Für eine bessere Welt

Bei seiner Rede vor der UN-Generalversammlung in New York im Februar 2023 forderte António Guterres sofortige Maßnahmen zur Verwirklichung von Frieden, wirtschaftlichen Rechten und Entwicklung, Klimaschutzmaßnahmen, Achtung der Vielfalt und einer integrativen Gesellschaft für heutige und zukünftige Generationen. Denn so wie jetzt kann es laut UN-Generalsekretär nicht weitergehen.

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Die multiplen weltweiten Krisen haben zuvor unterschwellige Missstände und soziale Ungleichheiten an die sichtbare Oberfläche gebracht. Die daraus resultierenden zivilen Unruhen verstärkten die Wahrnehmung der Menschen, dass große Veränderungen bevorstehen.

Ein Visionär für eine bessere Zukunft ist Charles Eisenstein. Der amerikanische Autor, Redner und Philosoph, der für seine Arbeit über sozialen und spirituellen Wandel bekannt ist, beschäftigt sich in seiner Arbeit mit so grundsätzlichen Themen wie Zivilisation, Bewusstsein, Gesundheit, Wissenschaft, Wirtschaft und kulturelle Entwicklung. Seine populären Kurzfilme und Online-Essays haben ihm einen Ruf als genreübergreifenden Sozialphilosophen und gegenkulturellen Intellektuellen eingebracht. Geboren 1967, wuchs er in einer säkular-jüdischen Familie auf und wurde schon in jungen Jahren vom großen Engagement seiner Eltern für soziale Gerechtigkeit beeinflusst. Er schloss 1989 sein Studium an der Yale in Mathematik und Philosophie ab, lebte danach viele Jahre als Übersetzer in Taiwan und lehrte nach seiner Rückkehr in die USA unter anderem an der Penn State University.

Die Vision von Charles Eisenstein ist eine Welt, in der Gemeinschaft und Zusammenarbeit statt Konkurrenz und Konflikt herrschen und in der Menschen sich wieder mit sich selbst, anderen und der Natur verbinden. Er glaubt, dass solche Veränderungen auf allen Ebenen erforderlich sind, einschließlich persönlicher, kultureller und globaler Veränderungen. Er hält es für möglich, eine neue Gesellschaft aufzubauen, die sich auf die Bedürfnisse und das Wohlergehen aller Beteiligten konzentriert. Diese tiefgreifenden Veränderungen sollen ein besseres Verständnis der Beziehungen zwischen Mensch, Natur und Gesellschaft fördern, die Interaktion und gegenseitige Abhängigkeit stärken, statt Konkurrenz und Isolation zu betonen.

Für Eisenstein besteht der jetzige Zivilisationsprozess im Bestreben, die Natur zu beherrschen, in dem die Trennung von Mensch und Umwelt vollzogen wird. Für ihn entwickelte sich die scheinbare Trennung in verschiedenen Phasen. Die Verhaltensevolution des modernen Menschen begann vor etwa 200.000 Jahren, als der Einsatz von Feuer und Werkzeug begann. Es folgte die Entwicklung von Sprache und Mathematik, Landwirtschaft, Zeitmessung und der Einsatz von Maschinen. Die Entstehung und Verbreitung der Geldökonomie spielten einen weiteren großen Entwicklungsschritt in diesem Prozess, denn die Möglichkeit, Lebewesen, Gegenständen, Tätigkeiten und Beziehungen einen finanziellen Wert zu verleihen, bedeutete eine noch stärkere Verdinglichung der Welt und der damit einhergehenden Trennung des Menschen von seiner Umwelt.

In seinem Buch Ökonomie der Verbundenheit: Wie das Geld die Welt an den Abgrund führte – und sie dennoch jetzt retten kann beschreibt er den Grund für die großen ökologischen Probleme, der in der symbiotischen Beziehung zwischen Geld zu gesellschaftlichen Strukturen und Lebensstilen liegt. Ein Leben voller Geld ist daher für Eisenstein in der geläufigen Form zwangsläufig unmoralisch. Andererseits fragt er auch, ob Geld wirklich „schmutzig“ ist? Seine Antwort überrascht. Denn Geld ist für Eisenstein überhaupt nicht schmutzig oder unmoralisch. In der Geschichte des Geldes beschreibt er Stammes- und Dorfkulturen, in deren Wirtschaftssystemen der wahre Wert einer Sache nicht unbedingt durch ihren Preis oder ihre Handelbarkeit bestimmt war, sondern durch ihre Nützlichkeit und ihre Bedeutung für die Gemeinschaft. Auf diese Weise diente das Tauschsystem als Mittler zwischen den unterschiedlichen Fähigkeiten und Bedürfnissen der Menschen. In einer ethischen Ökonomie geht es darum, Wirtschaftsaktivitäten auf eine Weise zu gestalten, die das Wohlergehen aller Beteiligten berücksichtigt und den Schutz und die Erhaltung natürlicher Ressourcen und Ökosysteme sicherstellt. Hierin sieht Eisenstein den gangbaren Weg dazu, wie Geld wieder zur Seele des gesellschaftlichen Austauschs und der Grundstein einer neuen, humaneren Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung werden kann. Diese Idee ist nicht nur Fantasterei eines unverbesserlichen Optimisten oder Träumers, denn immer öfter nehmen sich Universitäten der Sache an und bieten Wirtschaftsethik als Fach an, deren Gegenstand die Abwägung ethischer Prinzipien wie Solidarität, soziale und ökonomische Verantwortung und Menschlichkeit im Zusammenhang mit wirtschaftlichem Handeln ist. Der Weg, der mit diesen Prinzipien gepflastert aus der Zivilisationskrise führt, ermöglicht es, eine Welt aufzubauen, die von Mitgefühl und Respekt für alles Leben geprägt ist.

„Wir spüren, dass das ‚Normale‘ nicht mehr zurückkommt, dass wir in eine neue Normalität hineingeboren wurden, eine neue Art von Gesellschaft, eine neue Beziehung zur Erde, eine neue Erfahrung des Menschseins.“
Charles Eisenstein

Bei den politischen Protestbewegungen junger Menschen, wie Fridays for Future oder Last Generation, wird laut für eine neue Gesellschaftsordnung demonstriert. Charles Eisenstein, der als geistiger Wegbereiter der Occupy-Bewegung gilt, untersucht in Wut, Mut, Liebe das weltweite Engagement von immer mehr Aktivist:innen, die für soziale Gerechtigkeit, Bankenkontrolle oder Umwelt- und Artenschutz auf die Straße gehen. Er ist Realist genug, um zu wissen, dass ein Aufbegehren allein nicht ausreichen wird, um die Dinge zum Positiven zu verändern: Nur ein ganzheitliches Miteinander aller Menschen und die Verbundenheit von Mensch und Natur können die Gesellschaft in eine besseren Zukunft für alle führen.

Notwendige Systemänderung. Basierend auf der Annahme, dass der Mensch Teil des Kosmos ist und nur durch seine Beziehung dazu existieren kann, ist eine vollständige Kontrolle der Natur nicht möglich, da er selbst ein Teil von ihr ist. Das Scheitern dieses Kontrollversuchs ist in den aktuellen großen Krisen zu sehen: der Umwelt-, der Energie-, der Gesundheits-, der Wirtschafts- und Finanzkrise und in den politischen Krisen. Um diese Krisen zu überwinden, müssen wir ein Bewusstsein dafür entwickeln, um den notwendigen Fortschritt zu erzielen. Denn durch die Kommerzialisierung von allem und jedem wird die Kluft zwischen Natur und Mensch sowie zwischen Mensch und Mensch immer größer. Als Folge dieser Kluft wächst die psychische Verwundbarkeit, was zu Bemühungen um externe Macht- und Kontrollquellen führt. Der Weg aus dieser Spirale ist eine Kreislaufwirtschaft, die sich auf „Geben“ konzentriert, das dem Überfluss von allem entgegenwirken soll, so Eisenstein.

Autor, Kulturphilosoph, Visionär – Charles Eisenstein meint: „Die schönere Welt, die unser Herz kennt, ist möglich.“ © Charles Eisenstein / Europa Verlag

Somit sieht er in der Kreislaufwirtschaft oder Circular Economy den Schlüssel für Innovation und zukünftigen Wohlstand. In der Praxis sind dies komplexe wechselseitige Zyklen: Geben und Nehmen, alles, was nicht mehr gebraucht wird, zu verschenken oder dem Warenkreislauf zurückgeben. Ein solches Verhalten setzt Vertrauen und Umdenken voraus. Das Individuum solle nach Eisenstein nicht mehr nach dem Motto funktionieren: „Ich brauche X Geld, um Y zu kaufen, also muss ich Z arbeiten.“ Und Unternehmen werden nur erfolgreich sein, wenn sie auf die rücksichtslose Ausbeutung von Primärrohstoffen verzichten. Somit soll die Kreislaufwirtschaft, wie die Digitalisierung, jeden Aspekt des Lebens betreffen. Nach heutiger Lebensweise könnte die Welt mit 70 Prozent der derzeit genutzten natürlichen Ressourcen auskommen. Die Lösung der Klimakrise kann daher auch nur mithilfe einer Kreislaufwirtschaft gefunden werden.

Eisenstein fordert in seinen Vorträgen und Konferenzen dazu auf, sich einem ökologischen, unabhängigen und kreativen Lebensstil zuzuwenden. In seinen Büchern zeigt er auf, dass die gegenwärtige ökologische Krise, einschließlich des Klimawandels, nur ein Symptom einer umfassenderen kulturellen und sozialen Krise ist. Diese Krise hat ihre Wurzeln in unseren derzeitigen wirtschaftlichen und politischen Systemen, die auf Wachstum- und Gewinnmaximierung ausgerichtet sind. Eine grundlegende Änderung dieser Systeme ist notwendig, um echte Veränderungen zu bewirken.

So kann auch der Klimawandel nur dann aufgehalten werden, wenn ein Wertewandel vollzogen wird und ein neues kulturelles Narrativ entsteht, das die Abhängigkeit des Menschen von der Natur anerkennt und das Wohlergehen des Planeten und seiner Bewohner über Wachstum und Profit stellt. „Eine bessere Welt kann nur auf der Grundlage einer ganzheitlichen, gerechten und mitfühlenden Gesellschaft gebaut werden. Und sie wird auf der Idee gegründet sein, dass jeder Mensch etwas Einzigartiges und Wichtiges beizutragen hat“, weiß der Visionär.

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