Seit 2006 ist der intime Schlesingerplatz, auf dessen Standesamt viele Josefstädter geheiratet haben, nach Therese Schlesinger benannt, einer sozialdemokratischen Kämpferin für Frauenrechte, die 1940 in Frankreich umkam. Aber der Platz hieß doch schon immer so, werden die Einheimischen sagen. Ja, stimmt, doch davor war er nach Josef Schlesinger benannt gewesen, einem Universitätsprofessor und glühenden Antisemiten, der als Abgeordneter im Reichsrat bereits 1899 gegen „die uns unterjochende jüdische Geldherrschaft“ wetterte. Für den Gemeinderat war es vielleicht nicht ganz unwichtig, dass durch die Umbenennung keine Adressänderung erfolgen musste. 2008 brachte die Bezirksvertretung schließlich eine Gedenktafel an, auf der es unter anderem heißt: „Auch in der Josefstadt wurden Menschen schuldig, es gab Opfer und Täter.“
Prominente und Unbekannte. 1934 waren über 13 Prozent der Josefstädter jüdischen Glaubens. Einige waren berühmt, wie etwa Hugo Bettauer, der Die Stadt ohne Juden schrieb und 1925 als eines der ersten Opfer des Nationalsozialismus bei einem Attentat starb. Oder der Librettist Fritz Löhner-Beda, der in Buchenwald umkam. Auch Stefan Zweig wohnte eine Zeitlang in der Josefstadt, die meisten der Verschwundenen und Ermordeten sind aber heute Unbekannte. Angestellte, Gewerbetreibende, Anwälte, Ärzte, die als friedliche Nachbarn lebten, bis sie abgeholt wurden, in Sammelwohnungen oder direkt in die Vernichtungslager gebracht wurden. 17 Namen sind es allein in der Alserstraße 21, einem durchschnittlichen Wiener Mietzinshaus.
Mit dem Buch in der Hand und offenen Augen wird man jedoch selbst als Bezirksbewohner viel Neues aus der Vergangenheit des Josefstädter Mikrokosmos entdecken können.
An sie zu erinnern, sie überhaupt zu nennen, ist das Verdienst des Vereins, der nicht nur für die Stolpersteine in der Josefstadt sorgt, sondern dem in der Person der Mitgründerin Irmtraut Karlsson auch für das Buch zu danken ist. Nachkommen oder andere berufene Personen fassen da in Kurzbiografien zusammen, was man über die einstigen Bewohner weiß, und da kommt manchmal doch erstaunlich viel Schicksal in lakonischer Form ans Tageslicht. Etwa über die Familie Grünsfeld aus der Florianigasse 44. Arnold Grünsfeld, Sohn eines koscheren Fleischers aus der Leopoldstadt, war Mitglied eines Turnvereins, einer der ersten Schifahrer, Monarchist, Zionist und Gründer einer Druckerei in der Schönborngasse. Dort beging er nach dem Einmarsch Hitlers im März 1938 Selbstmord. Seine Frau Mathilde kam im KZ um, ebenso Arnolds Nichte Ella und deren kleiner Sohn, die an derselben Adresse wohnhaft waren, die Druckerei wurde arisiert. Kein Einzelschicksal in dieser Zeit und doch jedes einzelne tragisch-berührend.
Nichts außer der letzten Wohnadresse wusste Elfi Colman, die als Fünfjährige mit einem Kindertransport nach England kam, von ihrer „verlorenen Mutter“. Mit einem Stein in der Lerchenfelder Straße 124 hat die Tochter nun einen anschaulichen Erinnerungsort.
Auch an Denkmälern und Institutionen wie den beiden Gymnasien in der Albertgasse, von denen eines für jüdische Sammelklassen eingerichtet war, macht der ganz besondere Bezirksführer Halt, erzählt die Geschichte jüdischer und nationalsozialistischer Schauspieler aus dem
Theater in der Josefstadt oder vergessener Künstlerinnen wie der Malerin Marianne Saxl aus der Skodagasse 15, die in Maly Trostinec umkam. Alte Fotos und Hintergrundinformationen ergänzen die Recherchen. Ein Namensverzeichnis vermisst man leider.
Mit dem Buch in der Hand und offenen Augen wird man jedoch selbst als Bezirksbewohner viel Neues aus der Vergangenheit des Josefstädter Mikrokosmos entdecken können.