Start-up auf biblischem Boden

Noa Tishbys engagierter „Faktencheck über das am meisten missverstandene Land der Welt“: eine sehr persönliche und provokante Streitschrift gegen weit verbreitete Vorurteile und eine Liebeserklärung an Israel.

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Schon ein Blick auf ihre Fotos und ihre Biografie verrät: Eine tollere Botschafterin für Israel ist gar nicht vorstellbar. Noa Tishby, als Schauspielerin, TV- und Filmproduzentin seit Langem in Los Angeles lebend, stieß dort auch in elitären Gesellschaftskreisen immer wieder auf blankes Unwissen und absurdeste Vorurteile ihre Heimat Israel betreffend. 2011 gründete sie daher mit Gleichgesinnten die erste Online-Lobby Act for Israel, um die im Netz kursierende antiisraelische Lügenpropaganda zu entkräften. Nun hat sie diesem Anliegen ein ganzes Buch gewidmet.

Zionistische DNA. Ihr kämpferisches Engagement führt Noa auf ihre „DNA“, auf die Geschichte ihrer Familie, zurück. Gleich drei Großmütter kann sie als Role Model aufbieten, bei einer verbrachte sie die Ferien im ältesten Kibbuz des Landes, und einen Urgroßvater, der als erster Diplomat Israel in afrikanischen Staaten vertrat. Insgesamt alter zionistischer Pionieradel, Gründerpersönlichkeiten, die alle noch vor dem Holocaust ins Land gekommen waren und es mit aufbauten. Auf diese familiäre Prägung spielt sie im Laufe der durchaus sehr persönlich gehaltenen Kapiteln immer wieder an, darin verortet sie sich auch als linksliberale säkulare Jüdin. Ihre intime Kenntnis des Landes verdankt sie aber nicht zuletzt ihrem Dienst bei der Armee, den sie als Sängerin und Schauspielerin in der Unterhaltungsabteilung absolvierte. Mit der IDF Circus Show tourte sie zwei Jahre lang auch durch die entlegensten Armee-Stützpunkte.

 

  „Okay, mir ist klar, was die Israelis falsch gemacht haben […].  
  Aber […] was haben die Palästinenser richtig gemacht?“  
  Noa Tishby  

 

Basics im Schnelldurchlauf. Es ist kein historisches und schon gar kein wissenschaftliches Buch im engeren Sinn, hat man sich aber mit ihrem anfangs etwas befremdlichen schnoddrigen Plauderton abgefunden, so liest man es mit zunehmendem Interesse und sogar Vergnügen. Unbeleckt von akademisch einschlägiger Vorbildung, aber durchaus mit ernst genommener Recherche präsentiert Noa Tishby die historischen Basics, die Geschichte des Landes von den biblischen Zeiten an, die Geschichte des Nahen Ostens insgesamt, des Zionismus, Krieg und Frieden quasi im Schnelldurchlauf, „nur um sicherzustellen, dass wir alle den gleichen Wissensstand haben. Das ist etwas, was man nicht jeden Tag in einem Geschichtsbuch findet, oder?“

Mit derselben Unverblümtheit geht sie auch heikle, kontroverse Themen und Konflikte an – ist Israel ein Apartheidstaat, und warum nicht, seit wann gibt es Palästinenser, und wer hat sie vertrieben, wer hat die Nakba erfunden, PLO und Hamas– und stellt sich schließlich auch dem „S-Wort“, den Siedlungen und ihrer Problematik.

Ihr „liberales Schuldgefühl“ angesichts der aktuellen Situation im Westjordanland fasst sie in die Worte: „Okay, mir ist klar, was die Israelis falsch gemacht haben […]. Aber […] was haben die Palästinenser richtig gemacht?“.

Richtig zornig macht Tishby die antiisraelische Boykottbewegung BDS, deren propagandistisches Treiben sie an amerikanischen Universitäten mit Sorge beobachtet. In diesem Kapitel fährt sie noch einmal die nüchternen facts & figures auf, die für sich sprechen. Für Insider ist das alles nicht ganz neu, aber Noa Tishby wendet sich eben nicht nur an mehr oder minder Auskenner im nahöstlichen Dilemma.

Probleme ortet sie nicht zuletzt in der Entwicklung der israelischen Gesellschaft, von Ben-Gurions proklamierter Schmelztiegelpolitik ausgehend bis hin zum wachsenden Einfluss der ultraorthodoxen Charedim, ja der Fundamentalisten aller Religionen überhaupt. In einer erstaunlichen Volte gelangt sie von da aus zurück zu den Römern und zum jüdischen Geschichtsschreiber Josephus Flavius und von diesem direttissima zum Loblied auf die „Start-up-Nation“!

Stellenweise liest sich Noa Tishbys leidenschaftliches und optimistisches Plädoyer für das Land und seine diverse, offene, unverrückbar demokratische Gesellschaft 2023, zu Israels 75. Geburtstag, leider fast schon ein bisschen gestrig.

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