Vorhang auf!

Seit Jahrzehnten sammelt der frühere IKG-Präsident und heutige Präsident des European Jewish Congress, Ariel Muzicant, Judaika – über 25.000 sind es inzwischen. An die 100 dieser Objekte können nun besichtigt werden. SAM, die Sammlung Ariel Muzicant, ist seit diesem Juni in der Salvatorgasse zu Hause. Gestaltet wurde das Privatmuseum von KENH Architekten, die Auswahl der Objekte erfolgte durch Muzicant gemeinsam mit den Kuratorinnen Felicitas Heimann-Jelinek und Daniela Schmid.

1923
Der von Thuan Nguyen-Tien gestaltete durchsichtige Vorhang am Entrée zeigt stark vergrößerte Details einzelner Ausstellungsstücke. © KENH / David Peters

Bis jetzt versammelte Ariel Muzicant seine Schätze in seiner Wohnung – bei fachgerechter Lagerung und entsprechend geregelter Temperatur. Doch einerseits fehlte inzwischen der Platz, um die ganz besonderen Stücke alle auch sichtbar auszustellen. Und dann stand da auch schon länger die Frage im Raum: Wäre es nicht an der Zeit, Teile dieser außergewöhnlichen Sammlung einer interessierten Öffentlichkeit zugänglich zu machen?

Mit SAM wurde das nun umgesetzt. Auf 160 Quadratmetern zeigt Muzicant sowohl aschkenasische wie auch sephardische Objekte. Das Gros der Sammlung besteht aus Büchern, Archivalien, Postkarten und Exlibris. Rund 700 Objekte sind Ritualgegenstände und andere dreidimensionale Objekte, darunter Rimonim, Chanukkiot oder Pessachaufsätze.

Muzicants Sammlungsfokus liegt auf Objekten aus dem österreichisch-ungarischen Raum. Besonders angetan haben es ihm zuletzt Synagogenpostkarten, die dokumentieren, was einmal war, und Exlibris. Ausgestellt ist nun beispielsweise das Exlibris inklusive Druckplatte von Stefan Zweig.

Zwei der optisch hervorstechendsten Objekte sind eine goldene, mit Edelsteinen verzierte Thora-Krone (laut Angaben Muzicants ist heute weltweit die Existenz von nur vier solchen Kronen, übrigens einst allesamt in Wien gefertigt, bekannt) und ein dreidimensional gewebter und bestickter Thora-Vorhang (Parochet), der bis in die 1920er-Jahre im türkischen Tempel in der Zirkusgasse verwendet wurde.

Gediegen und dezent: Die Lichtgestaltung des Privatmuseums zielt auf die detaillierte Betrachtungsmöglichkeit der Ausstellungsgegenstände durch die Besucher:innen ab. © KENH / David Peters

Wie kommt man in den Besitz solcher Objekte? Im Fall des Thora-Vorhangs wurde Muzicant bei einem Sammler in New York fündig, drei Jahre verhandelte er mit diesem, drei weitere Jahre dauerte es, bis die aufwändige Restaurierung des Stückes abgeschlossen war. Nicht geklärt werden konnte allerdings dessen Provenienz – bisher gebe es nur verschiedene Theorien dazu, die aber allesamt bisher eben nicht von den beiden Kuratorinnen verifiziert werden konnten.

Schmid erläuterte vor Kurzem bei einer Presseführung durch die Räumlichkeiten die Schwierigkeit, bei Judaika die Herkunft beziehungsweise die Eigentumsverhältnisse zu klären. Kunstwerke seien in einem Werkverzeichnis gelistet, das gebe es bei Judaika nicht. Dennoch bemühe man sich bei jedem Objekt, dessen Geschichte zu rekonstruieren.

 

„Jüdische Ritualobjekte reflektieren neben der
Historie zu Kultusgemeinden und jüdischen Familien oder Künstlern auch eine Formensprache und eigene Ikonografie“
Ariel Muzicant

 

Neben ausgesuchten silbernen ThoraKronen und Rimonim fallen zwei weitere Objekte besonders ins Auge: zum einen eine italienische Ketuba, die mit nackten Frauen- und Männerfiguren verziert wurde, und Neujahrsglückwunschkarten der Wiener Werkstätten. Das ist eine Art von Repräsentation, die man aus der heutigen Perspektive einer kleinen jüdischen Gemeinde in Wien vergeblich sucht.

Das Museum gliedert sich in einen schmalen Eingangsbereich, der als Klimaschleuse fungiert, sowie zwei Ausstellungsräume. Entrée und Ausstellung werden durch einen von Thuan Nguyen Tien gestalteten durchsichtigen Vorhang getrennt, der vergrößerte Details einzelner Ausstellungsstücke zeigt. Die Vitrinen sind in Nachtblau gehalten, das Lichtdesign (Gunther Ferencsin-Junick) arbeitet mit so wenig Licht wie möglich, um die Objekte einerseits zwar bestmöglich auszuleuchten, sie aber gleichzeitig konservatorisch zu schonen. Für Grafik, Logo und Typografie zeichnet Renate Stockreiter verantwortlich.

Kim Tien (KENH Architekten) erläuterte, das Team habe die Stille der Objekte auf die Ausstellungsräume übertragen. Die Fenster des früheren Geschäftslokals wurden geschlossen, so fühlt es sich in dem kleinen Museum tatsächlich ein bisschen so an, als wäre man kurz in einer anderen Welt. Natalie Neubauer (ebenfalls KENH Architekten) wies auf die Laden unter den Vitrinen hin, die etwa, wenn man sie aufzieht, den Blick auf Synagogenpostkarten freigeben. Größere hochkant gestellte Auszüge wiederum lassen Ketubot zum Vorschein kommen. Das Ausstellungsdesign ist insgesamt schlicht und stellt die Objekte in den Mittelpunkt – weist aber dennoch nette Spielereien und Überraschungen auf.

Wen sieht Muzicant als Publikum für seine Sammlung? Interessierte mit doch ein bisschen Vorkenntnissen zu den ausgestellten Objekten, erläutert der Sammler. Auf Erklärungen zur Funktion der einzelnen Gegenstände hat man bewusst verzichtet – dieses Sammlungsmuseum erfülle einen anderen Zweck als etwa das Jüdische Museum Wien (JMW), in dem es um Vermittlung gehe. Es gibt allerdings eine Kooperation zwischen JMW und SAM. Die Sammlung Ariel Muzicant kann nur gegen vorherige Terminvereinbarung besucht werden, die Führung findet dann eben in Zusammenarbeit mit dem Jüdischen Museum statt. Anfragen sind über die Website von SAM möglich.

Und warum sammelt Muzicant überhaupt Judaika? Jahrzehntelang bemühte er sich, die Infrastruktur der Wiener jüdischen Gemeinde (wieder)aufzubauen. Ebenso sei ihm aber stets ein Anliegen gewesen, auch das historisch-materielle Kulturgut dieser Gemeinde zu erhalten. „Da es den Institutionen finanziell kaum möglich war, diese in der ganzen Welt verstreuten Kultusgegenstände, Bücher und Archivalien zu erwerben und nach Wien zurückzubringen, war es mir ein Anliegen, im Kleinen als Privatsammler einzuspringen und langsam eine Sammlung mit diesem Schwerpunkt aufzubauen. Jüdische Ritualobjekte reflektieren neben der Historie zu Kultusgemeinden und jüdischen Familien oder Künstlern auch eine Formensprache und eigene Ikonografie, häufig mit geografischen Spezifika.“

sam-wien.at


* Die Kataloge können derzeit nur Vorort bzw. auf Nachfrage unter info@sam-wien.at erworben werden. Nähere Informationen und Öffnungszeiten unter sam-wien.at.

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