Der israelische Unabhängigkeitskrieg vor 75 Jahren

1948 wurde Israel gegründet – und ein UN-Teilungsplan präsentiert, der von arabischer Seite nie akzeptiert wurde.

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Junge Zionist:innen feiern am 14. Mai 1948 auf den Straßen Tel Avivs den neuen Staat Israel.© AFP / picturedesk.com

Im Mai 1948 wurde in Tel Aviv die Gründung des israelischen Staates verkündet – 51 Jahre nach dem ersten Zionistischen Kongress, den Theodor Herzl 1897 als Reaktion auf den europäischen Antisemitismus in Basel organisiert hatte, drei Jahre nach der Befreiung von Auschwitz und sechs Monate nach dem UN-Teilungsplan, der nach der Erfahrung des Nationalsozialismus eine Teilung des damals noch von Großbritannien verwalteten Mandatsgebieteer Bekämpfung des Zionismus durch Teile der arabischen Bevölkerung und an den Pogromen der 1920erund 1930er-Jahre im Mandatsgebiet, die regelmäßig von Parolen wie „Schlachtet die Juden“ begleitet wurden. Die Ausschreitungen, denen hunderte Juden (und noch mehr moderate Araber) zum Opfer fielen, veranlassten die britische Mandatsmacht nicht zu einem konsequenten Vorgehen gegen den antisemitischen Terror, sondern zu einer restriktiven Einwanderungspolitik gegenüber den europäischen Juden und zur Zurückweisung der Forderung nach einer früheren Gründung eines jüdischen Staates.

Im Unabhängigkeitskrieg führten die offen formulierten Vernichtungsdrohungen der arabischen Führer zu einer hohen Motivation der jüdischen Kämpfer von denen viele gerade erst der nationalsozialistischen Vernichtungsmaschinerie entkommen waren, und die nun die einmalige historische Chance für die Etablierung einer jüdischen Souveränität sahen. Ein beeindruckendes Beispiel dafür lieferte eine Gruppe von Shoah-Überlebenden, die im Kibbuz Yad Mordechai, der nach dem Anführer des Aufstands im Warschauer Ghetto benannt ist, ein angreifendes ägyptisches Bataillon tagelang zurückhielt.

Den jüdischen Kämpfern war bewusst, dass die palästinensischen Araber unter der Führung des Mufti Amin el-Husseini standen, der ein wüster Antisemit war. Er residierte seit 1941 in Berlin und war in die antisemitische Vernichtungspolitik involviert. El-Husseini beteiligte sich an der NS-Propaganda für die Region des Nahen Ostens und an der Aufstellung muslimischer SS-Divisionen. Der Mufti konnte sich einer Strafverfolgung durch die Alliierten entziehen, indem ihm nach dem Zweiten Weltkrieg die Flucht nach Kairo gelang. Dort schaffte er es, wie schon in den 1930er-Jahren, seine innerpalästinensischen Widersacher auszuschalten und die Leitung des Hohen Arabischen Komitees zu übernehmen, das schon in der Mandatszeit ein zentrales Organ der arabischen Nationalbewegung war. Auch wenn er während des israelischen Unabhängigkeitskrieges militärisch wenig Einfluss auf das Geschehen hatte, war es für das Bewusstsein der israelischen Soldaten von entscheidender Bedeutung, dass sie gegen einen Verbündeten der Nazis kämpften, der als eine Führungsfigur der arabischen Nationalbewegung schon bei den antijüdischen Pogromen der 1920erund 1930er-Jahren eine entscheidende Rolle gespielt hatte.

 

Der Grundgedanke des Zionismus
bleibt
schon allein aufgrund
der Persistenz des
Antisemitismus aktuell.

 

1948 wussten die Kämpfer der jüdischen Verbände, dass eine Niederlage drei Jahre nach der Befreiung von Auschwitz wohl die Vernichtung des Jishuw bedeuten würde. Achmet Shukeiry, einer der Gehilfen des Mufti und Vorgänger Jassir Arafats als Führer der PLO, nannte als Ziel der Invasion „die Vernichtung des jüdischen Staates“. Abdel Rahman Azzam, der Generalsekretär der Arabischen Liga, verkündete hinsichtlich des bevorstehenden Überfalls auf den neugegründeten jüdischen Staat: „Dies wird ein Krieg der Vernichtung sein und ein enormes Massaker.“ Dass diese Vernichtungsfantasien nicht in die Tat umgesetzt werden konnten, lag unter anderem an der Uneinigkeit der arabischen Staaten, die sich in fehlender militärischer Koordination niederschlug.

Zweierlei Vertreibungen. Der Krieg endete 1949 mit einem klaren Sieg Israels, das nun etwa 77 Prozent des im UN-Teilungsplan definierten Territoriums kontrollierte, und einer demütigenden Niederlage für die arabische Seite. Auf israelischer Seite starben etwa 6.000 Menschen, viele von ihnen Überlebende der nationalsozialistischen Vernichtungslager.

Im Verlauf der Kriegshandlungen sind etwa 750.000 Palästinenser geflohen oder vertrieben worden. Obwohl Teile der zionistischen Bewegung sich früh für eine Trennung zwischen jüdischer und arabischer Bevölkerung ausgesprochen hatten und insbesondere die rechtsgerichteten Milizen auch eine entsprechende Politik verfolgten, waren Flucht und Vertreibungen nicht das Ergebnis einer von der zionistischen Führung lange geplanten Strategie, sondern Resultat eines kriegerischen Konflikts, der durch die arabische Seite nach ihrer Ablehnung des UN-Teilungsplans begonnen worden war.

Die genauen Zahlen und Abläufe sind Gegenstand von anhaltenden geschichtswissenschaftlichen Kontroversen. Nahezu in Vergessenheit geraten ist hingegen, dass auch 850.000 Juden zu Flüchtlingen aus den arabischen Ländern wurden. Im Gegensatz zu den Palästinensern war ihre Vertreibung nahezu total und stand – anders als im Fall der arabischen Flüchtlinge – nicht im Zusammenhang mit einem Kriegsgeschehen.

Heutige Herausforderungen. Seit der Staatsgründung bleibt der israelischen Gesellschaft nichts anderes übrig, als eine permanente Diskussion darüber zu führen, welches Ausmaß an Gewaltanwendung zur Durchsetzung des im Zionismus allgemein anerkannten Ziels, sich der feindlichen Seite nicht zu beugen, noch als legitim angesehen wird. Denn die arabischen Staaten änderten ihre Position nach der Niederlage von 1948 drei Jahrzehnte lang nicht. Erst nach weiteren verheerenden Kriegen kam es 1979 mit Ägypten zum ersten Friedensschluss eines arabischen Landes mit Israel, 1994 folgte Jordanien, und erst 2020 haben weitere arabische Länder ihre Beziehungen mit dem jüdischen Staat normalisiert, der gegenwärtig mit einer der schwersten innenpolitischen Krisen seiner 75-jährigen Geschichte konfrontiert ist.

Die Vernichtungsdrohungen gegen Israel kommen schon seit Jahrzehnten nicht mehr von den arabischen Führungen, sondern vom Regime im Iran und von seinen Verbündeten. Darauf adäquat zu reagieren bleibt neben der Aufrechterhaltung einer jüdisch-demokratischen Staatlichkeit die zentrale Herausforderung für den Zionismus, auf dessen Grundlage Israel vor 75 Jahren gegründet wurde. Der Grundgedanke des Zionismus bleibt schon allein aufgrund der Persistenz des Antisemitismus aktuell. Wie eine zionistische Staatlichkeit als Schutz für alle vom Antisemitismus Bedrohten im Einzelnen auszugestalten ist, wird in Israel auch in den kommenden Jahrzehnten Gegenstand heftiger Auseinandersetzungen sein – ganz so, wie sie auch schon die frühe zionistische Bewegung zu Zeiten Theodor Herzls geprägt haben.


Stephan Grigat ist Professor für Theorien und Kritik des Antisemitismus an der Katholischen Hochschule NordrheinWestfalen, Leiter des Centrums für Antisemitismus- und
Rassismusstudien (CARS) in Aachen und Herausgeber von Kritik des Antisemitismus in der Gegenwart (Nomos 2023).

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