„Ohne eine jüdische Buchhandlung würde etwas fehlen“

Nach einer erfolgreichen Sanierung der historischen Räume wurde in einem stimmungsvollen Festakt mit vielen Gästen die neue Jüdische Buchhandlung, der Bookshop Singer, am Rabensteig mit dem Anbringen einer Mesusa eröffnet. Dorly Singer, Chefin, Buchhändlerin und Neogastronomin, ist erschöpft, aber glücklich. Ein Rundgang mit Anita Pollak.

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Dorly Singer. „Es ist ein Ort, an dem ich wirklich Geschichte spüre.“ © Konrad Holzer

Interview mit Dorly Singer

WINA: Fast 2.500 Unterstützer haben 2017 eine Petition zur „Rettung“ deiner Buchhandlung im Jüdischen Museum unterschrieben. War das für dich eine Motivation weiterzumachen, nachdem dieses Vorhaben gescheitert war?
Dorly Singer: Das war eines von mehreren Motiven, nicht nur, weil so viele unterschrieben haben, sondern auch, wer da aller unterschrieben hat. Ich hatte ja keine Kampagne dafür gemacht. Es kam dann auch aus dem Bekannten- und Freundeskreis die Aufforderung weiterzumachen, nur in der Familie waren die meisten eher dagegen, denn sie wissen, wie viel Arbeit und Selbstausbeutung das für eine Buchhändlerin bedeutet.

Wie kam es dann letztlich zur Entscheidung, dir das gerade hier nochmals anzutun?
❙ Ich war immer Buchhändlerin und finde, ohne eine jüdische Buchhandlung würde etwas fehlen in Wien, und ich hab’ noch was zu sagen. Ich hatte ja schon ein Lokal für eine kleine jüdische Buchhandlung im zweiten Bezirk angemietet, und erst danach kam die Kultusgemeinde auf mich zu mit dem Plan, diese Räume dafür zu nutzen.

Du bist nun mit diesem Lokal in der sprichwörtlichen jüdischen Gasse gelandet. Die unmittelbaren Nachbarn sind die IKG, der Stadttempel und das Wiesenthal-Institut. Welchen Einfluss wird das auf den Betrieb haben?
❙ Meine Kunden waren in der Dorotheergasse zum überwiegenden Teil Nicht-Juden oder nicht IKG-Mitglieder, insofern hab’ ich ein bisserl Sorgen, wie sich das entwickeln wird. Wir werden hier aber einen stärkeren Schwerpunkt auf Tourismus legen, wir haben bereits Termine mit den Kreuzfahrtschiffen, die sich kurz in Wien aufhalten und Gäste hierher bringen wollen, und auch Synagogen-Führungen werden hier einen Treffpunkt haben.

 »Eine Kombination aus Information, Gastfreundschaft und Bewirtung finde ich ideal.«
Dorly Singer 

Wie fühlst du dich in diesen neuen Räumen, die ja gleichzeitig uralte Gemäuer sind?
❙ Wenn ich die Wahl gehabt hätte, wäre ich lieber im Museum geblieben, und anfänglich ist es mir hier zu groß erschienen, aber es ist ein Ort, an dem ich wirklich Geschichte spüre. Hier war vor Jahrhunderten eine Salzhandlung untergebracht war, dann eine Bäckerei. Bei der Sanierung hat man die Fundamente eines alten Backofens gefunden und auch Teile der alten Stadtmauer freigelegt, es war also immer ein wichtiger Ort.

Historischer Ort. Chanukka-Buch aus dem Jahr 1938 verweist auf die Adresse Rabensteig 3 und die Familie Belf.

Der eigentliche Verkaufsraum geht nahtlos in ein kleines Café über, das du selbst betreibst. Was hat dich an der Gastronomie gereizt?
❙ Eine Kombination aus Information, Gastfreundschaft und Bewirtung finde ich ideal, man kann hier nicht nur in Büchern schmökern, sondern z. B. auch israelische Zeitungen lesen. Und die Gastronomie hat mich immer ein bisschen interessiert, obwohl ich bei den Öffnungszeiten der Buchhandlung nur zu Fast-Food gekommen bin.

Nun zur Buchhandlung im engeren Sinn. Wie ist das Sortiment ausgerichtet, welche Schwerpunkte gibt es da, und wie jüdisch ist das Angebot?
❙ Wir versuchen auf vielen Gebieten die jüdische Thematik abzudecken. Stark sind religiöse Judaica wie Gebetbücher und Kommentare vertreten, die bekommt man ja anderswo nicht so leicht, und das ist ja die Basis des Judentums. Natürlich haben wir auch Philosophie, Lyrik, Zeitgeschichte und Austriaca mit jüdischem Schwerpunkt. Israelische Literatur habe ich extra aufgestellt. Es fehlt hier im engeren Umkreis auch eine allgemeine Buchhandlung.

Quasi als Event-Location sollen die großzügigen Räume auch mit einem Kulturprogramm bespielt werden. Wie und wo soll das stattfinden?
❙ Eigentlich im ganzen Raum, wie es die Architektin Eva Beresin vorgesehen hat, die mir das ganze Jahr über geholfen und meine Ideen bei der Einrichtung umgesetzt hat. Sie ist eigentlich bildende Künstlerin, einige ihrer Bilder sind hier ausgestellt. Ich habe auch ein Klavier hier, vorläufig ist aber kein fixes Programm geplant, wir werden sehen, was sich daraus entwickelt.

Du hast gerade mit Rabbiner Schlomo Hofmeister einen Kaschrut-Vertrag unterzeichnet, was besagt der für das Café?
❙ Dass ich die Verantwortung habe, aber die Oberaufsicht, d. h. den Maschgiach stellt das Rabbinat. Das Angebot darf milchig und parve sein, also etwa so wie es früher das Café Teitelbaum im Jüdischen Museum war. Ich kann jetzt acht Bewirtungsplätze anbieten. Wir haben sehr gute Mehlspeisen von der Patisserie Schneor Zivion und Brote mit Aufstrichen, ausgezeichneten Tee und Kaffee von der Rösterei Franze. Und wir werden in der Küche des Maimonides auch immer eine gute Suppe zubereiten, die wir hier servieren.

Zum Plus des Lokals zählt der Info-Point, ein Hotspot für Touristen. Was kann man hier erfragen und erfahren?
❙ Alles, angefangen von einem Veranstaltungskalender, den wir führen werden, bis zu Auskünften nach dem Weg oder Öffnungszeiten und Führungen. Da wird es eine Zusammenarbeit mit dem Wien-Tourismus geben, denn die Stadt Wien unterstützt diesen Info-Point ja auch. Es sollen auch andere Einrichtungen der IKG wie das Maimonides-Zentrum oder die Musikschule hier die Möglichkeit bekommen, sich darzustellen, es gibt Folder und Informationsmaterial.

Wie soll der angrenzende Ausstellungsraum mit seiner wunderbaren historischen Substanz gestaltet und genützt werden?
❙ Ich werde einen gemeinnützigen Kulturverein gründen, damit kann man auch um Förderungen ansuchen, und wir können dann in einer zweiten Phase den gigantischen Ausstellungsraum einrichten. Mit dessen Planung und Konzept ist gerade Felicitas Heimann-Jelinek, die frühere Chefkuratorin des Jüdischen Museums, befasst.

Wann kommt die Buchhändlerin bei all der Arbeit noch zum Lesen, und wie informierst du dich über Neuerscheinungen?
❙ Das ist ein wirkliches Problem. So wie alle Buchhändler informiere mich bei den Verlagen und im Feuilleton, es gibt natürlich Techniken wie Anlesen, Querlesen. Das letzte Jahr hab’ ich genützt, um einiges nachzulesen. Ich habe das Fernsehen und Zeitungslesen aus meinem Leben gestrichen und lese dafür Bücher.


Bookshop Singer
Rabensteig 3, 1010 Wien
So.–Do., 9–19 Uhr, Fr., 9–14 Uhr
Tel.: +43/(0)1/512 45 10

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