Vor 120 Jahren, am 3. Juli 1904, starb jener inBudapest geborene Visionär, der dank seiner persönlichen Erfahrungen bereits 1893 drei unumstößliche Fakten erkannte, die leider zu viele jüdische Menschen erst durch und nach der Shoah endgültig realisierten. „Dem Judenhass kann man mit rationalen Argumenten nicht begegnen, und weder Assimilation noch Konversion können daran etwas ändern“, konstatierte der Wiener Feuilletonist Theodor Herzl in seinem Drama Das neue Ghetto.
Die bösen Erfahrungen, die der Pariser Korrespondent der Neuen Freien Presse 1894 bei der Berichterstattung über die Dreyfus-Affäre machte, bei der die öffentliche Degradierung des – unschuldigen – jüdischen Offiziers mit Rufen nach „Tod den Juden“ durch die Straßen von Paris hallte, zählt zu den entscheidenden Momenten, die aus dem assimilierten Wiener Salon-Juden einen Zionisten formten. „Der Gedanke, den ich in dieser Schrift ausführe, ist ein uralter. Es ist die Herstellung des Judenstaates“, schreibt Herzl in der Vorrede zu seinem Buch Der Judenstaat, das zum Manifest für die jüdische Selbstbestimmung in einer eigenen Nation wurde.
„Dem Judenhass kann man mit rationalen Argumenten nicht begegnen, und weder Assimilation noch Konversion können daran etwas ändern.“
Theodor Herzl
Mit diesem Buch verschaffte er der zionistischen Idee auch außerhalb des Judentums weltweite Anerkennung, denn Herzl skizziert dabei nicht nur seinen Traum, sondern detaillierte Pläne zu Aufbau, Finanzierung, Einwanderung und Gemeinwesen dieses zukünftigen Staates. Herzl notierte die berühmt gewordenen Worte in sein Tagebuch: „Fasse ich den Baseler Kongress in ein Wort zusammen – das ich mich hüten werde, öffentlich auszusprechen –, so ist es dieses: In Basel habe ich den Judenstaat gegründet. Wenn ich das heute laut sagte, würde mir ein universales Gelächter antworten. Vielleicht in fünf Jahren, jedenfalls in fünfzig wird es jeder einsehen.“
Tatsächlich sollten nur wenig mehr als fünfzig Jahre vergehen, bis David Ben-Gurion am 14. Mai 1948 die Unabhängigkeitserklärung des Staates Israel verlas, unter einem Bild von Theodor Herzl. Dieser war am 3. Juli 1904 im Kurbad Edlach an den Folgen einer Lungenentzündung gestorben, die sein angegriffenes Herz nicht überstand.*
Warum dieser Exkurs in die Vergangenheit zum 76. Geburtstag Israels? Weil dieser utopische Traum gut verwirklicht wurde: mit unermüdlicher Tatkraft und ungebrochenem Idealismus, aber auch mit viel menschlichem Leid und Verlust. Noch in den späten 1970er-Jahren und bis 1995 beseelten diese Spuren des Herzl-Traumes den Alltag in Israel. Nach der Unterzeichnung der Osloer Friedensverträge 1993/94 und bis zur Ermordung Jitzchak Rabins lebten die meisten säkularen, liberalen und europäisch denkenden Israelis mit der Hoffnung, die nach dem Sechs-Tage-Krieg 1967 als Primat allen Handelns galt: Das Westjordanland ist nur ein temporäres Pfand – es wird gegen einen dauerhaften Frieden getauscht, wie dies mit der Räumung der ägyptischen Wüste 1979 geschehen ist.
In den letzten 30 Jahren haben die wissenschaftlichen und technologischen Errungenschaften Israels einen bewundernswerten, rasanten Aufschwung genommen. Auf kurze Kriege und terroristische Attentate folgte eine verständliche Verhärtung der politischen Positionen. Eine großteils resignierende Gesellschaft begnügte sich – ohne reale Friedensaussicht – mit dem Status quo. Der Angriff vom 7. Oktober 2023 brachte wie ein Erdbeben alles durcheinander. Von diesem unfassbaren Trauma kann man sich – wenn überhaupt – nur erholen, wenn es gelingt, wie Theodor Herzl einen lebenswürdigen Traum zu realisieren und nicht über andere Menschen zu herrschen.
* In seinem letzten Willen schrieb Herzl: „Ich wünsche das Leichenbegräbnis der ärmsten Klasse, keine Reden und keine Blumen. Ich wünsche in einem Metallsarg in der Gruft neben meinem Vater beigesetzt zu werden und dort zu liegen, bis das jüdische Volk meine Leiche nach Palästina überführt.“ Er wurde 1904 am Friedhof Döbling bei Wien bestattet, seine Gebeine schließlich 1949 nach Jerusalem überführt und an dem nach ihm benannten Hügel bestattet.