Jerusalem ist, wenn ein in Syrien geborener Jude eine deutsche Leibspeise in eine nahöstliche Teigtasche füllt und einen Salat mit russischem Namen dazugibt.“ In diesem treffenden Satz umreißt Journalistin Vanessa Schlesier die kulinarische Szene der Heiligen Stadt, eine Szene, für die der Begriff „multikulti“ fast ein Understatement ist und der Ausdruck Fusion-Küche eine neue Dimension erhält. So wie in Jerusalem auf engstem Raum die verschiedenen Religionen eher nebeneinander als miteinander leben, so entfalten sich dort auch in unmittelbarer Nachbarschaft ganz unterschiedliche Speisetraditionen. In Mea Shearim riecht und schmeckt es anders als in der Altstadt, auf der Jaffa Street anders als in Ost-Jerusalem.
„Jerusalems Küchen sind eine Männerwelt, voller Testosteron.“
Vanessa Schlesier in Jerusalem
Ausgehend vom einzigartigen Mahane-Yehuda-Markt, wo sich an den Ständen, in den kleinen Imbissen und größeren Lokalen schmelztiegelartig die Aromen der Stadt mischen, erkundet die Autorin die einzelnen Grätzel und porträtiert die Köche in deren oft schon kultigen Wirkungsstätten. Gegendert muss da eigentlich nicht werden, denn „Jerusalems Küchen sind eine Männerwelt, voller Testosteron“. Als fast einzige Ausnahme schwingt im Rooftop des trendigen Mamilla Center eine junge Frau den Kochlöffel. Am Foto ist sie von fünf bärtigen Männern umringt.
Harmonische Mischung. Im Gegensatz zur Politik mischen sich in den brodelnden Küchen harmonisch oft Jahrhundert alte levantinische, arabische und osteuropäische Einflüsse, und auf biblischem Boden kommt sogar Esaus Linsengericht in Moshe Bassons exklusivem Restaurant The Eukalyptus zu zeitgemäßen Ehren. Geschichten und Geschichte ergänzen einander, wenn die charismatischen Chefs in ihre Töpfe schauen lassen und einzelne Rezepte, 70 insgesamt, preisgeben.
Für Nicht-Profis sehen sie nicht allzu einfach aus, und auch die einzelnen Zutaten werden hierzulande oft wohl nicht in der nötigen Qualität vorhanden sein. Frische, regionale Produkte, orientalische Gewürze, exzellentes Olivenöl sind die Basis aller Gerichte, darüber hinaus gibt es so etwas wie eine Jerusalemer Küche aber nicht. Koscherer Cholent und New Middle East Shrimps sind weiter voneinander entfernt als die geografischen Distanzen innerhalb der Stadt ahnen lassen. Dankenswerterweise fügt die Autorin zu manchen versteckt gelegenen Geheimtipps auch noch Wegbeschreibungen an. Appetit, die Speisen womöglich vor Ort zu genießen, macht dieses köstliche und wunderbar bebilderte Reisekochbuch allemal.