Romanze und Revolte

In seinem schwarzen Thriller Stadt der Geheimnisse leuchtet der amerikanische Erfolgsautor Stewart O’Nan ins explosive Jerusalem vor der Staatsgründung und in die Seele eines kleinen Agenten.

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Stewart O’Nan: Stadt der Geheimnisse. Deutsch von Thomas Gunkel. Rowohlt, 224 S., € 20,60

Es ist bitterkalt oder unerträglich heiß, es ist düster und gefährlich in diesem Jerusalem, durch das Jossi mit seinem Taxi Touristen fährt, zum Jaffa-Tor vielleicht oder nach Bethlehem. Der schwarze Peugeot ist dabei genauso geliehene Tarnung wie sein Name, und auch seine Geliebte hat ihm die „Zelle“ zugeführt. Eva stammt aus Vilnius, Jossi Brand aus Riga, beide sind verwitwet und haben in der Schoah ihre Familien verloren. In der Haganah, der Untergrundorganisation, die gegen die verhasste britische Mandatsherrschaft Palästinas kämpft, finden sie zueinander. Als Callgirl arbeitet Eva im King David Hotel an der Beschaffung von Informationen, jenem Hotel, in dem es am Ende zum explosiven Showdown kommen wird.

Historisch grundiert. Menachem Begins Buch The Revolt diente Stewart O’Nan unter anderen als Quelle für seinen Roman, der in das Jerusalem des Jahres 1946 leuchtet, eine Stadt, die mehr vom Nachkriegs-Wien des „Dritten Mann“ als vom Goldenen Jerusalem hat, wie es später besungen wurde. Begin wird als Mastermind der historischen Sabotageakte auch im Roman genannt, während andere Drahtzieher wie Brands Verbindungsmann Asher eher fiktive Figuren sein dürften.
Trotz beachtlicher Recherchen, zahlreicher Fakten und verblüffender Detailkenntnisse was Zeit- und Ortskolorit betrifft, ist O’Nan auch hier kein Historiker. Der berühmte amerikanische Romancier und Erzähler stellt nicht einen großen Helden des Widerstands in den Mittelpunkt, sondern eben das Greenhorn Jossi Brand, einen Mechaniker, der nach dem Krieg mit einem Frachtschiff illegal nach Palästina gekommen war. Als Fahrer und Bote der Haganah muss er mal einen blutenden Mitkämpfer, eine Leiche oder eine Waffe durch das von Straßensperren blockierte Jerusalem transportieren, wobei er sein Leben riskiert, aber die Zusammenhänge nicht kennt. In der „Zelle“ traut man niemandem, denn unter Folter könnte jeder zu singen beginnen und damit Kameraden gefährden. Laut „Protokoll“ werden Informationen nur äußerst restriktiv gegeben, und so weiß auch Jossi nicht, welche Rolle die geheimnisvolle Eva jetzt spielt, die vor dem Krieg eine wunderschöne Schauspielerin gewesen sein muss. Während ihrer Liebesdienste wartet er vor dem Hotel auf sie, nachts an ihrer Seite quält er sich mit dem Gedanken, seine im Wald vor Riga erschossene Frau Katja mit ihr zu betrügen. Eva ist die ältere und stärkere, doch beide stellen den Kampf um „Eretz Israel“ über ihre von den Verlusten der Vergangenheit überschattete Beziehung. Als „neue Juden“ sind sie bereit, als Kämpfer, nicht aber als Opfer zu sterben.

»Er brach die mittlere Matze und stellte
sich selbst die vier Fragen.«

Ein kleiner Fisch. Während die eher mildere Haganah letztlich mit der radikaleren Irgun und der noch extremeren Stern-Organisation zusammenarbeitet, schwimmen kleine Fische wie Brand orientierungslos durch die Geschichte, die größer ist als sie. Berührend zeigt O’Nan an seiner Figur diese tragische Überforderung eines naiven Idealisten auf, der einmal im Leben zum Akteur werden wollte. Während Brand – in einer todtraurigen Szene des Romans – inmitten der Heiligen Stadt in seiner kargen Behausung einsam und allein den Seder-Abend feiert, dämmert ihm eine Erkenntnis.
„Er brach die mittlere Matze und stellte sich selbst die vier Fragen.“ Und er sah, „dass er nicht das böse Kind war, wie er manchmal gedacht hatte, oder der Einfältige, wie er später vermutet hatte, sondern […] der, der nicht wusste, wie man fragte.“
Dass am Ende fast hundert Menschen, Juden, Araber, Engländer, unter dem Schutt des eleganten Hotels begraben sein werden, weiß man aus der Geschichte Israels.
Welche Ziele rechtfertigen welche Mittel, ist die moralische Frage, die Stewart O’Nan unausgesprochen in und mit seinem Buch stellt. Auch in der israelischen Literatur schwankt das Bild der vormals heroisierten Schicksalszeit vor der Geburt des Staates in der Geschichte. Für O’Nan, den Amerikaner, ist sie die Folie für einen spannenden Thriller „noir“ in der Tradition von Graham Greene und Raymond Chandler, auf die er sich selbst bezieht. Die Romanze im Untergrund und seine filmreifen Action-Szenen, wie etwa der historisch verbürgte Raubüberfall auf einen Zug inmitten der Wüste, warten fast schon auf Hollywood.
In Jerusalem war er übrigens nicht, gesteht der Autor in einem Interview, denn diese Stadt von heute habe ohnehin nichts mehr mit seiner „Stadt der Geheimnisse“ zu tun.

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