Ein junger Fotograf mit bekanntem Namen fotografierte die Zeit in Wien, suchte die Geister von Jerusalem und hielt die Raum-Mensch-Beziehung in Leipzig fest. Seine aktuelle Leidenschaft gilt seinen Wiener Köpfen. Das Gespräch führte Julia Kaldori
wina: Du hattest deine erste große Ausstellungsbeteiligung 2007, mit gerade 27 Jahren, im Künstlerhaus. Dein Familienname steht in Österreich für Fotografie, ja vielleicht sogar für die Demokratisierung der Fotografie. Hat diese Familientradition dich auf deinen Lebensweg geführt?
❚ Ronnie Niedermeyer: Schwer zu sagen. Die Ausstellungsbeteiligung kam damals zustande, da die Bestattung Wien Bilder zum Thema Tod ausgestellt hat und auf mich zugekommen ist. Damals war ich noch mitten in den Arbeiten für mein Projekt Zeit und Wien. Und dabei habe ich auch sehr viele Dinge fotografiert, die mit dem Tod zu tun haben. Meine Beteiligung war dann ein Erfolg, weil ich aufgrund dieser Ausstellung viele Anfragen für Aufträge bekommen habe. Aber um auf deine Frage zurückzukommen: Für mich war das Medium Fotografie natürlich nichts Fremdes, aber da ich seit meinem vierten Lebensjahr nur mit meiner Mutter aufgewachsen bin, war es auch nicht ständig präsent. Meine erste Kamera habe ich zu meiner Bar Mitzwa bekommen, und zwar von meiner Mutter. Mit dieser habe ich dann auch die ersten Fotos in Israel gemacht, da wir genau zu dem Zeitpunkt Alija gemacht haben. Also ich würde sagen: Eigentlich hat die Familie Niedermeyer sehr wenig mit den Anfängen meiner Fotografie zu tun. Vielleicht haben sich aber das Interesse und der Wunsch dadurch ergeben, dass die Firma meines Großvaters in der Familie auch ein Thema war. Ich habe meine ersten Fotos also mit 13 Jahren in Jerusalem gemacht. Da bin ich täglich von der Wohnung zu Fuß über einen unbebauten Berghang zur Bushaltestelle gegangen, um in die Schule zu fahren. Dort haben die Anwohner einfach Sperrmüll abgelagert, der mir als Motiv diente. Später bin ich dann in Hadassim ins Internat gegangen und habe dort mit derselben Kamera weiterfotografiert. Habe dann dort auch meine ersten Porträts von Mitschülern und Lehrern gemacht – sehr schräge Bilder eigentlich, da wir zum Teil mit Masken gearbeitet haben.
Deine Arbeit wurde wie folgt beschrieben: Er steht in der Tradition von f64 und MAGNUM geprägter Schwarzweißfotografie, die künstlerischen Ausdruck und gewissenhafte Reportage vereint. Erkennst du dich darin wieder?
❚ Das kann man genauso stehen lassen. Ich erfinde nichts, sondern habe die Realität als Motiv und bin dieser verpflichtet. Ich mache keine Bilder, die falsche Eindrücke erwecken. Ich dokumentiere das, was ich sehe und erkenne. Die Kunst dabei besteht darin, das für mich richtige Motiv auszuwählen und dieses mit den Möglichkeiten der Bildkomposition in meinem Sinne festzuhalten. Im 6-x-6-Zentimeter-Rahmen meiner Hasselblad kann man vieles einschließen, aber noch viel mehr ausschließen.