Weil es auch eine junge Stimme braucht

Noah Scheer und Talya Goldberger wurden diesen Herbst zum Präsidenten und zur Vizepräsidentin der Jüdischen Österreichischen HochschülerInnen gewählt. Auch sie wollen wie ihre Vorgänger an der Spitze der jüdischen Studierenden die JÖH als laute politische Stimme verstanden wissen.

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Talya Goldberger und Noah Scheer. Starke Stimmen für die Jüdischen Österreichischen HochschülerInnen. © Daniel Shaked

WINA: Die JÖH hat sich mit Benjamin Guttmann und Benjamin Hess in den letzten Jahren sehr politisch positioniert und ist klar gegen rechts und auch gegen die Regierungsbeteiligung der FPÖ aufgetreten. Wollen Sie diesen Kurs fortsetzen?
Noah Scheer: Ja! Die JÖH ist eine Organisation, die die Interessen ihrer Mitglieder vertritt, und das heißt für mich, gegen rechts und gegen Antisemitismus aufzutreten. Die FPÖ ist für mich eine antisemitische Partei, und deshalb ist es für mich ein Auftrag der Mitglieder, gegen die FPÖ zu sein, aber auch gegen die Normalisierung der Beziehungen mit der FPÖ.

Warum ist es Ihnen als Studierendenorganisation wichtig, sich auch politisch zu äußern?
Talya Goldberger: Wir sind die Stimme jüdischer Studierender. In den letzten Jahren und insbesondere in der letzten Regierungsperiode ist Antisemitismus ein sehr präsentes Thema in Österreich. Daher ist es wichtig, auch als JÖH lautstark aufzutreten und dem Diskurs eine zweite jüdische Stimme hinzuzufügen.
Noah: Ich glaube, dass sich junge Menschen heute anderen Herausforderungen gegenüber sehen als die Generation ihrer Eltern oder Großeltern. Ich kann mir nicht vorstellen, wie mein Vater in den 1950er-Jahren in Wien aufgewachsen ist. Aber ich weiß, wie es ist, heute in Österreich aufzuwachsen. Wir fühlen uns grundsätzlich von der IKG repräsentiert, aber junge Leute haben einen anderen Alltag. Deshalb ist es wichtig, dass wir eine zweite Meinung abgeben. Die jüdische Gemeinde ist nicht so groß, und es ist schön, wenn wir mit einer Stimme auftreten. Doch begrenzt das auch die Vielfältigkeit des Dialogs. Wir wollen daher, dass es auch eine junge jüdische Stimme gibt.

Sind Sie in Ihrem Alltag mit Antisemitismus konfrontiert?
Talya: Nein, ich persönlich in Wien noch nicht. Ich muss allerdings anmerken, dass aus meinem Freundeskreis in Deutschland antisemitische Übergriffe berichtet wurden.
Noah: Ich bin in Graz aufgewachsen, wo es viel weniger Juden gibt als in Wien. Ich persönlich habe in der Schule Probleme gehabt. Mein Vater hat damals gesagt, das ist, „weil du a Jud bist“. Ich habe dem nie ganz zustimmen können.

»Es ist schön, wenn wir mit einer Stimme auftreten. Doch begrenzt das auch die Vielfältigkeit des Dialogs. Wir wollen daher, dass es auch eine junge jüdische Stimme gibt. «
Noah Scheer

Was für Probleme waren das?
Noah: Ich wurde eine Zeit lang gemobbt. Was interessant daran war, dass es sich sehr auf meine „große“ Nase bezogen hat, die man doch als stereotypisch jüdisch bezeichnen könnte. Mein Vater hat diese Connection hergestellt. Ich habe es nicht als antisemitisch verstanden, meine Schulkollegen leugnen das bis heute, aber vielleicht war es unterbewusst doch antisemitisch. Auf der Uni verstecke ich es nicht, dass ich jüdisch bin, und werde weder angefeindet noch sonst etwas.
Dann gibt es aber doch solche Begebenheiten: Bei der letzten Uniparty, zu der ich gegangen bin, stehe ich in der Schlange, da kommt ein anderer herein, und der, der neben mir steht und den ich nicht kenne, begrüßt ihn mit einem Holocaust-Joke. Und ich habe mir gedacht, was ist denn jetzt los. Man nimmt sich immer vor, dass man in so einem Fall groß redet, und dann ist man überfordert. Deswegen, glaube ich, ist es wichtig, dass man nicht so tut, als gäbe es das nicht, weil es vielen in Wien und in Europa schon passiert ist. Man muss den Tatsachen ins Auge schauen, dass viele Menschen in Österreich antisemitische Bemerkungen machen oder irgendeinen Blödsinn zu Israel sagen, der eigentlich antisemitisch ist. Manchmal aus Unwissenheit. Manchmal aus Intoleranz. Manchmal, weil sie sich dabei nichts gedacht haben. Und manchmal, weil Menschen direkt gegen Juden hetzen. Das passiert, und deshalb darf man das die Menschen nicht vergessen lassen.

Wie sehen Sie die Zukunft junger Jüdinnen und Juden in Österreich?
Talya: Wien ist für Juden eine gute Stadt. Die jüdische Gemeinde bietet Infrastruktur für die unterschiedlichsten jüdischen Ausrichtungen. In Bezug auf Antisemitismus ist Wien auch nicht die „Leading City“. Ich habe keine Bedenken, mit einer Kette mit einem Davidsternanhänger auf die Straße zu gehen, während das vergleichsweise in Berlin nicht ideal und viel riskanter für jüdische Jugendliche oder Studierende ist.
Noah: Ich komme aus Graz, einer Stadt ohne jüdisches Leben, und habe auch drei Jahre in Israel gelebt. Ich finde Diaspora-Judentum etwas Wunderschönes, und finde es wichtig, dass Israel existiert. Aber für mich ist zwischen Graz und Israel Wien genau das Richtige. Es gibt hier einen Reichtum an jüdischem Leben, es gibt jüdische Infrastrukturen. Ich finde diese Kombination aus dem gemütlichen Leben und den Möglichkeiten, mein jüdisches Leben auszuleben, wie ich will, wunderbar.

© Daniel Shaked

Was könnte man verbessern, um Wien für junge Jüdinnen und Juden noch attraktiver zu machen?
Talya: Es gibt in unserer Gemeinde unterschiedliche Gruppen von jungen Juden: Die einen haben eine jüdische Schule besucht, sind in eine jüdische Jugendorganisation gegangen und leben zu Hause eine starke jüdische Identität. Es gibt aber auch die anderen, denen bewusst ist, dass sie jüdisch sind und die sich auch schon damit auseinandergesetzt haben. Sie identifizieren sich zwar als jüdisch, haben aber nicht das Bedürfnis, sich in der jüdischen Gemeinde zu involvieren. Ich glaube, es ist wichtig, auch diese Leute zu erreichen.
Noah: In der Generation vor uns gibt es eine gewisse Spaltung der Gemeinde. Ich finde das sehr traurig und möchte in unserer Generation aktiv dagegen arbeiten. Ein aktives und vielfältiges jüdisches Leben und wenig Hass zu zeigen, ist für mich ein guter Anfang, um Wien interessant für Jüdinnen und Juden zu machen.

Wodurch ist die Spaltung bedingt?
Noah: Die Spaltung sehe ich zwischen Bucharen und Aschkenasen. Man muss sich überlegen, warum das so ist. Die Jugendorganisationen sind aufgeteilt. Aber Studentenorganisation gibt es nur eine, nämlich die JÖH. Daher möchte ich, dass die JÖH für alle da ist, dass sich junge Leute in Wien denken, hey, heute Abend haben wir nichts zu tun, also gehen wir in die JÖH, weil dort sind andere junge Leute und wir unterhalten uns. Wir wollen insgesamt mehr Aktivitäten anbieten, bei denen Leute interagieren.
Talya: Wir haben ein neues Board aufgestellt, in dem zwei bucharische Studentinnen dabei sind, die bereits sehr aktiv in der Jugendarbeit waren. Ich würde aber Noahs Aussage noch gerne ergänzen: Ich finde, dass es auch noch einen tieferen Graben zwischen den verschiedenen Abstufungen von Religiosität gibt. Wir haben zum Beispiel immer wieder Probleme beim Schabbat-Essen, weil manche der Meinung sind, es sei nicht einmal ansatzweise so, dass Schabbat gehalten wird, wenn etwa von weniger religiösen Mitgliedern Musik gespielt wird. Das heißt, die Frage ist, wie inklusiv sind wir? Ich finde es wichtig, dieses Thema anzugehen, damit wir ein Ort für alle sein können.
Noah: Es wird daher ein Fokus von uns werden, dass wir inklusiver werden, ein Umfeld schaffen, in dem sich jede und jeder wohlfühlen kann und wo wir Leute, die bisher noch nicht zur JÖH kamen, abholen.

© Daniel Shaked

Welche Schwerpunkte haben Sie sich neben der politischen Arbeit und Inklusion für die JÖH-Arbeit vorgenommen?
Talya: Wir haben letztes Jahr eine tolle Ausstellung anlässlich des International Women’s Day realisiert. Ich würde gerne weitere Events machen, die in diese Richtung gehen. Gemeinsam mit dem Ideenreichtum anderer motivierender Studierender erreichen wir mehr und rufen auch auf, sich bei der Organisation des einen oder anderen Events zu beteiligen.

Was ist Ihnen innerhalb der jüdischen Gemeinde wichtig?
Noah: Für mich ist das Judentum alle zusammen, ein Volk und eine Religion. Und Religion muss sich nicht nur mit althergebrachten Themen beschäftigen. Momentan findet in der IKG ein Umbruch statt, und man freut sich, wenn junge Leute in die Synagoge kommen. Deswegen freue ich mich über jede junge Person, die mit uns in den Stadttempel geht.
Talya: Ja, wir haben da einen kleinen Klub gegründet.
Noah: In die Synagoge zu gehen, ist ein wichtiger Teil des jüdischen Lebens. Und ich finde es wichtig, Leben in die Strukturen der jüdischen Gemeinde zu hauchen.
Talya: Wenn wir gemeinsam mit jüdischen Studierenden in die Synagoge kommen, zeigen wir auch, dass wir keine Angst vor Terrorismus haben. Wir sollten unsere jüdische Identität ganz normal weiterleben.

Die Jüdischen Österreichischen HochschülerInnen (JÖH)
wenden sich an alle jüdischen Studierenden in Österreich. Zum neuen Vorsitzenden wurde diesen Herbst Noah Scheer (geb. 1995 in Graz, aufgewachsen in Graz und Hod Hasharon, derzeit Master-Studium der Humanmedizin an der Sigmund-Freud-Universität in Wien) gewählt, zu seiner Stellvertreterin Talya Goldberger (geb. 2000 und aufgewachsen in Wien, derzeit Diplomarbeit am Kolleg für Grafik und Kommunikationsdesign an der Höheren Graphischen Bundes-Lehranstalt). Insgesamt besteht der Vorstand nun aus fünf Frauen und zwei Männern. Die weiteren Mitglieder des Boards sind: Rahel Esther Laubsch, Mark Elias Napadenski, Lara Masliah-Gilkarov, Eden Babacsayv und Lara Guttmann.
joeh.at

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