Auf Schritt und Tritt

Wie man sich in einem Leben sein ganz persönliches Mosaik im Kopf zusammensetzt. Die Teile dafür finden sich nahezu überall, man muss nur durch die richtige Brille schauen.

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Zeichnung: Karin Fasching

Es gibt da so die urban legend: Wenn eine schwangere Frau durch die Stadt spaziert, sieht sie überall andere schwangere Frauen. Ähnlich geht es mir mit Hunden. Seitdem ein Chihuahua-Mädchen zu unserer Familie gehört, sehe ich sie überall: Viele Langhaar-Chihuahuas, weniger kurzhaarige wie unser Hündchen, viele mit braunem oder sandfarbigem Fell, manche mit schwarzem, einige mit weißem. Wer gerne elegante Handtaschen trägt, der werden besonders schöne Modelle bei anderen Spaziergängerinnen eher auffallen als sportliche Rucksäcke. Jeder hat sein ganz persönliches Set an Brillen, durch das er seine Umwelt sieht.

„In jedem Urlaub findest du etwas Jüdisches, das wir uns ansehen“, sagte meine Tochter, als wir vor ein paar Wochen ein paar Tage zum Relaxen in Baden verbrachten. Aktuell ist dort im Kaiserhaus die Schau Sehnsucht nach Baden. Jüdische Häuser erzählen Geschichte(n) zu sehen. Sie bedient verschiedene interessante Erzählstränge: Da ist zum einen die Architektur und vor allem Innenarchitektur der zehn vorgestellten Villen. Da sind zum anderen die Geschichten ihrer Bewohner.

Jüdische Identität hat viele Facetten – aus diesen sich in seinem Leben nach und
nach ein Mosaik zu bauen, ist eine davon.

Und wenn man sich diese durchliest, bilden sie wieder ein paar Puzzlesteine in diesem Vergangenheitsmosaik.

Ich gebe zu: Ich liebe dieses Mosaik. Es lässt sich ständig erweitern: ob beim Lesen, beim Anschauen einer Dokumentation (wie kürzlich im ORF über den jüdischen Witz als Waffe), beim Besuch einer Ausstellung oder einem Bummel durch Wien. Und ja, da hat meine Tochter schon Recht: Wenn wir eine Stadt im Ausland besuchen, sehen wir uns das dortige jüdische Museum an oder machen eine Tour durch das (ehemalige) jüdische Viertel.

Eine Gemeinsamkeit haben wir jüngst auch festgestellt: Besonders spirituell sind wir beide nicht, eigentlich gar nicht, geradeheraus gesagt. Dafür sind wir sehr politisch, und bei mir kommt irgendwie auch noch dieser Hang zur Nostalgie dazu, mit dem ich mein Kind langsam anstecke. Jüdische Identität hat viele Facetten – sich in seinem Leben nach und nach ein Mosaik zu bauen, dessen Versatzstücke jüdische Kunst, jüdische Alltagskultur durch die Jahrhunderte, Lebensgeschichten von Jüdinnen und Juden, aber auch fiktive jüdische Charakter in Literatur, Film und TV-Serien sind, ist eine davon.

In Baden hatte ich beispielsweise Nathan Englanders neues Buch kaddish.com im Gepäck. Da versucht ein atheistischer Jude, den Ansprüchen seiner orthodoxen Schwester zu genügen, und lässt die Pflicht des Kaddisch-Sagens nach dem Tod des Vaters auf jemand anderen übertragen. Was grundsätzlich gut funktionieren würde, würde er nicht wieder in ein observantes Leben zurückkehren, woraus schließlich massive Gewissensbisse resultieren. Englander spielt mit einer witzigen Idee, streckenweise zieht sich die Geschichte dennoch ein wenig wie ein Strudelteig.

Stichwort Sweets: Habe ich schon einmal erzählt, dass ich zwar gerne backen können würde, es mir dann allerdings doch wieder zu mühsam erscheint? Diese Anwandlungen bekomme ich nur dann, wenn ich sehe, wie jemand anderer selbst und offenbar so easy süße Köstlichkeiten fabriziert. In diesem Sommer war das Hadar Schwarzbaum (siehe Seite 25). Ihre essbaren Blumensträuße erfreuen Auge und Magen, ihre Meerestorte versetzt einen in Strandlaune. Schönen Sommer allseits!

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