Das Dokument zum Schicksal jüdischer Philharmoniker in der NS-Zeit

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Die „gelungene“ orchestrierte Vertreibung. Von Marta S. Halpert   

Dieses unterwürfige Schreiben richtete Armin Tyroler nach 42-jähriger Dienstzeit als Oboist bei den Wiener Philharmonikern und der Staatsoper an deren Direktor Erwin Kerber. Der vielfach ausgezeichnete Musiker wurde 1873 in Turócz-Szent-Márton/Ungarn geboren und hatte bereits mit 13 Jahren mit seiner Ausbildung am Konservatorium der Gesellschaft der Musikfreunde Wien begonnen. Am 1. Jänner 1937 wurde er pensioniert. Nach dem „Anschluss“ 1938 wurden die Bezüge der jüdischen Musiker dramatisch gekürzt, und wenige Monate vor dem drohenden Umzug in eine „jüdische Sammelwohnung“ sandte Tyroler seinen „Hilferuf“.

„Um Künstler sein zu können, muss der Musiker von der Wirtschaftsnot frei sein.“ Armin Tyroler

Operndirektor Kerber versicherte Tyroler, bei Baldur von Schirachs Generalkulturreferenten Walter Thomas intervenieren zu wollen. Er tat dies am 31. Dezember 1941, jedoch kam sein Unterstützungsversuch nicht nur zu spät, sondern blieb auch ohne Erfolg. Nur wenige Tage später war das Ehepaar Tyroler offiziell bereits in einer der vielen „jüdischen Sammelwohnungen“ in der Novaragasse 32 im 2. Bezirk gemeldet. Das war auch die letzte Adresse in Wien: Am 27. August 1942 wurden Armin und Rudolfine Tyroler – gemeinsam mit dem Philharmonikerkollegen Julius Stwertka und dessen Frau – in das KZ Theresienstadt deportiert. Im Sommer 1944 spielte er noch bei einer Konzertaufführung im Lager mit, bevor er am 28. Oktober 1944 ins Vernichtungslager Auschwitz überstellt wurde. Vermutlich wurde Armin Tyroler nur zwei Tage später in der Gaskammer ermordet.

Bernadette Mayr- hofer, Fritz Trümpi:  Orchestrierte Vertreibung. Unerwünschte  Wiener Philharmoniker. Verfolgung, Ermordung und Exil. Mandelbaum Verlag 280 S., € 24,90
Bernadette Mayr-
hofer, Fritz Trümpi:
Orchestrierte Vertreibung. Unerwünschte
Wiener Philharmoniker. Verfolgung, Ermordung und Exil. Mandelbaum Verlag 280 S., € 24,90

„Als wir uns im Rahmen unseres Studiums zu Beginn der 2000er-Jahre unabhängig von ei­nander mit verschiedenen Aspekten der NS-Geschichte der Wiener Philharmoniker zu beschäftigen begannen, war eine Unterstützung durch das Orchester undenkbar“, erzählt Bernadette Mayrhofer, die gemeinsam mit ihrem Schweizer Kollegen Fritz Trümpi über das Schicksal der jüdischen Philharmoniker und die unrühmliche Geschichte des Orchesters in der NS-Zeit publiziert hat. Nur der Hartnäckigkeit der jungen Historikerin sowie der aktiven Unterstützung durch den früheren Operndirektor Ioan Holender und durch Universitätsprofessor Oliver Rathkolb ist es zu verdanken, dass diese umfassende Forschung betrieben werden konnte. Als Mayrhofer 2005 ihre Diplomarbeit einreichte, musste sie noch ohne Materialien aus dem historischen Archiv der Wiener Philharmoniker auskommen: „Die Zusammenarbeit verlief zunächst nicht reibungslos“, berichtet Mayr­hofer. „Erst durch die große mediale Aufmerksamkeit traten im Jänner 2013 die Wiener Philharmoniker mit der Bitte an uns heran, für ihre Website Beiträge zur Geschichte des Orchesters im Nationalsozialismus zu erarbeiten.“

Aus dem Philharmonischen Verband bzw. aus dem Orchester der Staatsoper wurden 1938 dreizehn aktive Musiker vertrieben. Drei weitere Philharmoniker, die bereits in der Pension waren, fielen dem Holocaust zum Opfer. Insgesamt sieben Philharmoniker konnten sich nicht mehr rechtzeitig ins Exil retten, fünf von ihnen – Moriz Glattauer, Viktor Robitsek, Max Starkmann, Julius Stwertka und Armin Tyroler – wurden deportiert und im KZ ermordet. Zwei weitere Philharmoniker starben unter dramatischen Umständen noch in Wien: Der Philharmoniker Anton Weiss erlag 1940 infolge der Delogierung aus seiner Wohnung einem Schlaganfall. Der Geiger Paul Fischer verstarb 1942 im jüdischen Krankenhaus in der Malzgasse, nach etlichen Torturen.

Neues Licht auf das Traditionsorchester

Neun Philharmoniker konnten sich noch rechtzeitig ins Exil retten. Die beiden Musiker Arnold Rosé und Friedrich Buxbaum flohen nach London. Sie waren bereits fortgeschrittenen Alters, und trotz guter Kontakte fiel es ihnen schwer, im britischen Musikleben Fuß zu fassen. Den Philharmonikern Hugo Burghauser, Daniel Falk, Josef Geringer, Berthold Salander, Ludwig Wittels, Leo­pold Föderl und Ricardo Odnoposoff gelang die Flucht in die USA. Die elf verbliebenen Orchestermitglieder, die mit Jüdinnen verheiratet waren oder als „Halbjuden“ stigmatisiert wurden, lebten unter der ständigen Bedrohung des Widerrufs dieser „Sondergenehmigung“.

„Die Zusammenarbeit verlief zunächst nicht reibungslos.“ Bernadette Mayrhofer

Das Buch beschäftigt sich auch mit dem Verhältnis der Wiener Philharmoniker zu  ihren ehemaligen vertriebenen Mitgliedern in der Nachkriegsgeschichte 1945-1959. Zahlreiche hier erstmals veröffentlichte Quellen werfen ein neues Licht auf das Traditionsorchester. Dass die geflohenen Philharmoniker, die später einen Anspruch auf finanzielle Unterstützung geltend machten, als „Erpresser“ diffamiert wurden und ihnen damit ein realer „Opferstatus“ implizit abgesprochen wurde, bedeutete eine über die Verfolgung im Nationalsozialismus hinausgehende weitere Demütigung.

„Um Künstler sein zu können, muss der Musiker von der Wirtschaftsnot frei sein. Dies sind die Ideale, die ich mein ganzes Leben lang verfolgte und vereint mit meinen Berufskollegen zu erreichen versuchte. Leider wurden diese Ideale nicht erreicht.“ Nur ein Versuch Armin Tyrolers, vor dem NS-Terror ins Exil zu fliehen, ist dokumentiert: Er bewarb sich um eine Orchesterposition in der Stockholmer Oper. Am 2. Mai 1941 jedoch wurde seine Anfrage vom schwedischen Direktor der Oper negativ beantwortet. ◗

„Meine Lage ist eine so furchtbare und Ihnen wohl bekannt, sehr geehrter Herr Direktor! Meine Situation ist gleich die meiner übrigen vier Kollegen und ihr Leid das meine. In dieser meiner Herzensbedrängnis erlaube ich mir, mich an Sie sehr geehrter Herr Direktor zu wenden […] Sie flehentlichst zu bitten, dass Sie Kraft Ihres Einflusses, mich von einer zwangsweisen Evakuierung zu verschonen.

Die Zeit drängt und die Gefahr für mich ist sehr groß. Haben Sie also die große Güte, sich meiner zu erbarmen und mir Ihre Hilfe nicht zu versagen.“

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