Israel braucht uns – aber wir brauchen Israel noch viel mehr!

Sehr persönliche 48 Stunden in Israel. Text und Bilder: Natalie Neubauer

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Seit Monaten versuchte ich einen guten Grund und vor allem die Zeit zu finden, um endlich nach Israel zu fliegen. Nach Wochen hatte auch unser großer Sohn die Möglichkeit, sich einen Tag frei zu nehmen – er lebt in Tel Aviv –, und unsere Maturantin konnte sich ebenfalls freispielen, diverse Schulen für nächstes Jahr anschauen und ihre Interviews erledigen.

Endlich wieder: Tel Avi von Oben

Die AUA fliegt wieder, vielleicht kann man wieder Post nach Israel schicken – auch das war nicht möglich in den letzten Wochen. Die Flugzeiten sind schrecklich, aber die Flüge erschwinglich, und die Crew „muss nicht“ ins Krisengebiet fliegen, sondern bekommt eine Zulage und ist offensichtlich nicht unglücklich zu fliegen. Die Maschine war auf unserem Flug gesteckt voll, Menschen und Handgepäck bis unter die Decke, wie immer nicht genug koschere Sandwiches, aber nachdem der Abflug geplanterweise erst um 22:45 Uhr war, wurde es ein sehr ruhiger Flug.

Nach 2 Stunden Schlaf, einer Umarmung und einem gratis Café beim Bäcker am Platz („So nice to see you, it`s so quiet, like during Corona!”) war der Verkehr nach Jerusalem überschaubar, aber vorhanden. Wir gaben unsere Tochter in der ersten potenziellen Midrascha (Schule) ab und machten uns einen ersten Eindruck von der Lage vor Ort. Alle Gap Year-Programme haben sich an die neue Realität angepasst („We do a lot of volunteering this year, in the first months we ran programs for the kids of the neighborhoods, the kids that stayed have a special experience this year…”), und nach diversen Abhol- und Delivery-Stopps (die warme Skiunterwäsche, die wir in Wien für die Einheit des Bnei Akiva-Shaliachs gekauft und mitgebracht haben – DANKE nochmals an ALLE; you know who you are! –, Medikamente für die Schwiegermutter einer Freundin, usw.) fuhren wir nach Raana´na: Ein Vorort von Tel Aviv, in dem am Vortag erneut ein Terroranschlag die Bevölkerung erschüttert hatte. Eine Ermordete und 19 teilweise Schwerverletzte, die meisten Kinder und Schüler, und in den Straßen war nichts zu sehen oder zu spüren. Auf Social Media teilten Freunde am Abend die Videos und Bilder tanzender junger Burschen, deren Mitschüler und Freunde verletzt wurden und teilweise um ihr Leben kämpften. Aber der feige Terroranschlag zweier Terroristen aus Hebron war nicht der Grund unseres Hinfahrens, sondern leider die Teilnahme an einer Shiva.

Dan Wajdenbaum, S`L, 24-jähriger Sohn belgischer Einwanderer, der zu Beginn des Krieges gegen die Hamas als Teil einer Eliteeinheit für uns alle in Gaza kämpfte, war wenige Tage zuvor umgekommen. Ich kannte die Mutter nur über Ecken, wir waren im Oktober wegen Helmen für die Einheit ihrer Söhne in Kontakt, doch diese Shiva war eine von jenen, zu denen man sich sehr überwinden muss, aber natürlich trotzdem teilnimmt – mit dem Plan dort niemanden zu kennen, in der Menge unterzutauchen und wieder zu gehen. Nach der unendlichen Suche nach einem Parkplatz, da gefühlt das ganze Land vor Ort war, war die erste Person, der wir begegneten, eine alte Freundin, selbst eine der engsten Freundinnen der Shiva sitzenden Mutter – und nicht nur sie kannten wir dort. Wir wurden von einem zum nächsten gereicht, kaum ins Haus passend. Zwischen verletzten Soldaten mit Wunden im Gesicht und zwei verbundenen Händen wurden Kindheitserinnerungen ausgepackt: „You have not changed, you look just like on Sayarim.“ – „Are your kids going this year, I am thinking of sending my son.“ – „You are the friend of…” , usw.

Und dann schnappte mich eine dieser alten Bekannten und nahm mich quer durch die Menge mit zur Mutter, die mich von meinem WhatsApp-Foto erkannte, genau wusste, was wir wann geschrieben und besprochen hatten, und mich dankend umarmte für die 5.000 Dollar, die ich aufgestellt und am 9. Oktober 2023 geschickt hatte: „You saved lives with those helmets. And when you come back to Israel next time we will go for coffee.” Wie stark kann eine Frau sein? Es lässt mich nicht schlafen.

Wir müssen uns bei ihr, bei ihren Söhnen und ihrem Mann bedanken, bei ihr und bei allen Familien, Frauen, Kindern, deren geliebte Menschen ihr Leben riskieren. Bei Yael Mayer, der Bnei Akiva-Shlicha, die wie unendlich viele andere Mütter seit Monaten ALLES alleine schaffen muss. Mit einem Neugeborenen und zwei Jungs unter 5! Wir sitzen in unseren gemachten und gemütlichen Betten in Wien, und die Familie Wajdenbaum – wie so viele andere Familien – schickt ihre Söhne Dan, S`L, und Eli nach Gaza, damit wir und unsere Töchter und Söhne eine Chance auf eine Zukunft haben.

Die weinende Freundin des gefallenen Soldaten hat es nicht leichter gemacht die Shiva zu verlassen, aber unser Sohn wartete um 17:00 Uhr auf uns, und die lang ersehnte Umarmung konnte nicht mehr warten (und der Termin beim Forum der Familien der Geisel um 17:30 Uhr auch nicht). Gemeinsam mit unserem Sohn und unseren lieben Cousins, die ihre Termine so umgedreht hatten, dass wir eine Stunde gemeinsam verbringen konnten, wurden wir durch die drei Stockwerke eines von einer großen Tech-Firma zur Verfügung gestellten Bürokomplexes geführt. Es ist unglaublich, was für ein Unternehmen hier von Freiwilligen auf die Beine gestellt wurde. Profis aus allen Branchen sind EHRENAMTLICH Tag und Nacht damit beschäftigt, die Familien der 136 Geiseln zu unterstützen. Kampagnen für Social Media, Merchandising-Artikel für das Sammeln von Spenden, Treffen mit einflussreichen Menschen auf der ganzen Welt und die Events am Kikar Ha Chatufim (Platz der Geiseln). Männer, Frauen, alt und jung, religiös und säkular, versuchen einen Unterschied in dieser so unendlich furchtbaren Situation zu schaffen.

Mit zwei Großen Säcken voller „BringThemHome-Merch“ (T-Shirts, Halsketten, Armbänder, Pins) und noch massiveren Knoten im Magen, war der Plan, mit unseren engen Freunden essen zu gehen. Eigentlich absolut appetitlos nach diesem Tag, waren zwei der koscheren Restaurants, die sich in dieser Gegend Tel Avivs befinden, ausgebucht! Kein Tisch zu bekommen. Auch das ist Israel gerade.

Nach noch einem Tag Midraschot in Jerusalem und Ashdod, die verzweifelten Kids für nächstes Jahr „brauchen“, und einem Abendessen „nur zu viert“ (mit unseren beiden großen Kindern) sitze ich mit viel Gepäck wieder im Flieger. Was alles hin und her „muss“, wenn wenige Menschen fliegen, ist beeindruckend, und noch nie ist es mir so schwergefallen, unser Land zu verlassen. Beim Einsteigen kommentierte die wunderbare AUA-Stewardess meine BringThemHome-Halskette: „Toll, dass Sie das tragen!“ Daraufhin habe ich die Kette abgenommen und ihr umgehängt, ich habe ja jetzt 20 davon mitgenommen, für alle, die welche wollten. Eine davon behalte ich und trage sie weiter jeden Tag.

 

Israel braucht uns – aber noch viel mehr brauchen wir Juden in der Diaspora Israel! Ohne Israel sind wir verloren. Und wir müssen jetzt Verantwortung für unser Land übernehmen, wir können es nicht nur den israelischen Familien wie der Familie Wajdenbaum überlassen.

 

Spenden, unsere Zeit, unser Tourismus, unser Einsatz für die Geiseln und Soldaten, die Politik in Österreich, die Zeitungen, unsere nichtjüdischen Freunde, Bekannten und Verwandten – wir können etwas dazu beitragen, und sei es noch so klein!

#BringThemHome!

AM ISRAEL CHAJ

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