DIE TOCHTER DES GOLDRAUSCHS

Vor 150 Jahren meldeten zwei jüdische Einwanderer aus Europa in Kalifornien ein Patent für strapazfähige Arbeitshosen aus Baumwolle an. Daraus sollten jene Jeans werden, die die Welt erobern würden. Und Levi Strauss wurde zur globalen Marke.

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Historische Jeans-Werbung: Levi-Strauss-Plakat von 1880

Mai 1873, San Francisco, Kalifornien. Jacob Davis und Levi Strauss meldeten ein Patent an. Sie wollten Arbeitshosen aus schwerem dunkelblauem Baumwollstoff noch praktischer und haltbarer machen, indem sie diese an mehreren Stellen mit Nieten verstärkten, vor allem an den Taschen.

Die Idee dazu hatte Davis gehabt, ein Schneider, der aus dem damals noch russischen Lettland in die USA eingewandert war und sich von der Ostküste in Richtung Goldrausch nach Kalifornien aufgemacht hatte. Er sah, dass die Goldgräber ihre Hosentaschen immer wieder aufrissen, weil sie Werkzeug oder wertvolle Gesteinsbröcklein einsteckten. Die Nähte hielten das einfach nicht aus. Davis sah, dass Zaumzeug für Pferde genietet war, und übertrug das auf Textilien. Als andere Hosennäher begannen, dies nachzumachen, wollte er seine Idee patentieren. Allerdings fehlte ihm das Geld für die Gebühren.

Er wandte sich an einen seiner Lieferanten, Levi Löb Strauss. Dieser war als Jugendlicher und Halbwaise 1847 mit seiner Mutter aus Franken in die USA gekommen. Sein Vater, Hirsch Strauss, war ein armer Hausierer in der Nähe von Bamberg gewesen und an Tuberkulose gestorben, als Löb 16 war. In New York schloss sich Löb, der sich jetzt Levi nannte, seinen beiden älteren Brüdern an, die in New York mit Textilien, Nähzeug und Kochgeschirr handelten. Doch es hielt ihn nicht am Hudson, er zog aus der Großstadt hinaus, zunächst in Richtung Süden nach Kentucky.

Levi Strauss, 1829 als Löb Strauß im bayerischen Buttenheim geboren, gilt als „Erfinder“ der Blue Jeans. Er starb 1902 in San Francisco.

Doch dann wurde der Sog der Goldfunde in Kalifornien so groß, dass auch Strauss an die Westküste weiterwanderte. Dort verkaufte er einen umfangreichen Warenkorb, der von Stoffen, Hosen, Zelten bis zu Taschentüchern und Toilettenartikeln reichte. Unter anderem belieferte er Davis, und als dieser ihm eine Partnerschaft anbot, finanzierte er die Patentgebühr für die mit Nieten verstärkten Arbeitshosen.

Noch heute findet sich auf den Levis Jeans der Ausdruck „riveted“, der sich auf die Nieten bezieht. Die Grafik auf dem Lederfleck, die zwei Pferde zeigt, wie sie vergeblich versuchen, eine Hosen zu zerreißen, kommt freilich von ganz anderswo: Es handelte sich um ein physikalisches Experiment, bei dem die Pferde versuchten, eine Kugel, deren Hälften von Unterdruck zusammengehalten wurden, auseinanderzuziehen.

Die vernieteten „Waist Overalls“, wie die Hosen im Gegensatz zur Ganzkörperarbeitskleidung damals hießen, stießen auf erhebliche Nachfrage. Strauss eröffnete in kurzer Zeit zwei Fabriken, in denen die Hosen genäht wurden, wenige Jahre später gab es bereits mehr als 500 Beschäftigte.

Strauss war Mitglied einer jüdischen Reformgemeinde und galt als großzügiger Spender. Er war unter den Finanziers der ersten Synagoge in San Francisco, jener der Gemeinde Emanu-El, unterstützte Waisenheime, und schon 1897 finanzierte seine Stiftung erste 28 Stipendien an der Universität von Kalifornien in Berkeley.

Warum Strauss letztlich die Firma dominierte, lässt sich aus der Chronik nicht mehr entnehmen. Jedenfalls vererbte er bei seinem Tod 1902 das Unternehmen seinen vier Neffen, er war kinderlos geblieben. Es handelte sich schon damals um einen erheblichen Nachlass, sechs Millionen Dollar. Umrechenversuche landeten bei mehr als 150 Mio. in heutigen Dollars. Die Nachfahren der Neffen wiederum halten bis heute die Mehrheit am – börsennotierten – Konzern.

Der Siegeszug der Jeans, wie die Hosen später hießen, brauchte freilich einige Jahrzehnte, und es gab mehrere wichtige Zwischenstationen. Zunächst nutzten die Cowboys und Landarbeiter im Westen die praktischen haltbaren Hosen. Dann machten sie mit romantischen Urlaubern aus den Ostküsten-Städten einen ersten vorsichtigen Sprung aus der Region heraus.Levis begann schon in den 1930erJahren, auch für Frauen zu nähen. Später fanden die Jeans ein neues Einsatzgebiet unter den zahlreichen Rüstungsarbeitern und -arbeiterinnen des Zweiten Weltkriegs.

 

Strauss eröffnete in kurzer Zeit zwei Fabriken, in
denen die Hosen genäht wurden, wenige Jahre später
gab es bereits mehr als 500 Beschäftigte.

 

Wirklich populär wurden sie dann ab den 1950er-Jahren in den diversen Jugendkulturen, ob unter Mods, Greasers, Rockern oder Flower-Power-Hippies. Nun war auch der Mainstream weit offen, die Hosen wurden Millionenware, erst in den USA und mit der Internationalisierung zunächst in Europa und dann rund um den Globus.

Heute ist Levi Strauss & Co. einer der weltgrößten Bekleidungskonzerne. 2022 setzte der Konzern, der an der New Yorker Börse notiert, 4,5 Mrd. Dollar um, mit 14.700 Mitarbeitern in den USA, Europa und Asien. Die Hosen, zu denen längst Jacken, Sweatshirts und Accessoires dazu gekommen sind, werden in 50.000 Geschäften verkauft, in 110 Ländern.

Doch die Zeiten waren schon einmal besser. Am Höhepunkt seines Wachstums, in den 1990er-Jahren, setzte Levi Strauss mehr als 7 Mrd. Dollar um. Und an Levi Strauss lässt sich auch der Aufschwung und Niedergang der amerikanischen Industrie beispielhaft nachvollziehen. 1974 betrieb das Unternehmen in den USA 63 Fabriken, weitere 23 in Übersee. Im Jahr 2003 schloss Levis die letzte eigene Produktionsstätte in Amerika, in San Antonio, Texas. Die legendäre Hosenfabrik in Downtown San Francisco, in der zuletzt noch schwere, klassische Modelle genäht wurden, und die Ihr Reporter noch besuchen konnte, war bereits ein Jahr davor endgültig zugesperrt worden.

Parallel zum Niedergang in den USA entwickelte der Konzern ein weltweites Netz von Zulieferbetrieben. Heute fertigen Fremdfirmen in Bangladesch, Indien, Rumänien, Polen, Mexico oder Portugal die legendären 501 Hosen, längst in unterschiedlichsten Stilen, mit leichteren, dehnbaren Materialen, in verschiedenen Farben, Helligkeitsgraden und Abnutzungsstadien. Ein österreichisches Unternehmen gehört übrigens – direkt und über seine US-Tochter – zu den Lieferanten: der oberösterreichische Faserhersteller Lenzing.

Im Konzern spiegeln sich auch andere globale Industrieentwicklungen: von Dauerprozessen um Markenrechte und Fälschungen über zeitweise Ausbeutung und Diskriminierung von Arbeiterinnen und Arbeitern in Entwicklungsländern bis zu jüngeren Anstrengungen, die Produktion zu ökologisieren und ressourcenschonender zu gestalten. Man gründete eine weitere Marke, Dockers, und ging Vertriebskooperationen mit großen Warenhausketten ein, etwa mit Wal Mart und Target. Parallel dazu gab es Krisen und Abschwünge, ein Wiedererstarken der Marke, die sich längst gegen Hunderte Konkurrenten wehren muss, Börsengang, De-Listing und neuerliche Notierung.

Und doch behielt die Familie in all diesen Turbulenzen die entscheidende Mehrheit am Unternehmen. Der Goldrausch für den armen Einwanderer aus Bayern ist wohl längst Geschichte, die Ideen und unternehmerischen Leistungen von Levi Strauss haben aber die 150 Jahre überlebt.

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