„Gerade jetzt ist der Zeitpunkt, nicht zu schweigen, sondern miteinander zu reden.“

Die Simon-Wiesenthal-Preise 2023 gingen heuer unter anderem an Likrat (Hauptpreis), Centropa und an zehn Zeitzeuginnen und Zeitzeugen

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Verleihung des Simon-Wiesenthal-Preises 2023 (c) Zinner/Parlament

Stehende Ovationen und die berührendsten Momente gab es am Ende der Verleihung der Wiesenthal-Preise: Hannah Lessing, Generalsekretärin des Nationalfonds, ehrte gemeinsam mit Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka zehn Shoah-Überlebende. Ausgezeichnet wurden neben anderen die Schwestern Helga Feldner-Busztin und Liese Scheiderbauer, Viktor Klein und Katharina Sasso.

NR-Präsident Wolfgang Sobotka spannte in seiner Rede den Bogen von der Shoah bis zum 7. Oktober 2023, der auch an diesem Abend im Parlament omnipräsent war, nicht zuletzt bei einer Podiumsdiskussion mit Dalia Grinfeld von der Anti-Defamation League (ADL), Andreas Kranebitter, dem Leiter des DÖW, und Ahmad Mansour, dem heute in Berlin lebenden deutsch-arabisch-israelischen Psychologen und Autor, sowie Katharina von Schnurbein, der Antisemitismusbeauftragten der EU-Kommission.

Der 7. Oktober habe den Alltag von Jüdinnen und Juden in Europa nachhaltig verändert; vor allem aber seien Allianzen, die über Jahre aufgebaut worden seien, wie etwa mit der Klimabewegung und feministischen Organisationen, zerbrochen. „Ich habe kein politisches Zuhause mehr.“ Vielen Juden und Jüdinnen gehe es ähnlich. „Das wird nicht nur einen Impact auf heute haben, sondern auf die nächsten Jahrzehnte.“ Es sei fraglich, ob die oben genannten Allianzen unter diesen Umständen wiederhergestellt werden könnten, erläuterte Grinfeld im Gespräch.

„Seit dem 7. Oktober sehen wir einen Flächenbrand,“

konstatierte Kranebitter vom DÖW. „Der Kampf gegen Antisemitismus braucht kontinuierliche Brandschutzkonzepte.“ Klare Worte fand hier auch Ahmad Mansour: Jene, die genau vor dem gewarnt hätten, womit Juden und Jüdinnen weltweit seit dem 7. Oktober konfrontiert seien, seien in den vergangenen Jahren rasch diffamiert worden. Das mache ihn wütend. „Wir haben eine Gesellschaft, die gerne die Vielfalt feiert, aber die Probleme dahinter nicht artikuliert.“ In den weltweiten Übergriffen gegen Juden oder jüdische Einrichtungen ist ein erschreckendes Zusammenspiel von Linken, Islamisten und migrantischen Communitys, die den Antisemitismus in soziale Medien und auf die Straße getragen hätten, zu erkennen:

„Wir haben die Kontrolle über die Orte komplett verloren, an denen Menschen heute kommunizieren.“

Katharina von Schnurbein betonte dazu, dass die EU-Kommission hier mit einem Vertragsverletzungsverfahren gegen Twitter bereits aktiv geworden sei. „Wenn wir das nicht unter Kontrolle bekommen, entwickelt sich eine echte Gefahr für unsere Demokratie.“  Von Schnurbein ist auch Vorsitzende der Jury, die über die Vergabe der Wiesenthal-Preise entscheidet. Der „Hauptpreis für zivilgesellschaftliches Engagement gegen Antisemitismus und für Aufklärung über den Holocaust“ ging heuer an Likrat in Österreich und in der Schweiz. Das Dialogprojekt wurde 2002 in der Schweiz gegründet und existiert seit 2015 auch in Österreich. Jüdische Jugendliche werden im Rahmen dieses IKG-Programms ausgebildet, um bei Begegnungen mit nichtjüdischen Gleichaltrigen in Schulen Fragen zu beantworten zu ihrer jüdischen Identität, Religion, zu Israel oder aber der Shoah. Ziel ist es, Vorurteile abzubauen und Missverständnisse auszuräumen.

In ihrer Dankesrede betonte Kultusvorständin Betty Kricheli, jede dieser Begegnungen sei ein großer Schritt in eine bessere Zukunft und ein besseres Miteinander.

„Gerade jetzt müssen und wollen wir Likrat fortsetzen. Gerade jetzt ist der Zeitpunkt, nicht zu schweigen, sondern miteinander zu reden.“

Auch der Verein Centropa wurde geehrt, der bislang mit mehr als 1.200 Holocaust-Überlebenden in 15 Ländern Mittel- und Osteuropas Interviews durchgeführt hat.

Ein weiterer Preis ging an die Asociación Cultural Mota de Judíos. Das spanische Dorf Castrillo Matajudíos hat seinen Namen nach einem Referendum offiziell wieder in den vor 1632 benutzten Namen Castrillo Mota de Judíos geändert. Der nun ausgezeichnete Kulturverein will das historische Erbe der Provinz Burgos wiederbeleben. wea

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