Ein anderer Blick auf Konrad Mautner

Das andere Leben. Fotografien von Konrad Mautner ist der Titel einer Ausstellung, die ab 27. Jänner im Volkskundemuseum Graz zu sehen ist. Durchaus gerüttelt wird darin am bisherigen Bild des Privatiers und Volkskundlers, Sohn des jüdischen Textilgroßindustriellen Isidor Mautner, dem lange nachgesagt wurde, lieber im Salzkammergut leben zu wollen als in seiner Heimatstadt Wien. WINA traf die Kuratorin der Schau, Birgit Johler, in Graz.

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Tausende von Fotos wurden durch Zufall erst vor Kurzem gefunden. Sie geben zum Teil ein ganz neues Bild des eminenten Sammlers und Fotografen Konrad Mautner. © Stephen M. Mautner, Vertreter der Erben von Anna und Konrad Mautner

Birgit Johler hat einen Schatz vor sich ausgebreitet. Im ehemaligen Haus Konrad Mautners (1880– 1924) am Grundlsee im Salzkammergut, das sich inzwischen – nach einem entsprechenden Rückstellungsverfahren nach der NS-Zeit – wieder im Besitz der Familie befindet, sind Nachfahren auf insgesamt 19 Fotoalben mit tausenden Aufnahmen gestoßen. Sie zeigen einerseits Anna und Konrad Mautner sowie deren Kinder, aber auch andere Familienmitglieder, Freunde und Bekannte in Wien wie im Salzkammergut. Es gibt aber auch Fotografien, die Konrad Mautner seinerseits gemacht hat. Nicht alle, aber viele von ihnen porträtieren die Menschen in Gößl und sind dem ethnografischen Interesse Mautners geschuldet. Dadurch, dass er mit vielen der Abgebildeten zumindest bekannt, oft auch befreundet war, haben sie aber nichts Voyeuristisches an sich. Johler ortet hier einen Zugang einer „teilnehmenden Beobachtung“ und auch Züge einer Dorfchronik und -dokumentation.

Die Familie stellte dem Volkskundemuseum Graz die tausenden Fotos für eine Ausstellung zur Verfügung. Sie wurden in den vergangenen Monaten von Johler gemeinsam mit Anna und Konrad Mautners Enkel Stephen Mautner, einem inzwischen pensionierten Verleger, der in den USA lebt und Sprecher der Erbengemeinschaft nach Anna Mautner ist, gemeinsam gesichtet. Das sei ein für „uns beide fruchtbarer Prozess“ gewesen, schildert Johler. „Ihn hat diese Ausstellung angeregt, sich noch mehr mit seinen Großeltern zu beschäftigten und auch Neues über die Familie zu erfahren.“ Aber auch aus wissenschaftlicher Sicht hätten sich neue Perspektiven eröffnet.

„Seine Passion war die Volkskunde, ja, aber in Wien hat er auch diesbezüglich seine Gegenüber gehabt.“
Birgit Johler

Anhand der nun zur Verfügung stehenden Fotos „will ich ein bisschen die Erzählung aufbrechen, dass sein Herz ausschließlich in Gößl war. Er hat sich dort sicher sehr wohl gefühlt, aber in Wien waren seine Familie und seine Netzwerke. Seine Passion war die Volkskunde, ja, aber in Wien hat er auch diesbezüglich seine Gegenüber gehabt. Hier war er als Sammler im Volkskundemuseum präsent, hier war er als Autor gefragt, er hat zum Beispiel viele längere Beiträge in der Zeitschrift für österreichische Volkskunde verfasst. Hier hat er in den Archiven recherchiert und war auch oft in der Nationalbibliothek für das Steirische Trachtenbuch. In Wien war er als Volkskundler, als Sammler anerkannt, hier konnte er herzeigen, was er aus dem Salzkammergut mitgebracht hat.“

© Stephen M. Mautner, Vertreter der Erben von Anna und Konrad Mautner

Die bisher bekannten Fotos von Mautner, auf denen er vorrangig in Tracht abgebildet ist, legten nahe, dass diese in Gößl aufgenommen worden waren und er, je älter er wurde, immer mehr Zeit im Salzkammergut verbrachte. Nun erzählen die Fotoalben allerdings eine etwas andere Geschichte: Der junge Mautner ist hier auch immer wieder in dandyhaftem Gewand in Wien zu sehen; später trägt er Anzug oder Uniform. Aber nicht nur. In der Wiener Villa in der Khevenhüllerstraße 6 hatte er den Aufnahmen zufolge im Dachgeschoß eine Art Bauernkammer, ein „Gößl-Zimmer“, eingerichtet. Bauernstuben gab es zu dieser Zeit auch in anderen Haushalten in der Stadt, das entsprach dem Geist der Zeit, Stichwort Binnenexotik – die Habsburger hatten es mit ihrer Nähe zu Bad Ischl vorgemacht. Konrad Mautners Bauernstube diente aber auch dazu, in Vitrinen seine mitgebrachten Schätze auszustellen. Und das Dachgeschoß war Ort von Familienzusammenkünften – sowie Kulisse für viele Fotos in Tracht. Bisher waren Aufnahmen in Lederhose immer örtlich dem Salzkammergut zugeordnet worden. Hier erzählen diese Alben eine andere Geschichte.

Aufbrechen will Johler in der Schau das Narrativ des Mannes, der sich nur in Gesellschaft der Landbevölkerung wohlfühlte. Ja, Mautner habe in Gößl viele Freunde und Bekannte – und auch so manche Liebschaft, zum Leidwesen Annas – gehabt. Er sei beliebt gewesen, das hatte aber auch damit zu tun, dass er es sich leisten habe können, spendabel zu sein. „Er hat Feste organisiert, etwa die legendären Dirndl-Jausen, er konnte Geld ausgeben. Für Trachtenumzüge stattete der die Bevölkerung mit Trachten aus dem 19. Jahrhundert aus, sodass die Gößler den ersten Preis gewannen. Er hat mit performt, er war das, was man gemeinhin als gutaussehend verstehen würde, er war ein Mann von Welt, er war unterhaltsam und witzig. Er war sicher auf vielen Ebenen eine interessante Persönlichkeit, und das wird über die Fotos auch sichtbar.“

© Stephen M. Mautner, Vertreter der Erben von Anna und Konrad Mautner

Herz versus Verstand: Hier verschiebt sich durch die nun aufgetauchten Fotos die Gewichtung. Mautner ging demnach auch in seiner Rolle als Volkskundler, als Sammler, als Dokumentarist auf. Und so waren die Freunde und Nachbarn in Gößl eben auch Gewährspersonen, die ihm Volkslieder diktierten, die ihn an Bräuchen teilhaben ließen. Eine Eintrittskarte dazu war, sich selbst in Tracht zu kleiden – das verringerte die Distanz und schaffte Nähe.

Dass Mautner – er und Anna hatten noch nach jüdischem Ritus geheiratet – später mit der ganzen Familie zum Protestantismus konvertierte, sieht Johler aus heutiger Sicht denn auch weniger dem Bemühen geschuldet, in Gößl noch besser akzeptiert zu werden, sondern in erster Linie als Reaktion auf den immer mehr erstarkenden Antisemitismus. Interessant ist in diesem Kontext, dass es in den Alben auch Aufnahmen des ältesten Sohnes Matthias gibt, die ihn mit einer Kopfbedeckung zeigen, die als Kippa interpretiert werden kann. Matthias kam 1910 zur Welt, der Übertritt der Familie zum Christentum erfolgte 1919.

Was erwartet aber nun die Besucher und Besucherinnen der Ausstellung? Johler und Mautner wählten aus der Fülle der Fotos an die 350 Aufnahmen aus. Sie werden in fünf etwa vier Quadratmeter großen begehbaren Kuben präsentiert – wobei jeweils innen Fotos zu sehen sind, die Konrad Mautner mit anderen beziehungsweise beim Organisieren, beim Ethnografieren, also in Aktion zeigen. An den Außenwänden dagegen steht der Blick Mautners als Volkskundler im Fokus, also etwa Aufnahmen von Trachtenumzügen, einer Dirndl-Jause oder von Nachbarn in Gößl. Jeder Kubus wählt dafür noch einmal einen speziellen Blick – das reicht vom Thema „Ethnografie aus Leidenschaft“ über „Doing Country Life“ bis hin zu Konrad Mautner, dem soziale Beziehungen wichtig waren.

Konrad Mautner selbst starb recht jung im Alter von 44 Jahren 1924 in Wien an einer Krebserkrankung. Seine Frau Anna und die vier Kinder (ein fünftes war bereits im Kleinkindalter verstorben) aber mussten vor den Nationalsozialisten auf Grund ihrer jüdischen Herkunft flüchten; sein Bruder Stephan Mautner wurde im KZ Auschwitz ermordet. Auch diese Geschichte wird in der Ausstellung erzählt werden. Sie macht auch verständlich, warum der Enkel Stephen, der in einem Videointerview in der Schau präsent sein wird, Englisch spricht. Zu sehen sein wird aber zum Beispiel auch ein Foto, das einen Nachbarsbuben aus Gößl – Moritz Veit – zeigt. Bereits 1925 war in Gößl ein Gedenkstein für Konrad Mautner errichtet worden. Dieser wurde in der NS-Zeit von Moritz Veit zerstört, der Antrieb dafür sei Antisemitismus gewesen, so Johler. Erst seit 2008 gibt es statt dem zerstörten Gedenkstein eine Gedenktafel.

Und einen weiteren Aspekt bringt Johler in die Ausstellung mit ein: Das Volkskundemuseum Graz verfügt über an die 150 Objekte aus der Sammlung von Konrad und Anna Mautner; bei vielen ist klar, wie sie ins Museum kamen, etwa noch durch Schenkungen zu Lebzeiten. „Bei manchen wissen wir es aber nicht. Es gab in den 1980er-Jahren eine Nachinventarisierung, und wir haben bisher keine Belege finden können, wie sie ins Haus kamen.“ Die Fotoausstellung wird nun um einige dieser Objekte ergänzt, darunter etwa eine Männerhaube aus Buchenschwamm mit einer eingepressten Bildergeschichte, von der man weiß, dass sie sich 1932 noch im Besitz Anna Mautners befand; bis jetzt war aber nicht nachvollziehen, wie und wann sie danach ins Museum kam. Damit legt die Kuratorin auch die Provenienzproblematik offen. „Da gibt es eine Lücke. Und das will ich transparent machen.“

Im Volkskundemuseum Graz wird die Ausstellung bis 30. Juni zu sehen sein. Anschließend wandert sie im Rahmen von „Kulturhauptstadt Salzkammergut 2024“ in das Stadtmuseum Bad Ischl, wo sie ab 18.Juli zu besichtigen sein wird. Gespannt ist Johler hier, was die Besucher und Besucherinnen aus dem Salzkammergut mit dem digitalen Album machen werden, das ebenfalls Teil der Ausstellung ist. Ganz im Sinn der Freizügigkeit Konrad Mautners war es Stephen Mautner nämlich ein Anliegen, weit mehr als die 350 nun ausgestellten Bilder zugänglich zu machen. Und so wurden in den vergangenen Monaten hunderte Fotos aus den Alben digitalisiert und beschlagwortet. Besucher:innen der Schau können sich so ein digitales Album zusammenstellen lassen, das Einblicke in das Salzkammergut von vor 100 Jahren bietet.

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