Eine jüdische Schule, eine Synagoge, eine Mikwe, ein Friedhof. Alles, was man zum jüdischen Leben braucht, fand sich über Jahrhunderte im idyllischen Städtchen Hohenems, hart an der Schweizer Grenze. Heute gibt es dort ein Jüdisches Museum – und Hohenems ist fast eine Stadt ohne Juden. Einer hält die Stellung, ein Fels in der politischen Brandung, die ihn einmal beinahe weggespült hätte. Der gebürtige Frankfurter Hanno Loewy ist Direktor des Museums. Anlässlich seines zehnten „Dienstjubiläums“ und einer neuen Ausstellung sprach er mit Anita Pollak.
wina: Wie kam es zur Gründung dieses Museums im fast „judenreinen“ Vorarlberg?
Hanno Loewy: Es gab eine ganz bunte Koalition von engagierten Menschen, die da ein jüdisches Museum wollten und es schafften, den Bürgermeister zu überzeugen. Als das Museum 1990/91 eingerichtet wurde, gab es nicht viel auszustellen. Der Synagogenschmuck, der war weg. Die Synagoge war noch ein Feuerwehrhaus und das Stadtzentrum im Niedergang begriffen. 1983 wurde Hohenems zur Stadt erhoben, damals hat die Stadt die Villa gekauft, die 1864 für die Familie Rosenthal gebaut wurde, eine jüdische Textilindustriellenfamilie, die auch zwei jüdische Bürgermeister gestellt hatte und der größte Mäzen und Arbeitgeber im Ort war. Die letzte Erbin hat die Villa dann 1936 an einen Arzt verkauft und eine kleine Wohnung im Haus übernommen, 1940 wurde sie deportiert, gemeinsam mit den letzten acht Hohenemser Juden. Die Stadt hat sich entschlossen, aus dieser Villa das Jüdische Museum zu machen.
Was war das Besondere an dieser jüdischen Gemeinde?
300 Jahre jüdischer Geschichte hier waren nicht nur Zuckerschlecken. Da gab es Ressentiments, auch Konflikte innerhalb der Gemeinde. Hohenems war sehr früh eine liberale Gemeinde, schon 1830 begann man hier auch auf Deutsch zu beten, und es war lange die einzige jüdische Gemeinde in Österreich, in Wien gab es eine solche erst seit 1848. Es waren immer dieselben Familien über Jahrhunderte ansässig, was dazu führte, dass es heute so etwas gibt wie eine Hohenemser Dias-pora. Weil die Höchstzahl der Juden begrenzt war, durfte immer nur der Älteste bleiben, die anderen mussten Hohenems verlassen. Ab 1800 haben sie sich von Italien bis England vor allem im Westen Europas etabliert, aber die Familienbande weitergepflegt, doch die Gemeinde wurde durch die Abwanderung immer kleiner. Nach dem Krieg gab es hier eine orthodoxe DP-Gemeinde von über 1.000 Menschen, die ein paar Jahre hier gelebt haben. Der Besitz der Kultusgemeinde wurde restituiert, der Friedhof gehört einem privaten Verein in der Schweiz, der sich gut darum kümmert.
Wie war Ihr Start als Direktor 2004 in Hohenems?
Ich hatte viel Glück: Ich kam, als die gröbsten strukturellen Probleme schon gelöst waren. Und nach vielen eher problematischen, streitbeladenen Jahren war einfach eine Bereitschaft da, einen echten Neustart zu wagen. Was es für mich leicht machte, war außerdem, dass ich hier durch Projekte, die wir von Frankfurt aus mit dem Museum realisiert hatten und den ständigen Kontakt, den es daher gab, schon einige Leute kannte.
Was waren die größten Probleme?
Die Besucherzahlen waren im Keller, die Finanzen waren seit Jahren gleich geblieben, also de facto gesunken. Und es gab hohe Erwartungen, dass jetzt alles anders wird. Größere Probleme haben wir uns selbst bereitet – indem wir unseren Auftrag ernst genommen haben und aus dem Museum auch wieder einen politischen Ort für offene Diskussion und widerständiges Denken über die Fragen unserer Zeit gemacht haben. Das hat den Rechtspopulisten nicht gefallen, erst recht nicht, als die FPÖ 2009 das Land mit einem militant ausländer- und muslimfeindlichen Wahlkampf zu polarisieren versuchte. Im Grunde haben wir damals nur mit etwas Ironie gefragt, wen die FPÖ heute nicht als „heimisch“ ansieht, das hat schon gereicht. Der Hohenemser Egger forderte unter anderem den „Exil-Juden aus Amerika“ Loewy auf, sich aus „unseren“ Angelegenheiten rauszuhalten. Doch die Situation hat sich vergleichsweise schnell beruhigt. Damals haben sich bis auf die FPÖ alle Hohenemser Parteien demonstrativ vor das Museum gestellt (und sich auch so fotografieren lassen – das war lustig).