Israel ist zu klein für vier Freud-Stücke

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Zur Wiener Premiere Ihres Else-Lasker-Schüler-Abends Weltflucht kam die israelische Dramatikerin Savyon Liebrecht in die Stadt, die Schauplatz ihres neuen Freud-Stückes ist.  Was sie an dem Vater der Psychoanalyse und dem deutsch-jüdischen Wesen an sich interessiert, erklärt sie in einem Gespräch mit Anita Pollak.

WINA: Hanna Arendt, Else Lasker-Schüler oder Sigmund Freud sind die prominenten Protagonisten Ihrer Theaterstücke. Was fasziniert Sie als israelische Autorin an dieser Kultur und der Zeit, aus der Ihre Figuren kommen?

Savyon Liebrecht: Was diese Personen gemeinsam haben, ist das Zusammentreffen von deutsch und jüdisch. Mich interessiert es, das zu erkunden. Die drei wichtigsten Wissenschaftler des 20. Jahrhunderts waren Juden, die sich von deutscher Kultur nährten: Einstein, Marx und Freud. Auf der anderen Seite ist auch Auschwitz eine Art Zusammentreffen von Deutschen und Juden, und all das hat mein Interesse geweckt. Mein Wunsch, mich mit diesem einzigartigen Wesen des deutschen Juden zu befassen, führte mich zur Banalität der Liebe, meinem Stück über Hannah Arendt und Martin Heidegger.

In Israel wird die aussterbende Spezies der deutschen Juden, der so genannten „Jeckes“, teils liebevoll, teils spöttisch betrachtet. Was ist für Sie das Besondere an ihnen?

❙ Die „Jeckes“ sind nach Israel übersiedelt, wurden aber nie wirklich Israelis. Ich habe einen deutschen Juden geheiratet, Liebrecht ist ja nicht mein Mädchenname, und ich lernte mit 23 diese Spezies kennen, die so anders war, und wurde neugierig auf sie. Da gab es etwa jene, die nicht Hebräisch lernen wollten, weil sie dachten, es könnte als Verrat am Deutschen gesehen werden. Sie fühlten, dass sie eine Wahl treffen mussten, und so blieben sie Deutsche. Für mich war es erstaunlich, dass Menschen so loyal gegenüber den Mördern sein konnten, ich betrachte es als eine Art von Stockholm-Syndrom.

„Ich habe mich die letzten acht Jahre mit Freud befasst.“

Aber zufällig wurden auch Sie in Deutschland geboren und verstehen sogar Deutsch. Wieso?

❙ Das war wirklich zufällig, denn meine Eltern stammten aus Polen. Sie haben einander nach dem Krieg in München kennen gelernt, wo ich dann geboren wurde. Ich habe kurz Deutsch gelernt und war dann eben auch in dieser Familie von deutschen Juden.

Ihre Stücke haben meist einen historischen Background. Halten Sie sich da streng an die Fakten oder gehen Sie eher frei damit um?

❙ Die meisten meiner Stücke basieren auf einer meiner eigenen Geschichten, d. h. diese Geschichten sind eine Art von Kurzfassung der späteren Stücke, zu denen dann freilich die Dialoge und anderes mehr hinzukommt.

Wie kam es zu Ihrer Beschäftigung mit Sigmund Freud?

❙ Es begann mit einer Einladung des Direktors des Gesher-Theaters, Yevgeny Aryeh, über Freud zu schreiben, aber angesichts der vielen, vielen Regale voll von Freud-Literatur sagte ich sofort ab. Ich wollte nicht Jahre meines Lebens mit der Lektüre Freuds zubringen, aber dann weckte zuerst die Beziehung von Freuds Frau und ihrer Schwester Minna mein Interesse, weil mich Geschichten von zwei Schwestern immer schon beschäftigt haben und so begann ich zu lesen, verliebte ich mich in das Thema und habe mich die letzten acht Jahre mit Freud befasst.

Im Stück, das jetzt für das Cameri-Theater in Tel Aviv vorgesehen ist, geht es um das Verhältnis von Freud und Anton Sauerwald, einem österreichischen Nazi, der von den NS-Behörden als Freuds Treuhänder eingesetzt war, letztlich aber dessen Leben rettete. Er verheimlichte, dass er Dokumente von ausländischen Konten Freuds gefunden hatte, und ermöglichte die Ausreise der Familie. Wie sehen Sie die ambivalente Persönlichkeit Sauerwalds?

❙ Es ist nach wie vor unklar, ob er es für Geld tat. Aber etwas für Geld zu tun, ist für ein Stück nicht interessant. Doch er hat wirklich etwas riskiert, denn er hat für Freud etwas Illegales gemacht. In diesem Stück gibt es zwar keine erfundene Figur, doch die Dialoge sind natürlich erfunden. Es könnte sich aber so zugetragen haben, es wäre eine der Möglichkeiten gewesen. Für mich war es interessant zu verfolgen, was sich zwischen Freud und Sauerwald abgespielt hat, was diesen Nazi verändert hat.

„Es ist, wie nach Hause zu kommen, und doch noch immer aufregend.“

Ist es ein Risiko, in Israel eine Art „guten Nazi“ auf die Bühne zu bringen?

❙ Nein, es ist eher ein Beispiel für die nur allzu wenigen, die sich so verhielten.

Sie haben bereits vier Freud-Stücke geschrieben, die anderen drei sind noch nicht für Aufführungen vorgesehen. Ist Freud kein so großes Thema in Israel?

❙ Israel ist zu klein für vier Freud-Stücke, obwohl Freud natürlich auch dort sehr berühmt ist und es psychoanalytische Gesellschaften etc. gibt, die sich alle etwas von Freuds Theorien aussuchen.

Wie ist es denn für Sie, in Freuds Stadt zu sein? Wann wird Ihr Stück hierher finden?

❙ Ich bin häufig da, und mein erster Weg ist immer in das Freud-Museum. Ich finde dort jedes Mal etwas Neues. Es ist, wie nach Hause zu kommen, und doch noch immer aufregend, buchstäblich auf Freuds Fußspuren zu gehen. Die Botschaft will sich für eine Aufführung einsetzen, aber es gibt noch keine konkreten Pläne.

Sie gehören der so genannten „second generation“ an, die in Israel literarisch sehr produktiv ist. Wie gehen Sie mit diesem Erbe um?

❙ Natürlich beeinflusst das mein Schreiben und ist auch in einigen meiner Geschichten ein Thema. Lange dachte ich, dass es sich irgendwann erschöpfen würde, aber es taucht bei mir immer wieder auf, und jetzt habe ich akzeptiert, dass es für immer da sein wird, weil es unerschöpflich ist und sich immer neue Gesichtspunkte ergeben.

Savyon Liebrecht wurde 1948 in München als Tochter polnisch-jüdischer Holocaustüberlebender geboren. Sie wuchs auf in Israel, studierte Philosophie und Literaturwissenschaft. Während ihres Militärdienstes begann sie zu schreiben, Theaterstücke, Fernsehscripts und vier Erzählungsbände, die zum Teil auch auf deutsch übersetzt sind. In Israel ist sie mehrfach ausgezeichnet worden und war zweimal Dramatikerin des Jahres.


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