religiös, in gar keine Richtung. Ich bin erst spät, nach der Scheidung meiner Eltern, römisch-katholisch getauft worden, weil mein Vater das abgelehnt hatte, da war ich schon vier Jahre alt. Ich habe mich dann viel später entschlossen, aus der Kirche auszutreten. Ich habe generell keinen religiösen Zugang zum Leben, daher spielt auch die jüdische Religion in unserer Familie keine Rolle, aber aufgrund der Herkunft meines Mannes haben das Judentum und die Traditionen schon eine gewisse Bedeutung. Wir besuchen auch manchmal die Synagoge, sind zu Bat und Bar Mitzwas eingeladen, und Israel war uns auch nicht fremd, als wir hinkamen.

Sie waren von 2007 bis 2011 als Ehefrau des österreichischen Botschafters in Tel Aviv, Sie sprechen auch ein bisschen Ivrit. Welche Beziehung haben Sie zu dem Land gewonnen?

❙ Vier Jahre sind eine lange Zeit, und ich war dort ja nicht nur in der Rolle als Botschaftergattin. Es war mir ganz wichtig, auch meine eigene berufliche Laufbahn weiterzuführen, und ich habe schon im Vorfeld meine Job­optionen ausgelotet. Unter mehreren Angeboten, u. a. vom Weizmann-Institut und vom Hadassah-Krankenhaus, habe ich mich für die Universität in Tel Aviv entschieden und war auch nach unserer Rückkehr dort noch einige Monate Gastdozentin. Ich habe noch immer viele gute Kontakte dorthin, auch private und freundschaftliche.

Sie kennen die MedUni Wien auch als Lehrende und haben Ihre Ausbildung zum Teil in England gemacht. Gerade in der medizinischen Forschung, etwa im Bereich Stammzellen, scheint Israel liberaler als Österreich zu sein. Wie schätzen Sie das akademische Niveau in Israel ein?

❙ Das muss man immer nach Fachgebieten differenzieren. Auf meinem Gebiet, der Public Health und der Epidemiologie, habe ich in Israel teilweise mehr Möglichkeiten und Optionen wissenschaftlicher Natur vorgefunden als hier an der Universität. Das liegt daran, dass Israel auf diesem Gebiet nach dem amerikanischen System orientiert ist, wo das ein sehr großes Forschungsgebiet ist, und das war für mich eine absolute Bereicherung. Die Möglichkeiten zur wissenschaftlichen Arbeit sind in Israel zum Teil breiter und weiter.

Wenn Sie die Gesundheits- und Sozialsysteme der beiden Länder vergleichen, was fällt Ihnen da besonders auf?

❙ Was die medizinische Versorgung betrifft, so sind Israel und Österreich in Hinblick auf ihre Systeme über weite Strecken vergleichbar. Es gibt die Pflichtmitgliedschaften in den öffentlichen Krankenkassen mit dem großen Unterschied, dass man sich in Israel seine Krankenkasse selbst wählen kann. Es gibt dort vier öffentlichen Krankenkassen, die auch von der Regierung gestützt werden, allerdings stehen sie in Israel in einem kompetitiven Verhältnis. Die große Gemeinsamkeit ist das solidarische Gesundheitssystem, d. h. die, die sich eine Behandlung nicht leisten könnten, werden von den anderen Beitragszahlern unterstützt. In beiden Ländern sind fast hundert Prozent der Bevölkerung krankenversichert, und das ist ganz wichtig. Die medizinische Versorgung fand ich – bei der Geburt meiner Tochter und als Mutter zweier kleiner Kinder habe ich ja auch persönliche Erfahrungen gemacht –, was Standard und Niveau betrifft, vergleichbar mit Österreich.

„Die typische israelische Frau gibt es nicht,
weil die israelische Gesellschaft eine so diverse ist wie fast keine andere, und das ist
eine ungeheure Bereicherung.“

 

Wie würden Sie als Frauenministerin die Stellung der Frau im Vergleich beider Länder betrachten?

❙ Die typische israelische Frau gibt es nicht, weil die israelische Gesellschaft eine so diverse ist wie fast keine andere, und das ist eine ungeheure Bereicherung. Natürlich gibt es auch die typische österreichische Frau nicht. In Tel Aviv hatte ich eher mit säkularen Frauen Kontakt, die zum Teil auch beruflich sehr erfolgreich waren, aber alle hatten viele Kinder. Das hat mir Mut gemacht zu sagen, du bist keine Rabenmutter, wenn du Karriere machst und Kinder hast. Es ist auch kein Zufall, dass ich meine zweite Tochter dort zur Welt gebracht habe.

Frauen leisten in Israel Wehrdienst, es gibt aber viel weniger Mutterschutz und Karenzzeit, trotzdem ist die durchschnittliche Kinderzahl wesentlich höher. Worauf führen Sie das zurück?

❙ Auf das gesellschaftliche Klima. Es ist gesellschaftlich akzeptiert und etabliert, dass Mütter arbeiten und ihre Karriere verfolgen und die Kinderbetreuung partnerschaftlich geteilt wird. Hier in Österreich wurde mir bereits nach meinem ersten Kind nahegelegt, mich zu entscheiden. Als Frauenministerin ist mir diese gesellschaftliche Offenheit ganz wichtig und dass Frauen in Österreich die nötigen Rahmenbedingungen vorfinden, um Karriere und Kinder unter einen Hut zu bringen – das heißt Ausbau der ganztägigen Kinderbetreuung und zwar flächendeckend. Wirklich gut gefallen haben mir in Israel die Mutter-Kind-Zentren, multiprofessionelle Versorgungszentren, die Frauen schon während der Schwangerschaft zur Verfügung stehen. Dort gibt es Hebammenberatung, gynäkologische-, Impf- und Stillberatung und psychologische Hilfe unter einem Dach und für alle Frauen frei zugänglich. Das ist ein multiprofessioneller Ansatz, den wir jetzt in den neuen regionalen Gesundheitszentren in Österreich noch etwas breiter über die Mutter-Kind-Versorgung hinaus verfolgen.

Apropos gesellschaftliches Klima. Sie setzen sich für die Homo-Ehe ein, etwas, was es in der Form in Israel nicht gibt, weil dort das Familienrecht religiös bestimmt ist. Dennoch hat gerade Tel Aviv eine blühende Schwulen- und Lesbenszene. Haben Sie diesbezüglich auch Einblicke gewonnen?

❙ Soweit bin ich nicht vorgedrungen, aber es scheint zumindest in Tel Aviv eine Offenheit zu geben, das zu leben. Ich glaube, in Österreich ist es wichtig, die völlige Gleichstellung in der Ehefrage zu schaffen und damit den letzten Schritt gegen Diskriminierung zu gehen. Es ist eine wichtige Symbolik. „Eingetragene Partnerschaft“ bedeutet ja automatisch eine gleichgeschlechtliche Beziehung und ist ein Outing, das man vielleicht nicht will.

Ihre Karriere hat Ihren Mann veranlasst, wieder nach Österreich zurückzukehren. Das ist zumindest hierzulande bemerkenswert. Haben da auch „feministische“ Erfahrungen in Israel mitgespielt?

❙ Mein Mann hat nach fast vier Jahren als Botschafter auf das ihm angebotene Zusatzjahr verzichtet, weil ich den Ruf nach Österreich bekommen habe. Das war sicher ein Entgegenkommen, das ich ihm hoch anrechne. Er war aber immer schon ein Unterstützer und hat mich auch in der Entscheidung, das Ministeramt anzunehmen, sehr bestärkt.

Heißt das, er ist ein Feminist?

❙ Ich würde sagen: ja.

PAMELA RENDI-WAGNER wurde 1971 in Wien geboren. Nach Abschluss ihres Medizinstudiums in Wien machte sie einen Master an der London School of Hygiene and Tropical Medicine und habilitierte 2008 in Wien. Von 2008 bis 2011 war sie Gastprofessorin an der Universität Tel Aviv und leitete danach die Sektion Öffentliche Gesundheit im Gesundheitsministerium. Seit März 2017 ist sie Bundesministerin für Gesundheit und Frauenfragen. Pamela Rendi-Wagner ist mit dem ehemaligen Botschafter Österreichs in Israel, Michael Rendi, jetzt Kabinettschef von Minister Thomas Drozda, verheiratet, mit dem sie zwei Töchter hat.

Bild: © Gerhard Deutsch / KURIER / picturedesk.com

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