DER SCHEUE STAR

In einer neuen Autobiografie des 2008 verstorbenen Schauspielers Paul Newman auf Basis wiedergefundener Tonbandprotokolle erzählt dieser über schwierige Anfänge seiner Karriere, erlebten Antisemitismus, langjährige Alkoholprobleme und seine umfangreiche Spendentätigkeit.

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Paul Newman posiert für ein Porträt im Harper’s Magazine 1966. © mptv / picturedesk.com

Es ist eine Reise, die 1986 beginnt und zurückführt in die Zwanzigerjahre des letzten Jahrhunderts. Und doch wirken die Worte, in denen diese erzählt wird, ganz frisch, unmittelbar und ungeschönt. Sie basieren auf langen Sitzungen vor dem Mikrofon eines Tonbandes, in denen der große Schauspieler Paul Newman seinem Freund, dem Drehbuchautor Stewart Henry Stern, sein Leben erzählte.

Gedacht waren die Aufnahmen als Grundlage für ein Buchprojekt von Newman für seine eigene Familie: „Dieses Buch entsprang dem Bestreben, meinen Kindern alles zu erklären. Ich galt immer als distanziert und reserviert. […] Irgendwann höre ich mir die Aufzeichnungen nochmal an, an meinem Lebensabend wahrscheinlich, und dann mache ich daraus so etwas wie eine Autobiografie, die, so gut es geht, der Wahrheit entspricht. Denn was ansonsten über mich im Umlauf ist, kommt der Wahrheit nicht einmal nahe.“ Das sollte freilich deutlich länger dauern. Newman selbst vergaß die Bänder, sie wurden erst viele Jahre nach seinem Tod in einem Schrank entdeckt und sind nun als Buch in mehreren Verlagen der Random House Gruppe erschienen: Paul Newman. Das außergewöhnliche Leben eines ganz normalen Mannes. Die Autobiografie.

 

„Ich beurteilte alles danach, was ich nicht war, nicht
danach, was ich war. Ich hatte das Gefühl, mir fehlte etwas.“
Paul Newman

 

Newman, 1925 in Cleveland geboren, hat seine Wurzeln in Mittelosteuropa. Die Vorfahren seines Vaters waren Juden aus Polen und Ungarn, seine Mutter, eine Katholikin, stammte aus der Slowakei. Es gab Vorbehalte aufseiten der Juden gegenüber der „heidnischen Christin“, sie hielten sie laut Newman für ein Flittchen, für „berechnend, ungebildet und gesellschaftlich unter dem Niveau der Newmans“. Paul fand dies „kurios, denn nur eine Generation zuvor waren die Newmans selbst noch fliegende Händler und Kesselflicker gewesen“.

Pauls Vater betrieb ein gut gehendes Sportartikelgeschäft, brachte dieses auch als angesehener Kaufmann mit Lieferantenkrediten von Firmen wie Wilson oder Spalding durch die schwierige Zeit der Depression. Paul war ein schmächtiger, kleiner Bub, erhielt vom Vater kaum Zuspruch. „Bei uns zuhause herrschte eine Atmosphäre der Unzufriedenheit, weil ich offenbar nichts richtig machte. […] Die einzige Möglichkeit, irgendeine Art von Anerkennung von ihm zu bekommen, war durch Arbeit, mit der ich Geld verdiente.“

Also suchte sich der Jugendliche alle möglichen Jobs in der Umgebung, als Blumenbote und Lagerarbeiter in einem Lebensmittelgeschäft, als Bürstenvertreter und als Zeitungsausträger. Das führte ihn auch aus seiner eigenen kleinbürgerlichen Nachbarschaft zu den großen, teuren Häusern, die der Atmosphäre im Roman Der Große Gatsby von F. Scott Fitzgerald ähnelten. „Da entwickelte ich den Wunsch, reich zu sein. Und damit meineich, extrem reich.“ Das sollte ihm auch gelingen, später.

Exodus, 1960: Paul Newman spielte in Otto Premingers Monumentalfilm Ari Ben Canaan, der 1947 versucht, auf Zypern internierte Juden nach Palästina zu bringen. © mptv / picturedesk.com

Zunächst durchlebte er noch eine Zeit des Zweifels und der Unsicherheit. „Ich war von Natur aus gar nichts. Ich war kein Liebhaber. Ich war kein Sportler. Ich war kein Schüler. Ich war kein Anführer. Ich beurteilte alles danach, was ich nicht war, nicht danach, was ich war. Ich hatte das Gefühl, mir fehlte etwas.“ Die Außensicht war freilich anders, Menschen erinnern sich an den jungen Newman als arroganten Romantiker, überzeugt von sich selbst und deshalb abweisend. „Ich war doch bloß schüchtern.“

„Auch meine Religionszugehörigkeit trug viel dazu bei, dass ich mir vorkam wie ein Außenseiter. Als ich jung war, dachte ich, als Halbjude – der sich, so wie ich, einfach als Jude betrachtete – könnte ich gar nicht in die oberen Riegen aufsteigen, was mir aber wiederum sehr wichtig war.“ So trug er bei der Aufnahme in die Marine ins Formular eine christliche Religion ein, später im College wurde ihm als Jude der Eintritt in eine Studentenvereinigung verweigert.

Sein Wunsch, Pilot zu werden, scheiterte an einem anderen Grund: Er war farbenblind. Also machte er bei der Navy ein Ausbildung zum Funker und flog in einem Torpedobomber mit, der von einem Flugzeugträger vor Japan operierte. Seine erste Prügelei im Militär, die er übrigens gewann, hatte als Auslöser eine antisemitische Beleidigung. Paul, der Spätentwickler, wuchs in der Navy noch einmal zehn Zentimeter, und er lernte auch das Trinken.

Zurück aus dem Krieg begann er ein Studium am Kenyon College in Ohio, einen Mix aus Ökonomie und Politikwissenschaften. Er wusste noch nicht, was er machen sollte, eventuell gemeinsam mit seinem Bruder später die Firma des Vaters übernehmen. Dazu hatte er eine reine MännerUni gewählt, um nicht von Mädchen abgelenkt zu werden. „Das Problem daran war nur, dass man an einer Uni ohne Frauen geradezu besessen wird von Frauen.“

Der Autonarr. Ende der 1960erJahre begann Newmans Leidenschaft für schnelle Autos, dem bald schon seine zweite Karriere als Rennfahrer folgte. 1979 nahm er am 24-Stunden-Rennen von Le Mans teil (Foto). © JEAN-PIERRE PREVEL / AFP / picturedesk.com

Das Studium ging ihm nicht wirklich leicht von der Hand, er schreibt selbst, dass er wohl eine „Lernschwäche“ habe, „noch heute lese ich nicht richtig. Nach wie vor fällt es mir schwer, Drehbücher im Kopf zu behalten.“ Und doch begann – aus einem Zufall – hier seine schauspielerische Karriere. Wegen einer Sauferei flog Newman aus dem Football-Team und hatte auf einmal viel Freizeit. Also inskribierte er Theaterkurse, auf der Bühne war er schon als Zwerg in der Grundschule gestanden. Und nun fand er Gefallen daran, begann auch schon in Sommertheatertruppen aufzutreten. Dazwischen gründete er im College einen Wäscheservice, keilte dafür sehr erfolgreich Studenten als Kunden, indem er ihnen Freibier versprach, wenn sie ihre Wäsche bei ihm abgaben – und leitete diese an einen größeren Betrieb weiter.

Nun hatte er auch schon Selbstsicherheit gewonnen, ein damaliger Kommilitone erinnert sich an ihn als „wild, lasziv und gefährlich. Er war vermutlich der bekannteste Typ auf dem Campus. Er trank mehr. Er vögelte mehr. Er war tough und cool, darauf standen die Mädchen. Er gefiel ihnen, weil er ein Teufel war.“ Den College-Abschluss – mit GI-Stipendium – schaffte er, hängte sogar ein Jahr Yale an und studierte dort neben Schauspiel vor allem Regie. Doch dann war ihm das zu akademisch, und er wechselte zu Lee Strasberg in dessen New Yorker Actors Studio.

 

„[…] für mich war es eine Art Kampfansage,
meinen richtigen Namen zu
behalten,
ihn
mir wie eine Plakette anzuheften.“
Paul Newman

 

 

Nun begann eine Zeit der kleinen Rollen und seltenen Einspringgelegenheiten, der prekären Lebensumstände, noch verschärft durch eine frühe Heirat und Vaterschaft. Sein CollegeImage konnte er noch nicht ganz auf die Bühne übertragen. Einer seiner Regisseure gab ihm damals als Antwort, warum er ihm die Hauptrolle nicht anvertraue. „Die würde ich dir ja gerne geben, Junge, aber du hast einfach keinen Sexappeal.“

Aber schön langsam arbeitete sich Newman nach oben, zunächst am Broadway, dann mit TV-Produktionen. Das Fernsehen übertrug damals noch live Theaterstücke. Und der tödliche Verkehrsunfall von James Dean ließ Newman in einer dieser Produktionen an die erste Stelle rücken. Dann wagte er den Sprung nach Hollywood, ins Filmgeschäft.

Dort sollte er wieder mit seiner jüdischen Herkunft konfrontiert werden. „Als meine Schauspielkarriere in Gang kam, hätte ich die Gelegenheit gehabt, meinen Namen zu ändern, so wie Tony Curtis (geboren als Bernard Schwartz) oder Kirk Douglas (ehemals bekannt als Issur Danielowich). Am Broadway und in Hollywood schlug man mir vor, mich in Buck Soundso umzubenennen […]. Damit hätte ich meine jüdischen Wurzeln hinter mir lassen können, sie einfach kappen können, nachdem sie mir so viel Ärger bereitet hatten. Aber für mich war es eine Art Kampfansage, meinen richtigen Namen zu behalten, ihn mir wie eine Plakette anzuheften.“

Preise, Liebe, Dämonen. Sein Erfolg wurde damit auch nicht geschmälert. Newman sollte mehr als 50 Filme drehen, vor der Kamera als Schauspieler und hinter der Kamera als Regisseur. Darunter waren so berühmte Werke wie Die Katze auf dem heißen Blechdach mit Elizabeth Taylor, Exodus, Haie der Großstadt, Der Clou, The Verdict, Road to Perdition. Zehn Mal war er für den Oscar nominiert, einmal erhielt er ihn, daneben zahlreiche andere Preise, Golden Globes oder Emmys.

Und er fand auch privates Glück, in seiner zweiten Ehe, mit der Schauspielerin Joanne Woodward, ebenfalls eine Oscar-Trägerin. Mit ihr hatte er drei weitere Kinder, die beiden Stars arbeiteten auch gemeinsam an mehrere Filmen. Es sollte eine außergewöhnliche, vorbildliche Langzeitehe in der Unterhaltungsbranche werden.

Doch seine Dämonen sollten Newman nicht verlassen. Die Selbstzweifel würden trotz großer Erfolge bleiben, mehrmals bezeichnete er sich in den autobiografischen Tonbandaufnahmen als „Hochstapler“. Und der Alkohol blieb sein ständiger Begleiter, trotz Therapien kam er davon nicht los.

„Ich beurteilte alles danach, was ich nicht war,
nicht
danach, was ich war. Ich hatte das Gefühl,
mir fehlte
etwas.“
Paul Newman

 

Parallel zur Schauspielarbeit fand Newman dann noch eine zweite Karriere: als Rennfahrer. Ursprünglich hatte er eine Ausbildung dazu für einen Film gemacht, dann zündete das Feuer der Geschwindigkeit. Er sammelte eine Reihe von Siegen in US-Sportwagenrennen auf Datsun/Nissan, erreichte sogar bei den 24 Stunden von Le Mans mit zwei weiteren Piloten auf Porsche einen zweiten Platz. Und er fuhr noch in seinen Siebzigern erfolgreiche Rennen. Sein eigener Rennstall zeichnete sich durch Namen wie Mario Andretti aus.

Freilich investierte Newman seine Filmhonorare nicht bloß in schnelle Autos. Er wurde auch – über die unterschiedlichsten Projekte – zu einem der bekanntesten Wohltätigkeitssponsoren. Es begann mit einem Ferienlager für kranke Kinder, aus dem eine Kette werden sollte. Er spendete und sammelte für College-Stipendien und für Kriegsopfer im Kosovo, für Naturschutz und für sauberes Wasser in armen Ländern. Den Reingewinn seiner Lebensmittelfirma mit Salatsaucen und Sugos widmete er gänzlich guten Zwecken.

„Ich habe die Beweggründe für mein wohltätiges Engagement immer in Frage gestellt. Ich weiß nicht, wie altruistisch sie wirklich sind. Oder wie großzügig. […] Was schadet es mir denn, zehn Millionen Dollar abzugeben? Dadurch ändert sich mein Lebensstandard nicht. Ich bekomme nicht weniger zu essen, und ich kann mir nach wie vor einen Buick-Motor in einen Volvo einbauen lassen.“ Das mit den zehn Millionen ist schwer untertrieben. Es gibt Schätzungen, dass Newman an eigenen Spenden und solchen, die er bei anderen reichen Menschen akquirierte, mehr als eine Milliarde Dollar aufgebracht hat. Der britische Economist schrieb in einem Nachruf zu seinem Tod, dass Newman als Einzelperson gemessen an seinem Einkommen der großzügigste Spender der USA im 20. Jahrhundert gewesen sei.

Und doch ist ein Fazit, das dieser in den Tonbandprotokollen zieht, wieder grüblerisch und alles andere als selbstbewusst: „Ich hatte immer das Gefühl, ich bin in meinem Leben nur ein Beobachter. Ob sich das durch das viele Budweiser noch verstärkt hat, weiß ich nicht.“ Und: „Wenn ich ,Newman‘ als Eintrag im Wörterbuch definieren müsste, würde ich ihn so formulieren: ,Jemand, der sich zu viel Mühe gibt.‘“ Paul Newman starb an den Folgen einer Lungenkrebserkrankung am 26. September 2008.

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