Ich bin Otto Hans Ressler sehr dankbar, dass er diese dunkle und gewalttätige Seite des heute so verherrlichten ‚Wien um 1900‘ wieder in Erinnerung ruft und in eine fesselnde Novelle verpackt.“ Mit diesen Worten leitet Oliver Rathkolb, Vorstand des Instituts für Zeitgeschichte der Universität Wien, das Buch Die Verleumdung des Kunstexperten und geschäftsführenden Gesellschafters der Ressler Kunst Auktionen GmbH, Otto Hans Ressler, ein.
Als historische Hintergrundfolie nimmt Ressler, der schon 18 Bücher verfasst hat, den fast vergessenen Antisemitismus in der Habsburger Monarchie vor 1914 aufs Korn. Die Hauptfigur, der Fabrikant Baron Salomon Schön, klagt den rechtsradikalen Reichstagsabgeordneten Gerwald Holomek, Mitglied der Alldeutschen Vereinigung, auf Ehrenbeleidigung und Rufschädigung. Holomek beschuldigt die Schön & Co AG, der k.u.k. Armee untaugliche, ja Menschenleben gefährdende Perkussionsschlösser für das Repetiergewehr Steyr-Mannlicher geliefert zu haben. Diese Behauptung unterstellt Schön nicht nur Sabotage, sondern rückt ihn in die Nähe des Hochverrats. Die heftigen antisemitischen Polemiken während des Prozesses stehen im Zentrum der Novelle.
»Mir ging es um die Bloßstellung von Lügen,
von Niedertracht, von Bösartigkeit –
und da gibt es heute mehr als genug Stoff.«
Otto Hans Ressler
„Meine ursprüngliche Absicht war es, ein Buch zu schreiben, in dessen Mittelpunkt ein Gerichtsprozess steht. In einem Antiquariat habe ich ein völlig zerfleddertes Heft entdeckt, in dem mehrere Prozesse aus der Zeit um 1900 beschrieben waren“, erzählt der ehemalige Auktionator im Wiener Dorotheum. „Darunter war auch ein Prozess im Jahr 1892 in Berlin, in dem ein Abgeordneter des deutschen Parlaments einen jüdischen Fabrikanten verleumdet, Gewehre für die Armee absichtlich unbrauchbar gemacht zu haben, um nach dem nächsten Krieg, der zwangsläufig verloren werden musste, die jüdische Weltherrschaft zu errichten.“ Der gebürtige Steirer empfand das ungeheuerlich und absurd, wollte sich gar nicht vorstellen, dass tatsächlich jemand diesen Wahnsinn geglaubt haben konnte. „Andererseits erlebe ich Tag für Tag, dass das Ungeheuerliche, Absurde und Niederträchtige geglaubt wird.“
Bloßstellung von Niedertracht und Bösartigkeit. Ressler verlegt den Ort der Handlung nach Wien und erzählt die Geschichte aus der Sicht des Anwalts des jüdischen Fabrikanten. Er beschränkt sich nicht darauf, die Abläufe des Prozesses zu beschreiben, der sich durch ständige Wiederholung der Propagandalügen der Gegenseite zu einer antijüdischen Hassorgie emporschaukelt, sondern fügt die Figur der geheimnisvollen Valerie Kronsky hinzu. Sie sorgt als begehrtes Liebesobjekt für die emotionale Dynamik zwischen den männlichen Hauptprotagonisten, dem Fabrikanten Schön, dem Abgeordneten Holomek und dem erzählenden Advokaten. Angesichts der Wucht des politischen Hauptstrangs wirkt diese von allen dreien geteilte Leidenschaft genau so konstruiert, wie sie ist. Aber die Schlusspointe tröstet darüber hinweg.
„Ich wollte nie einen historischen Roman schreiben. Deshalb habe ich mir als handelnde Personen auch Menschen vorgestellt, die jetzt leben“, erzählt Ressler. „Ich bin sogar so weit gegangen, einzelne wörtliche Zitate von aktiven Politikern einzubauen. Mir ging es um die Bloßstellung von Lügen, von Niedertracht, von Bösartigkeit – und da gibt es heute mehr als genug Stoff. Wer hätte sich noch vor zwei Jahren vorstellen können, dass die Demokratie in Österreich unter Druck gerät, die Pressefreiheit, die Einhaltung menschenrechtlicher Grundsätze oder unser System des Ausgleichs der Interessen?“