„Jedes Brett kann man durchbohren“

Als streitbare Abgeordnete und diskussionsfreudige Grün-Politikerin, als Volksanwältin und als Frau mit Zivilcourage ist Terezija Stoisits weithin bekannt. Bei vielen jüdischen Events und Gedenkveranstaltungen ist sie fast schon ein Fixpunkt. Seit nunmehr einem Jahr bringt die keineswegs typische Beamtin sich und ihre reiche Erfahrung als Vorsitzende in den Vorstand des Wiener Wiesenthal Instituts ein.

3485
Terezija Stoisits 1958 im burgenländischen Stinatz geboren, studierte Terezija Stoisits in Wien Rechtswissenschaften und war von 1990 bis 2007 die längstdienende Abgeordnete der Grünen im Parlament, bevor sie als erste Grünpolitikerin Volksanwältin wurde. 2013 kehrte sie ins Bildungsministerium zurück, wo sie als Beauftragte für Flüchtlinge in der Schule tätig ist. Mit ihrem Lebensgefährten Bruno Aigner, ehemaliger Pressesprecher von Heinz Fischer, hat sie einen Sohn. © Michael Gruber/picturedesk.com

INFO:
„Ich bin einer der 500 von 150.000“
Simon Wiesenthal im Interview
Elf Stunden an sechs Nachmittagen.
Von 12.1. bis 16.2.2020 im Österreichischen Filmmuseum,
Augustinerstraße 1, 1010 Wien.
vwi.ac.at

WINA: Von Ihrem Geburtsort Stinatz bis zum VWI (Vienna Wiesenthal Institute) am Rabensteig führt nicht gerade eine Direttissima. Ein Lebensleitmotiv bei Ihrem langen Weg scheint aber Ihr unermüdliches Engagement für Minderheiten zu sein. Sind Sie dabei auch vom Elternhaus geprägt?
Terezija Stoisits: Ja, ich komme aus einer burgenländisch-kroatischen Familie. Wesentlich war aber, dass ich relativ jung Politikerin geworden bin. Ich war ja schon mit 32 Jahren hauptberuflich Abgeordnete und habe dort genau an meine eigene Geschichte angeschlossen. Als Minderheitensprecherin im Parlament in Bezug auf österreichische Volksgruppen war ich besonders bewegt vom Schicksal der österreichischen Roma und habe die Anerkennung der Roma als Volksgruppe verfolgt, auch der Kärntner Slowenen, das war mein Thema.

Erinnerlich ist auch Ihr beharrlicher Einsatz für Entschädigungen der Opfer des Nationalsozialismus. Offenbar als Anerkennung dafür haben Sie 2002 die Friedrich-Torberg- Medaille erhalten. Was führte Sie dazu?
❙ Für mich war klar, dass die Frage des Umgangs Österreichs mit seiner eigenen Geschichte, die Fragen der Restitution und der nicht erfolgten Gestensetzung, denn Wiedergutmachung kann es nicht geben, dringlich sind, weil die Betroffenen schon alt waren. Es gab damals noch keinen Nationalfonds, für den wir Grüne uns heftig eingesetzt haben. Letztlich haben wir aber dem Gesetz nicht zugestimmt, weil es keinen Rechtsanspruch auf irgendetwas konstituiert hat, sondern nur eine Gestenzahlung, also eine Art Almosen, was wir für nicht richtig hielten. In der zweiten Hälfte der 1990er-Jahre habe ich mich mit der Restitution von Geraubtem befasst und 1997 die allererste Enquete zu den wirtschaftlichen Folgen der Vertreibung und Ermordung österreichischer Juden initiiert. Ich habe damals 243 parlamentarische Anfragen zum Thema Raubkunst und Provenienz von Kunstwerken in österreichischen Museen und Sammlungen eingebracht. In der Folge wurde die Historikerkommission eingesetzt, und es kam zur wissenschaftlichen Aufarbeitung, dann kam der allgemeine Entschädigungsfonds und das Kunstrückgabe-Gesetz, es hat vieles ausgelöst. Ich habe das Thema auch weiter gesehen, bis hin zur Frage der Rehabilitierung von Deserteuren. Also insgesamt die Folgen des Unrechtsstaates und der Umgang damit nach 1945. Auch die jetzt aktuelle Frage der Staatsbürgerschaft für die Nachkommen ist damals schon von den Grünen problematisiert worden. Manche Dinge brauchen halt längere Zeit.

»Was ich jetzt tue,
ist zivilgesellschaftliches Engagement.«
Terezija Stoisits

Wie sind Ihre diesbezüglichen Aktivitäten aufgenommen worden? Haben Sie dabei auch Gegenwind gespürt?
❙ Die Grünen haben immer Gegenwind, aber ich habe es nie so betrachtet. Ich wurde immer gefragt: Hast du jüdische Vorfahren? Nein, ich habe mich im Parlament jahrelang auch für Ausländer eingesetzt und bin keine Ausländerin. Eigentlich ist das keine Aufgabe der Betroffenen, sondern unsere gesellschaftliche Verantwortung. Für mich persönlich war das eine Verpflichtung auf Grund meiner Position im Parlament. Bis heute ist mein Zugang jener der staatsbürgerlichen Verantwortung, denn es ist unser Land, und jeder muss in seiner jeweiligen Position seinen Beitrag leisten.

Zu Ihren vielen Aufgaben haben Sie vor einem Jahr auch noch den Vorsitz im Vorstand des VWI übernommen. Wie kam es dazu?
❙ Ich habe mich nicht aufgedrängt, sondern bin gefragt worden, und ich vertrete dort ausschließlich die Interessen des Instituts. Solange ich Politikerin war, habe ich meine Kräfte gebündelt für die Funktion, die ich hatte. Was ich jetzt tue, ist zivilgesellschaftliches Engagement. Heute, da Menschen, die eigene Erinnerung an den Nationalsozialismus haben, kaum mehr da sind, ist die Frage wichtig, wie mit dieser Erinnerung weiter umzugehen ist. Und das Simon Wiesenthal Institut für Holocaust-Studien beschäftigt sich damit. Obwohl der Holocaust mit nichts zu vergleichen ist, geht es bei der Holocaustforschung aber auch um den Genozid davor und danach. Man muss die Dinge in einen größeren Kontext stellen.

© Michael Gruber/picturedesk.com

Hatten Sie persönlich noch Kontakt zu Simon Wiesenthal?
❙ Als das Verbotsgesetz im Parlament geändert wurde, bin ich Simon Wiesenthal begegnet. Das Interessante an ihm ist ja, dass er eine so vielschichtige Persönlichkeit war und auf nichts zu reduzieren ist. Im VWI gibt es einen kleines Wiesenthal-Museum, das versucht, diese Vielschichtigkeit abzubilden, bis hin zu seiner Auseinandersetzung mit Kreisky und seiner Rolle in der Waldheim-Debatte. Nach dem Krieg war der einzige rote Faden seine Überzeugung, dass man Verbrechen von Nationalsozialisten verfolgen muss, weil das System von Einzelnen getragen wurde und man diese zur Verantwortung ziehen muss.

Das VWI ist nunmehr in vieler Hinsicht angekommen. An seinem Standort und in seiner wissenschaftlichen Positionierung. Sie haben von den „Mühen der Ebene“ gesprochen, die jetzt bevorstehen. Es gibt zahlreiche Veranstaltungen, aber die meisten sind doch recht anspruchsvoll, um nicht zu sagen elitär. Sollte sich das Institut mehr öffnen?
❙ Der Gründungsauftrag ist auch eine Vermittlungsarbeit. Jede Veranstaltung ist eine Vermittlungsarbeit, aber ebenso, wenn eine Schulklasse dort einen Workshop macht. Wir versuchen, und das ist für mich der Punkt, dem Andenken und Gedenken an Simon Wiesenthal in Bezug auf sein Lebenswerk gerecht zu werden. Ich glaube, jüngere Menschen kennen kaum noch seinen Namen. Das Herzstück ist aber das Archiv, denn Wiesenthal wollte, dass dieses so geschlossen wie möglich in Österreich bleibt. Anerkannte Wissenschaftler aus aller Welt kommen hierher, weil es das Institut in dieser Form hier gibt. Es wird vom Bund und der Stadt Wien dotiert.

»Ich wurde immer gefragt:
Hast du jüdische Vorfahren?«

Sie sind bestens vernetzt, politisch und gesellschaftlich. Wie hilfreich ist das gerade auch bei der neuen Position?
❙ Ich bin keine Wissenschaftlerin, aber ich kann natürlich mein Netzwerk und meine Kontakte einbringen, wo das notwendig ist, und auch meine langjährige Erfahrung im Umgang mit österreichischen Gremien. Auf Grund meines Vorlebens bin ich ja auch gefragt worden, vermute ich. Für mich ist es aber ebenso selbstverständlich, bei Veranstaltungen präsent zu sein.

Allgemein wird ein Ansteigen des Antisemitismus registriert. Wie erleben Sie das persönlich?
❙ Ich bin seit 1999 auch Vizepräsidentin der Österreichischen Liga für Menschenrechte. Menschenrechte sind eine Haltungsfrage. Zu dieser Haltung gehört, dass man sich gegen Antisemitismus und Rassismus einsetzt. Ich habe auch meinen Sohn dazu erzogen, die nötige Sensibilität und Courage zu haben. Natürlich lösen Attacken auf Juden, verbal oder tätlich, Furcht oder Retraumatisierung bei den europäischen Juden aus. In Österreich gibt es noch immer verbreitet antisemitische Ressentiments, früher war die Aufmerksamkeit der Gesellschaft aber eine viel geringere als heute. Jeder einzelne antisemitische Akt muss jedoch verfolgt werden, auch in der Frage nach dem Warum. Das erfordert, dass man die Betroffenen ermutigt, Vorfälle auch zu melden. Voraussetzung ist: Man erkennt es, erfährt davon, und dann muss gehandelt werden, das ist die staatliche Verantwortung.

„Das unermüdliche Bohren harter Bretter“ war der Titel einer Publikation über ihre Tätigkeit aus dem Jahr 2007. Welche Bretter sind in der Zwischenzeit durchgebohrt, und welche haben sich als zu hart erwiesen?
❙ Nach meinem Ausscheiden aus dem Nationalrat wollte ich zum Ausdruck bringen, dass man auch als oppositionelle Abgeordnete Spuren hinterlässt. Das Buch hat dann ein junger Wissenschaftler gemacht, als Dokumentation und vielleicht als Ermutigung für andere. Die wichtigste Botschaft ist: Es gibt kein Brett, das so hart ist, dass man es nicht durchbohren kann. Man muss nur anfangen. Manches gelingt mehr, manches eben weniger. In allen Feldern, in denen ich tätig war, gibt es Dinge, die noch zu machen sind. In der Politik ist nichts ein für alle Mal erledigt.

Aus der Politik haben Sie sich dennoch zurückgezogen. Warum?
❙ Sicher nicht aus Frustration, sondern weil ich Volksanwältin geworden bin, und das war ganz großartig. Das bedeutete eine Periode von sechs Jahren. Ich habe sehr viel Kraft und Energie in meinen Beruf gesteckt und viel von mir gegeben, bin auch noch jetzt im Bildungsministerium voll berufstätig und mache nicht Yoga.

Sie haben sich kürzlich skeptisch über den Ausgang der Koalitionsverhandlungen geäußert. Was sind Ihre Bedenken?
❙ Für mich ist klar, dass die Grünen bereit sind, Regierungsverantwortung zu übernehmen. Skeptisch bin ich, ob sich diese zwei so grundverschiedenen Vorstellungen von der Entwicklung, die Österreich nehmen soll, vereinen lassen. Wenn Kurz das Land Mitte rechts positionieren will, so geht das nicht mit den Grünen. Sie können ihre Grundsätze nicht gänzlich über Bord werfen. Angeblich haben die Türkisen aber viele Dinge nur gemacht, weil die Blauen in der Regierung waren. Also müsste das auch in Bezug auf die Grünen gelten. Ich war bei vier Fünftel der Donnerstagsdemos gegen die türkis-blaue Regierung dabei und wünsche mir jetzt, dass die Grünen in Österreich in der Regierung sind.

HINTERLASSEN SIE EINE ANTWORT

Please enter your comment!
Please enter your name here