Tscholent-Abend, Schmus-Kreis & Leserunde

Mit „Yung Yidish Wien“ will die Linguistin und engagierte Newcomerin Eszter Szendrői einen offenen Ort für jiddische Sprache, Kultur und Miteinander inmitten der Leopoldstadt zum Blühen bringen.

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Vorbild Tel Aviv: Mendy Cahan gründete vor über 30 Jahren über dem zentralen Busbahnhof von Tel Aviv die Bibliothek Yung Yidish Tel Aviv, die nun zum Vorbild für Wien wurde. © Adam Hushegyi

Drei kleine Mädchen in dunklen Röcken huschen aus der Hofeinfahrt. „Kimmt schoin!“, ruft die Älteste. Nebenan eilt ein Mann in Kaftan in die koschere Bäckerei. Ein patrouillierender Soldat fragt: „Wollen Sie zum Vortrag? Die nächste Tür.“ Dort steckt auch schon Eszter Szendrői den Kopf heraus: „It’s here, come in.“

Eine bessere Location für ihr Yung Yidish Wien hätte sie nicht finden können. Alles scheint da zu passen, in der Lilienbrunngasse, im Herzen des jüdischen Wien. Das Straßenlokal in der ehemaligen Schraubenfabrik wirkt zwar noch etwas provisorisch, ein bisschen kahl und spärlich möbliert, dafür gibt es aber jede Menge Platz für Besucher, und bald schon sollen Bücherregale an den Wänden hinaufwachsen, wo vorläufig noch handgeschriebene Poster in Jiddisch und Englisch hängen.

Erst kürzlich hat Kriszta Eszter Szendrői hier ihren neu etablierten Verein mit einer Klezmer-Gala gestartet. Ehrengast bei diesem Launch-Event war Mendy Cahan, der seit über 30 Jahren über dem zentralen Busbahnhof in Tel Aviv sein „Yung Yidish Tel Aviv“, eine Bibliothek mit etwa 60.000 Büchern und Zeitschriften aller Art, als quirliges Zentrum für jiddische Kultur und Literatur führt.

„Dort habe ich bei meinen Besuchen die Energie eines solchen Ortes gespürt, an dem ganz verschiedene Menschen einfach reinkommen können, das gefiel mir.“ Und da, sagt Eszter Szendrői, entstand wohl die Idee, so etwas in Wien zu begründen. Doch wie sie hierher und überhaupt zu Jiddisch kam, das ist eine längere Geschichte.

© Adam Hushegyi

Herzerwärmend. Eszter Szendrői, in Ungarn geboren und aufgewachsen, ist mit 20 Jahren nach England ausgewandert, wo sie studierte und lehrte, bis sie vor zwei Jahren mit ihrer Familie nach Wien übersiedelte, weil sie und ihr Mann hier akademische Positionen angeboten bekamen. Sie lehrt als Professorin für Linguistik an der Uni Wien. Rasch hat sie sich eingelebt und heimisch gefühlt, weil „Wien sehr ähnlich wie Budapest ist und Ungarn hier gut aufgenommen werden.“

Ein eher nostalgisches back to the roots war für Szendrői kein Motiv, denn von Jiddisch hatte sie lange Zeit überhaupt keine Ahnung. „Erst vor sieben Jahren entdeckte ich in England, dass Chassiden Jiddisch sprechen.“ Primär aus linguistischem Interesse habe sie zu recherchieren begonnen und sich dann entschlossen, die Sprache von Grund auf, quasi als Fremdsprache zu lernen. An englischen Universitäten, aber hauptsächlich im Yidish Summer Weimar, einem Festival, das es seit 20 Jahren in Deutschland gibt.

„Als ich die jiddische Literatur entdeckte, musste ich natürlich auch die hebräische Schrift lernen, das brauchte mehrere Jahre. Ich lernte dabei aber viele interessante Leute kennen, die dieser Kultur nahestehen, und das war ein herzerwärmendes Erlebnis. Ich bin nicht religiös und überhaupt nicht so erzogen, zwar hatte ich einen jüdischen Background und fühlte mich dem Judentum immer nah, aber das hatte keine Form.“

Über die Sprache kam eine emotionale Beziehung, und heute, so scheint es, ist Eszter Szendrői mit ganzem Herzen in Jiddisch-Land angekommen. Und mittlerweile der Ansicht: „Es ist unsere Aufgabe, diese Sprache dor wa dor, also von Generation zu Generation weiterzugeben und am Leben zu erhalten.“

Eszter Szendrői beim Launch-Event für ihren Verein Yung Yidish Wien. © Adam Hushegyi

Dazu will sie mit ihrem Ort für Bücher und Menschen beitragen. „Hier sind wir vorläufig jeden Donnerstagabend offen, und ich versuche, Events zu organisieren, aber letztlich will ich eine Community aufbauen und Menschen finden, die hier durch die Kultur eine Verbindung und einen Sinn spüren und vielleicht, wie ich, damit eine Lücke füllen, von der sie gar nicht wussten, dass sie sie haben. Ich dachte, dass es in Wien eine Wertschätzung dafür geben könnte. Und es funktioniert fast von selbst, natürlich bin ich dahinter, aber Leute kommen auch einfach her. Ich möchte einen Ort schaffen, an dem interessante jüdische, mit Jiddisch verbundene Dinge passieren, intellektuell, musikalisch, mit Vorträgen etc. Ich werde aber nicht täglich Programme bieten und auch kein großes Kulturzentrum werden. Jetzt helfen mir zwei bis drei ehrenamtliche Mitarbeiterinnen, ich suche aber noch finanzielle Unterstützer, dann kann ich öfter offen haben, denn Zeit ist mein größtes Problem, ich habe ja noch einen FulltimeJob und zwei Kinder.“

Vor uns am Tisch ist diskret eine Spendenbox platziert. Denn der neue Verein, der bis jetzt teilweise durch die Fortunoff Archives der Yale University, mit denen es eine Zusammenarbeit für deren Holocaust-Testimonies gibt, und von der Kulturabteilung der Stadt Wien finanziert wird, ist auch auf private Zuwendungen und Funds angewiesen.

„Es ist unsere Aufga­be, Jiddisch weiterzu­geben und am Leben zu erhalten.“
Eszter Szendrői

Respektvoll. Für die nähere Zukunft sind etwa zwei Veranstaltungen im Monat geplant, aber das Wichtigste für Eszter ist, was an diesen Abenden nach dem Programm geschieht. Gäste sollen vielleicht etwas trinken, miteinander reden und kommunizieren. Und dafür ist die Location nahezu ideal. Für größeres Publikum kann hofseitig noch ein gemütlich mit Tischen und Bar eingerichteter saalartiger Raum dazu gemietet werden, der tagsüber als Co-Working-Space dient und sogar für kulinarische Events geeignet scheint. Einmal monatlich soll ein „Tscholent-Abend“ mit jüdischem Essen und Getränken stattfinden. Bei Bedarf auch strictly kosher catern zu lassen, ist in diesem Umfeld kein Problem.

„Wir möchten sehr respektvoll damit umgehen. Wenn wir eine Veranstaltung am Freitagabend haben, was fast nie der Fall ist, gibt es musikalisch nur Gesang, und ich bitte dann auch die Gäste, nicht vor der Türe zu rauchen. Ich möchte eine gute Nachbarin sein, und meine Nachbarn sind auch gut.“

Von ihrer orthodoxen Umgebung fühlt sich Eszter Szendrői akzeptiert, neugierige Kinder kommen oft herein, ein Rabbiner war schon zu Gast und hat sie dann in seine Sukka im Hof eingeladen, wo es insgesamt sieben davon gab. „Vor dem 7. Oktober – wir starteten offiziell im September – war die Kommunikation noch einfacher und lockerer. Ich hätte gern Open Doors, leider spielt die Welt nicht mit, aber wir haben hier eine großartige Security rund um die Uhr und sind daher etwas entspannt.“

INFO: yungyidishvienna.org
friends.of@yungyidishvienna.org

Bücher und Menschen. Herzstück von Yung Yidish Wien soll die Bibliothek und mit ihr die Sprache werden. Aus Tel Aviv, wo ihr Vorbild auf Grund zahlreicher Bücherspenden Platzprobleme hat, wird sie Dubletten von Büchern bekommen, die dann vor Ort gelesen werden können.

„Ich erwarte nicht, dass viele Menschen sie wirklich lesen können, aber es gibt in Wien keine jiddische Bibliothek, und wenn jemand hier lesen möchte, sollte das möglich sein. Es wird hier vielleicht auch eine Lesegruppe geben, und wir wollen einen ,Schmus-Kreis‘ zum Jiddisch-Reden gründen.“

Weitere Ideen erhofft sich Eszter Szendrői auch von Menschen, die hier selbst etwas Passendes veranstalten möchten. „Also, meine Community soll hier nicht nur konsumieren, sondern auch selbst beitragen. Es ist nicht mein Platz, sondern ein Ort, der Gelegenheiten für verschiedene Ideen bieten soll. Sonst bliebe es eine One Woman Show, und dann würde ich sicher in einiger Zeit aufgeben müssen, denn ich kann diese Energie nicht für viele Jahre aufrecht erhalten. Ich möchte es für einige Jahre machen, und wenn es zu blühen beginnt, wird es weiter bestehen. Ich fühle mich hier viel besser als in England, und wir möchten in Wien bleiben. Ich finde die jüdische Gemeinde hier sehr interessant, die Menschen schätzen Kultur, und wenn Gäste kommen, Juden und Nicht-Juden, sind sie offen und möchten mit auf diese Reise gehen.“

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