„Wer so gelebt hat wie ich“ – Eine Hommage an Malerin Broncia Koller-Pinell

Heuer vor 160 Jahren wurde die bedeutende österreichische Malerin und eminente Kunstförderin Broncia Koller-Pinell in einer galizischen Kleinstadt geboren, im April 1934 starb sie in Wien. Zu Lebzeiten bekannt, geschätzt und doch verkannt. Über Jahrzehnte vergessen. Weil sie eine Jüdin und eine Frau war? Vermutlich. Eine Hommage an eine gar nicht so stille große weibliche österreichische Künstlerin der Jahrhundertwende.

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Selbstporträt, 1910

Wer war Broncia Koller-Pinell? Eine reiche Jüdin aus gutem Haus, die auch malte? Eine Mäzenin mit künstlerischem Anspruch? Eine Förderin der (männlichen) „Jungen“ ihrer Zeit – ohne von diesen je wirklich künstlerisch ernst genommen zu werden? Der ungarisch-österreichische jüdische Unternehmer und Kunstsammler Jenö Eisenberger, dessen frühen Ankäufen es nicht zuletzt auch zu verdanken ist, dass Koller-Pinells Werk nicht gänzlich vergessen wurde, schrieb Jahrzehnte nach ihrem Tod: „Mir scheint, dass diese emanzipierte Frau und Künstlerin am Übergang vom 19. in das 20. Jahrhundert bewusst vergessen wurde“, und konstatiert weiter: „Meister Gütersloh beklagte in seinem Nachruf auf Broncia Koller, man hätte ihr, der Künstlerin, nie verziehen, das sie eine reiche Frau war. Ich aber habe vielmehr das Gefühl, man hat ihr bis heute nicht verziehen, dass sie als Jüdin geboren wurde.“

Porträt der Mutter, 1907

Von Galizien nach Wien. Bronislawa Pineles wurde am 23. Februar 1863 in der galizischen Kleinstadt Sanok (heute Polen) als Tochter des jüdischen k. u. k. Beamten Saul und seiner Frau Klara Pineles geboren. Bronislawas Urgroßvater, Salomon Pineles, und ihr Großvater Hirsch Mendel ben Solomon Pineles (1806–1879) waren bedeutende jüdische Gelehrte. Hirsch Mendel, „Shalosh“ genannt, hatte in Brody studiert und dort auf Deutsch gelehrt, ehe er zuerst nach Odessa und von dort nach Galati in Rumänien zog, wo er wesentlich am Aufbau der internationalen israelitischen Allianz beteiligt war und 1870 als vielbeachteter Autor und Lehrer starb. Sauls Bruder Samuel trug wesentlich zum Aufbau der internationalen zionistischen Bewegung bei – nicht immer im Sinne seines jüngeren Freundes und Kollegen Theodor Herzl, dessen Vizepräsident er beim Ersten Zionistenkongress in Basel 1897 wurde. Geboren in Brody 1843, starb er 1928 in Galati. 1942 nannten ehemalige Mitstreiter „Schmuel“ Pineles nach ihrer Auswanderung nach Palästina die von ihnen neu gegründete Stadt nach Broncias Onkel: Giv’at Schmu’el.

Bronislawa wuchs in diesem streng orthodoxen, zugleich visionären jüdischen Familienumfeld auf, ihr Vater leitete die erfolgreiche „Kunstwoll & Kotzenfabrik Saul Pineles“, Broncias geliebter Bruder Friedrich, liebevoll „Zemek“ genannt, studierte bei Sigmund Freud, ehe er selbst erfolgreicher Arzt wird. Die Eltern förderten das künstlerische Talent ihrer Tochter zwar, doch studieren konnte sie als Frau damals noch nicht. Broncia, wie sie sich bald schon nannte, nahm daher privaten Unterricht und stellte 1888 zum ersten Mal bei der Internationalen Kunstausstellung in Wien aus. Das hatte bis dahin nur eine Frau geschafft: die Landschaftsmalerin Tina Blau. Broncia Pinell verkehrte mit den Secessionisten ebenso wie den „Brucknerianern“ rund um Hugo Wolf, Friedrich Eckstein, Josef und Franz Schalk, war aber auch mit Marie Lang, Auguste Fickert, Therese Schlesinger und der damals ebenfalls noch als Malerin tätigen Rosa Mayreder befreundet, mit der sie 1893 die Weltausstellung in Chicago besuchte, auf der beide mit eigenen Werken vertreten waren.

Alte Dächer – Freihaus

Gleichberechtigte Lebensliebe. 1895 lernte Broncia Pinell bei Marie Lang den katholischen Mediziner und Physiker Hugo Koller kennen, mit dem sie ab 1896 eine lebenslange Liebe und gleichberechtigte Ehe verbinden sollte. Um Broncia heiraten zu können, trat Koller aus der katholischen Kirche aus – ein Schritt, den seine Mutter mit schärfsten Worten kommentierte: „Soll etwa eine mosaische Mutter, umgeben von ihrer Familie, ihre Kinder christlich erziehen? Das wäre ein ebenso unbilliges Verlangen von ihr als es unbillig ist, dass man jetzt jedes Entgegenkommen nur von dir fordert“, heißt es etwa in einem langen Schreiben Josefa Gustavines, geborener Edle von Kleinmayer, noch kurz vor der ungern gesehenen Hochzeit. Und weiter: „Mit Broncia werde ich über die Sache kein Wort sprechen. Ich begreife und empfinde, dass die Ärmste zwischen zwei Feuern steht und gewiss dadurch viel leidet. Herrn Pineles wünsche ich nicht zu begegnen. Sollte er jedoch jemals zufällig mit mir zusammentreffen, so werde ich die Höflichkeit haben, ihm fremd entgegenzutreten.“

Kurz vor der Hochzeit schrieb Broncia an die damalige Geliebte ihres Bruders, Lou Andreas Salomé: „Am 7ten 10 Uhr morgens findet meine Trauung im Wiener Rathaus statt. Nur wenige Menschen, die allernächsten Verwandten, Eltern und Geschwister, sind dabei, dann wird in meinem lieben, alten Heim ein kaltes Frühstück genommen und dann reise ich mit Hugo in die weite Welt. Dieser lang ersehnte Moment!“

„Broncia und Hugo Koller: eine wunderbare Vereinigung zweier Welten. Fruchtbar und befruchtend und hoch begabt. […] Jede Konversation zwischen diesen und anderen […] war anregend, laut und streitbar“, wird sich noch Jahre nach dem Tod der beiden eine Freundin der Familie an die stets anregenden gesellschaftlichen Runden des Paares, die zumeist in ihrer Wiener Wohnung über dem Theater an der Wien, oft auch in ihrem Haus in Oberwaltersdorf stattfanden, erinnern.

Trotz der anfänglichen Skepsis den Bestrebungen der „Neuen“ rund um die Wiener Secession gegenüber, entwickelte das Ehepaar Koller bald eine enge Freundschaft mit Gustav Klimt, der zum wichtigsten künstlerischen Vorbild und engen Freund Broncias wurde. Nach rund fünf Jahren in Deutschland, in denen Hugo Koller wesentlich am Aufbau der ELH Gruppe, einem Zusammenschluss der drei elektrochemischen Fabriken Elektrobosna, Lonza und Hafslund, mitwirkte, kehrte das Paar 1903 mit ihren beiden Kindern Rupert und Silvia nach Wien zurück, wo Broncia Koller rasch in die „Klimtgruppe“ aufgenommen wurde, der unter anderen mit Carl Moll ein weiterer Freund angehörte, später leidenschaftlicher Nationalsozialist. Für die Kunstschau des Jahres 1908 lud Klimt rund 180 Künstler:innen ein – darunter ein Drittel Frauen. „Das schönste Fest konnte mich als Kind nicht kindlicher freuen, als in dieser herrlichen Kunstschau mit meinen Arbeiten drin zu sein“, schrieb Broncia Koller an ihren damals in Deutschland tätigen Mann. Sie war zu diesem Zeitpunkt bereits 45 Jahre alt – und wurde längst nicht mehr zu den „Jungen“ gezählt.

1909 folgte im Kunstsalon Pilko die erste Ausstellung der von Egon Schiele gegründeten „Neukunstgruppe“ – wieder war Broncia Koller eine der wenigen hier ausstellenden Künstlerinnen. Doch erst 1911 widmete ihr die Wiener Galerie Miethke zum ersten Mal eine eigene Schau – sie teilte sich die Räume allerdings mit Heinrich Schröder, eine Einzelausstellung sollte die Künstlerin nie erleben. 1913 folgten Ausstellungsbeteiligungen in Budapest und Brüssel, noch 1914 in Leipzig und Rom. Auf der einen Seite war sie nach langen Jahren des Ringens um Anerkennung damals in der „Männerdomäne“ der bildenden Kunst ihrer Zeit angekommen – und das nicht nur als Frau, sondern auch als Jüdin und vielzitierte „malende Mutter“. Auf der anderen Seite sah sie auch nicht weg, wenn es darum geht, Frauen innerhalb der Kunstszene verstärkt jene Aufmerksamkeit zu schenken, die sie bis dahin – und noch lange danach – nicht bekamen. Sie engagierte sich zwar nie in politisch exponierter Form, war jedoch an wesentlichen Initiativen ihrer Zeit beteiligt, die sich der Förderung von Künstlerinnen und ihrer Sichtbarkeit widmeten.

Die Jahre des Ersten Weltkriegs waren vor allem von der Sorge um ihren im Militärdienst stehenden Sohn Rupert überschattet; „wir sind auch sehr heruntergekommen“, schrieb sie etwa Ende 1917. Im Laufe des letzten Kriegsjahres 1918 starben ihre Schwägerin Lisbeth, gefolgt von Gustav Klimt und Koloman Moser, zwei ihrer wichtigsten künstlerischen Webbegleiter, schließlich auch Egon Schiele, mit dem sie sich trotz ihrer anfänglichen Skepsis gegen den „Jungen“ eng befreundet hatte und den sie bis zuletzt großzügig unterstützte. „Mein armes Mutti“, schrieb ihre Tochter Silvia kurz nach Schieles Tod in ihr Tagebuch. „Sie braucht so sehr Menschen und fürchtet, dass dies der Letzte war, der ihr so ganz entsprach.“

Wieder war es Broncia Kollers Offenheit für Neues, die es ihr ermöglichte, neue Freundschaften zu knüpfen, etwa zum Schriftsteller Hermann Broch, dessen Familiensitz im nur wenige Kilometer von der Koller’schen Fabrik in Oberwaltersdorf entfernt in Teesdorf lag. Vor allem aber waren es junge Maler, zu denen sie in ihren späten Jahren enge künstlerischen Bindungen aufbaute. Sie wurde rasch zur „Doyenne“ der weiterhin männlich dominierten Wiener Kunstwelt und von nun an wesentlich mehr als Mäzenin geachtet denn als Künstlerin selbst – auch von jenen, denen sie oft über Jahre zur Seite stand. Als Malerin war sie zu diesem Zeitpunkt „bestenfalls akzeptiert“, wie eine ihrer Biografinnen schreibt.

Sitzende,1907

Schwere der Zeit. Als Hugo Koller im Zuge finanzieller Schwierigkeiten gezwungen war, den Wiener Firmensitz aufzulösen, bemühte sich Broncia Koller durch den Verkauf von Bilder auch selbst Geld zu verdienen. An ihre ebenfalls als Malerin tätige Tochter schrieb sie 1923: „Ich will ernst darangehen, mit Porträtmalerei Geld zu verdienen, und du hast sicher bald die Möglichkeit auszustellen und dann zu verkaufen, sonst geht alles schwerer oder gar nicht.“ Im Jahr darauf war sie bei der Österreichischen Kunstausstellung im Wiener Künstlerhaus vertreten. Ihre Bilder hingen erneut neben jenen der „Jungen“ – Oskar Kokoschka, der „Kunstgewerbeschüler“, mit dem sie nie „warm“ werden sollte, Herbert Boeckl, Max Oppenheimer, Zülow, Faistauer und Gütersloh. Vor allem mit letzteren beiden verband sie in späten Jahren eine enge künstlerische Freundschaft, wenn auch nicht immer friktionsfrei, wie ein mehrmonatiger harter Konflikt mit Faistauer deutlich macht, der ihre Bilder für eine Ausstellung abgelehnt hatte. Frauen waren eben, auch unter den „Jungen“, nicht gerne gesehen: „Wenn wir Frauen ausstellen, so ist sie nicht zu umgehen“, schrieb Faistauer 1919 an Felix Albrecht Harta anlässlich einer Salzburger Ausstellung der von ihnen gegründeten Künstlervereinigung „Der Wassermann“. 1927 lehnte er ihre Bilder für eine weitere Ausstellung hingegen ab. „Aus der Faistauersache mache ich mir jetzt gar nichts, warum sollte ich plötzlich ausstellen? Mein Werk ist wichtiger – man darf nicht durch Ärger sich schwächen“, schrieb Pinell, tief gekränkt, damals an ihre in Berlin lebenden Tochter und enge Vertraute.

Bis zuletzt zeigte sich Broncia Koller-Pinell stets offen für neue ästhetische Impulse, so nahm sie Mitte der Zwanzigerjahre unter anderem erneut Unterricht bei einer jungen Kollegin, Erika Giovanna Klien: „Hab ich dir schon geschrieben, dass ich Unterricht bei der Klien nehme, und ich mache ganz interessante Sachen, stark konstruktiv und gar nicht an andere erinnernd“, freute sie sich in einem Brief an ihre Tochter. 1926 zählte sie zu den Gründerinnen des neuen Verbands „Wiener Frauenkunst“, im Jahr darauf stellten Mutter und Tochter im Rahmen der ersten Gemeinschaftsausstellung der Vereinigung aus. „Zwar sind die Ausstellungen keiner Künstlervereinigung Frauen grundsätzlich verschlossen, aber gerade die angesehensten nehmen Frauen nicht als vollwertige oder überhaupt nicht als Mitglieder auf, und es soll nicht geleugnet werden, dass das eine so große Benachteiligung der Frauen bedeutet, dass diese die Gründung einer besonderen Vereinigung von Künstlerinnen immerhin [!] gerechtfertigt erscheinen lässt“, hieß es anlässlich der Schau in der Arbeiter-Zeitung.

Zwischen Himmel und Erde, 1912

Die letzten Jahre. 1933 – Hitler hatte in Deutschland die Macht übernommen – erschien ein mehrseitiger Artikel des jüdischen Wiener Kunstkritikers Paul Stefan in der Zeitschrift Profil, Monatsschrift für bildende Kunst. Nichts hatte sich, macht der Artikel deutlich, zu diesem Zeitpunkt an der gesellschaftlichen Haltung weiblichen Künstlerinnen gegenüber geändert. „Was festgehalten zu werden verdient: Die Frau hat in der Malerei, bevor sie an das Eigentliche gelangt, größere Widerstände nicht nur ihrer Individualität, sondern ganz allgemein ihrer Natur zu überwinden. Dem weiblichen Dilettantismus freilich bietet auch die Malerei ein weites Feld“, schrieb Stefan, der 1939 nach New York emigrierte, ganz in der Diktion seiner Zeit, und weiter: „Es lässt sich nicht leugnen, dass die Frau besser Objekt, Modell der Malerei gewesen ist als, allgemein gesprochen, selber Malerin. Soweit Malerei eine Sache des Kunstempfindens ist. Überwältigung durch Formen und Farben, lockt sie, die Frau, und gerade die Frau. Aber der Maler, dem dieses Kunsterlebnis zuteil geworden ist, soll dann gestalten – und da hat die Frau oft genug versagt.“ Besprechungen wie diese gingen nicht unbeachtet an der Künstlerin Broncia Koller-Pinell vorbei. „Ich hatte heute eine große Wut über einen Artikel von Dessauer. […] Klimt, Schiele, Faistauer und Kokoschka sind hergenommen als ,Gestorbene‘, da gewinnt man bei Lebenden. Nicht nur die im Dritten Reich sind die Canaillien!“, kritisierte sie in einem weiteren Brief an ihre Tochter die damalige Kunstkritik.

In den letzten Monaten zog sich Broncia Koller-Pinell ganz aus Wien zurück und verbrachte die meiste Zeit, bereits schwer erkrankt, im Familiensitz im niederösterreichischen Oberwaltersdorf. Albert Paris Gütersloh, der sie bis zu ihrem Tod immer wieder besuchte und, glaubt man Broncias Briefen, auch in regem künstlerischem Austausch mit ihr stand, prägte in seinem Nachruf noch einmal, und nachhaltig, das Bild der alternden, liebenden, malenden Mutter: „So hat sie ihre letzten Jahre fern dem Kreis verlebt, dem sie geistig entstammte […], umgeben von der Liebe der Kinder und des Gatten.“ – Noch 2016 heißt es in einem Katalog: „Broncia verbindet Mütterlichkeit und künstlerische Ambitionen.“

Im selben Nachruf sprach Gütersloh, einst Schüler, später „Meister“, auf den sich noch Eisenberger in seiner Einschätzung Broncia Koller-Pinells beziehen sollte, aber auch an, woran die geringe Anerkennung der Künstlerin – zu Lebzeiten wie auch noch fast ein Jahrhundert danach – wesentlich begründet lag: „Weil sie eine Frau und vermögend war, haben die männlichen und armen Maler sie nie recht gelten lassen wollen. Es nützte nichts, dass sie die Bilder ihrer Kollegen kaufte, dass sie verehrte, was auch jene verehrten: Klimt, Hoffmann, Schiele. Im Scherbengerichte würgte man die Kinder ihrer Muse und Muße hin.“

Wieden, Skizze 1903

Wie wichtig sowohl ihre künstlerische Arbeit wie auch ihre zahlreichen engen künstlerischen Freundschaften für Broncia Koller-Pinell waren – und wie schwer oft zu vereinen –, hielt sie selbst in einem Brief an ihre Tochter Silvia nur wenige Jahre vor ihrem Tod fest: „Aber gerade Menschen wie wir müssen bedacht sein, ihr Leben geordnet zu halten, sonst verlieren wir durch unsere Arbeit den ganzen Kontakt mit den Menschen und vor allem mit den wertvollsten, da sie verstimmt werden und sich abwenden.“

Broncia Koller-Pinell starb am 26. April 1934, bis zuletzt von ihrem Bruder Zemek ärztlich betreut, in der Wiedner Prinz-Eugen-Straße.

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