Wie IKG-Präsident bei der Präsentation des Berichts der Meldestelle am Mittwoch Vormittag bei einer Pressekonferenz in Wien betonte, sei das Vorjahr allerdings zweigeteilt zu sehen: die Zeit vor und die Zeit ab dem 7. Oktober. In den ersten drei Quartalen sei die Anzahl der gemeldeten Vorfälle sogar leicht rückläufig gewesen: von im Schnitt 1,97 Vorfällen im Jahr 2022 sank dieser Wert auf 1,55 Vorfälle im Jahr darauf, wenn man sich den Zeitraum von Jänner bis zum 6. Oktober ansehe. Vom 7. Oktober 2023 bis zum Jahresende lag der Wert dann jedoch bei durchschnittlich 8,31 Vorfällen pro Tag.
Die Gesamtzahl von 1.147 Vorfällen stellt einen Negativrekord dar und damit auch den bisherigen solchen traurigen Rekord aus dem Jahr 2021 mit 965 Vorfällen in den Schatten. Damals war Antisemitisches oft verknüpft mit Verschwörungstheoretischem im Kontext der Covid-Pandemie. Für die nunmehrige Zäsur sorgte der Überfall der Terrororganisation Hamas auf Israel, bei dem 1.200 Menschen, darunter auch Kinder und Holocaust-Überlebende, getötet und andere nach Gaza verschleppt worden seien. Mehr als 130 von ihnen – darunter Juden und Araber – seien noch immer in der Gewalt der Hamas, so der IKG-Präsident. In Geiselhaft der Hamas seien aber auch zwei Millionen Palästinenser, die als Schutzschilder missbraucht würden.
Statt dass hier die ganze zivilisierte Welt klar Stellung beziehe, passiere das Gegenteil, betonte Deutsch. Es werde auf die Straße gegangen und nicht gegen die Hamas demonstriert, sondern für die Hamas, für die Auslöschung des Staates Israel und gegen Juden. Die Folge sei weltweit ein massiver Anstieg des Antisemitismus, teils um mehrere hundert oder sogar 1.000 Prozent, wie IKG-Generalsekretär Benjamin Nägele betonte. In Österreich sei die Anzahl der gemeldeten antisemitischen Vorfälle von 2022 auf 2023 um 59,9 Prozent angestiegen. Allerdings wird dazu im Report selbst auch festgehalten:
„Dieser Bericht ist keine gesamthafte Darstellung des Antisemitismus in Österreich. Es ist, wie bereits in den Vorjahren, von einer hohen Dunkelziffer auszugehen, welche aufgrund der besonderen Umstände und Herausforderungen der letzten Monate diesmal weitaus größer anzunehmen ist als bisher.“
Gezählt würden eben ausschließlich Fälle, die gemeldet würden und die gemäß der Antisemitismus-Definition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) als eindeutig antisemitisch verifiziert wurden.
Was kann zu den über 1.000 Vorfällen konkreter gesagt werden? In 18 Fällen handelte es sich um tätliche Angriffe, in weiteren 18 Fällen und Bedrohungen. Registriert wurden zudem 140 Sachbeschädigungen, 536 Massenzuschriften und in 426 Fällen lag verletzendes Verhalten vor. Beispiele für Angriffe: auf der „Vienna Pride“ wurde einem jüdischen Teilnehmer ein Hieb auf den Hinterkopf verpasst und seine Kippa heruntergeschlagen, in einer koscheren Fleischerei wurde die Fensterscheibe mit einem Stein eingeschlagen und vom Angreifen „Allahu Akbar!“ gerufen, am 4. Tor des Zentralfriedhofs wurde ein Brandanschlag verübt. In die Kategorie Bedrohungen fielen unter anderem wiederholte Anrufe bei einer Einrichtung der jüdischen Gemeinde mit der Botschaft „Töte die Juden“ beziehungsweise „Töten die Juden“ oder aber ein Vorfall, wo zu Kippa-tragenden Schülern in der Straßenbahn „Wir werden euch umbringen“ gesagt wird.
Erfasst wurde auch der ideologische Hintergrund der Vorfälle: Demnach waren 34 Prozent einem rechts motivierten Hintergrund zuzuordnen, 25 Prozent einem muslimischen, 18 Prozent einem linken. 23 Prozent der gemeldeten Vorfälle waren laut Bericht nicht zuordenbar. Sieht man sich die Kategorie „Angriffe“ an, kam elf der insgesamt 18 Angriffe von Muslimen, zwei von rechts, einer von links, vier waren nicht zuordenbar. Ein ähnliches Bild zeigt sich bei den Bedrohungen: hier kamen 13 von Muslimen, drei aus dem rechten Milieu, zwei waren nicht zuordenbar.
Am Ende des Tages sei es den Bedrohten und auch ihm als Präsident aber egal, wie der Antisemitismus, der hier laut werde, motiviert sei, sagte Deutsch. „Für die Bedrohung macht das keinen Unterschied.“ Nägele ergänzte: „Wir leben in einer Ausnahmesituation.“ Viele Gemeindemitglieder hätten Angst vor Übergriffen, es würden Mesusot entfernt, der Davidstern nicht mehr in der Öffentlichkeit getragen.
„Wir erleben Juden und Jüdinnen, die nicht mehr an jüdischen Veranstaltungen teilnehmen wollen und auch nichtjüdische Personen, die Sorge haben, in jüdische Institutionen zu gehen.“
Einmal mehr betonte der IKG-Präsident jedoch auch: Die Regierung bemühe sich sehr, gegen den Antisemitismus anzukämpfen. Was der 7. Oktober jedoch gezeigt habe: manches müsse noch rascher passieren. Im internationalen Vergleich habe die Wiener jüdische Gemeinde jedoch viel Schutz, es werde alles getan, um ein lebendiges jüdisches Leben zu ermöglichen und die Zusammenarbeit mit der Polizei und den Behörden sei sehr gut. Was aber passiert sei: „Die Leichtigkeit ist verschwunden.“
Und was Deutsch ebenso zu bedenken gab: Jetzt gehe es um Juden, „jetzt sind wir dran“. Aber in einem nächsten Schritt werde es um die ganze Gesellschaft gehen und dann sei die Demokratie gefährdet. Es müsse wesentlich rascher gegen den Hass, den Rassismus, den Antisemitismus im Netz vorgegangen werden, denn:
aus Gedanken werden Worte, aus Worte werden Taten und „das ist eine riesengroße Gefahr.“
Wichtig fände der IKG-Präsident auch, dass es nach antisemitischen Vorfällen etwa auf Demonstrationen schneller zu Gerichtsverfahren und Verurteilungen komme, „um den Antisemiten zu zeigen, Antisemitismus ist kein Kavaliersdelikt“.