„Es hat alles eigentlich durch Zufall begonnen“

Bei einem Geburtstagsfest lernte die israelische Filmemacherin Inbar Horesh eine junge Russin kennen, die sich im Zuge einer „Birthright“-Reise dazu entschlossen hatte, nach Israel zu immigrieren. Ein Land, das ihr bis dahin nichts gesagt hatte und dessen Besuch ihre Identität für immer verändern sollte. Was daraus entstand, ist nicht nur eine Freundschaft, sondern auch ein beeindruckend dichter und international vielbeachteter Kurzfilm über eine ganze Bibliothek an großen Fragen.

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© Ilya Marcus/Courtesy Birth Right PR

Sie sind jung, sie sind enthusiastisch, und sie wissen eigentlich gar nicht, was das heißt: „Repatriierung“ nach Israel. Die jungen Erwachsenen aus Russland, die sich mit „Taglit – Birthright Israel“ auf einen zehntätigen Trip durch Israel begeben, um sich darüber klar zu werden, ob sie hierher „zurückkehren“ wollen, waren noch nie im Land ihrer „Väter“. Auf ihrer ungewöhnlichen „Homeland-Tour“, die mehr einer exotischen Safari als einer „Rückkehr“ gleicht, begegnen sie in einem „Beduinencamp für Touristen“ in der Negev-Wüste zwei Soldaten der israelischen Armee, die zu unterschiedlichen Zeitpunkten ihres Lebens ebenfalls aus Russland nach Israel zurückgekehrt sind. Einer von ihnen ist Shlomi, der charmante 21-jährige Usbeke, der mit 12 Jahren ins Land kam und nun am Golan stationiert ist. Shlomi genießt die kurze Pause, in der er den fast gleichaltrigen Tourist*innen „sein“ Land zeigen kann. Der andere, Ilya, ist stiller und wirkt weit unsicherer, wenn es darum geht, die Reisenden für den lebensentscheidenden Schritt zu begeistern – der Telefontechniker aus Rostov kam mit drei Jahren ins Land, und seine Geschichte über den harten Weg von einer Identität in eine andere ist nicht die des charmanten Draufgängers Shlomi. Als Natasha, eine der jungen Frauen aus der Reisegruppe, Ilya näherkommt, beginnen die ideologischen Gräben aufzureißen, die man so gerne nicht erwähnt hätte …
In ihrem knapp 25 Minuten langen Kurzspielfilm Birth Right erzählt die 33-jährige israelische Regisseurin Inbar Horesh eine Geschichte, die weit hineinführt in die „Komplexitäten des jüdischen Nationalismus“, wie es in einem Pressetext zum international vielbeachteten Streifen heißt, der bereits bei Festivals wie dem Carmel International Short Film Festival, dem Seret Berlin Film Festival, dem Jerusalem Film Festival, dem Montpellier International Festival of Mediterranean Cinema und dem Palm Springs ShortFest lief.

»[…] ich habe mich nie als Teil der ,israelischen Story‘ empfunden in dem Sinn, dass wir ,auserwählt‘ sind und doch Außenseiter *innen in dieser Welt.«
Inbar Horesh

Persönliche Begegnung mit Folgen. Horesh wurde 1988 in Israel geboren, wo sie auch aufwuchs. Sie studierte Arabisch an der Tel Aviv University sowie Film an der Minshar School of Art, wo sie 2014 abschloss. Mit ihrem ersten, noch während des Studiums entstandenen Kurzfilm The Visit, der in der offiziellen Auswahl von Cannes (Reihe Cinefondation) sowie an über 50 weiteren Festivals gezeigt wurde und für den renommierten Ophir Preis, den „israelischen Oscar“, nominiert war, erhielt die seit fünf Jahren selbst als Regie-Lehrende tätige Künstlerin bereits internationale Aufmerksamkeit. Ihre Dokumentation Crossing wurde 2015 in die DocAviv Selection aufgenommen und bei zahlreichen Festivals weltweit präsentiert. Noch im selben Jahr entstand der fünfminütige Kurzfilm Taxi, der 2015 beim Short Film Festival von Tel Aviv gezeigt wurde.
Mit Home Right, an dem Horesh über mehrere Jahre intensiv arbeitete, wagt sich die junge Regisseurin weit hinein in den oft schmerzlichen Fragenkomplex rund um Identität und Zugehörigkeit. Der Film ist dabei direkt von dessen Hauptdarstellerin, Nataliya Olshanskaya, inspiriert.
Die beiden Frauen hatten einander vorerst unabhängig vom Filmprojekt am Geburtstag der aus Russland kommenden Nataliya kennengelernt, und als Olshanskaya Horesh bei einer Flasche Wein an diesem Abend ihre Geschichte erzählte, war der Regisseurin klar: Das war der Stoff, an dem sie sich in den kommenden Jahren „abarbeiten“ würde – als Kurzfilm wie auch, aktuell, in dessen Weiterführung als Langfilm Zchut Mileda, dessen offizieller Start für 2022 geplant ist.

Nataliya Olshanskaya.
Die Hauptdarstellerin hat nach Drehende mit dem Schauspielstudium begonnen. © Ilya Marcus/Courtesy Birth Right PR

„Was mich als Israelin wirklich überrascht hat“, erzählt Horesh über ihre Hauptdarstellerin, „ist, dass sie sich gar nicht als ,jüdisch‘ definiert, sie ist nicht jüdisch aufgewachsen, und das Judentum spielte in ihrem Leben überhaupt keine Rolle – und dennoch ruft sie diese Agentur an, macht diese Reise mit – und ist hierhergekommen, um in Israel und mit den jüdischen Traditionen zu leben.“
Nataliya Olshanskaya war zum Zeitpunkt, als sie von Horesh angesprochen wurde, ihre Geschichte auch selbst im Film darzustellen, keine Schauspielerin. Umso schwieriger war die Entscheidung, die Rolle anzunehmen – doch der Erfolg blieb nicht ohne Folgen, und so hat die aus Russland kommende Israelin gleich nach Drehende mit dem Schauspielstudium begonnen.
Erst in der Auseinandersetzung mit Olshanskayas Immigrationsgeschichte lernte die israelische Filmemacherin die schwierigen und oft schmerzhaften Hintergründe kennen, die in vielen Fällen mit der Rückkehr in das ungekannte „Homeland“ Israel verbunden sind.
Horesh: „Für mich war das alles sehr überraschend, denn als Israelis haben wir ein Bild davon, was dieser jüdische Staat ist – und dann erfahre ich von diesen Reisen, die die Regierung organisiert und bei denen Nicht-Juden dazu animiert werden, hierher zu immigrieren – und mein erster Gedanke dabei war: Wenn Israel Menschen, die keine Juden sind, aus anderen Ländern die Staatsbürgerschaft anbietet, warum bietet das Land diese nicht auch Nicht-Juden an, die bereits hier leben?“

Sich in das Land verlieben. Horesh schrieb die erste Fassung für ihren Film gleich in der Nacht nach ihrer ersten Begegnung mit Olshanskaya. Es folgten zahlreiche genaue Recherchen über die Taglit-Reisen sowie Interviews mit jungen Menschen, die diese Reise ebenfalls angetreten hatten oder aktuell dafür vorgesehen waren.
Ein wesentlicher Aspekt der Taglit-Reisen sei, erzählt Horesh über einen weiteren Aspekt von Birth Right, sich in das Land und seine Menschen „zu verlieben“, ganz egal, ob diese selbst hier geboren wurden oder eine ähnliche „Rückkehr“-Geschichte mit sich tragen, wie die im Film gezeigten Soldaten. „Ich war überrascht zu erfahren, dass ein wesentlicher Grund für viele Menschen, diese Reisen zu buchen, ist, dass sie mit dem Mythos verbunden sind, dass man hier sexuelle Erfahrungen machen kann“, beschreibt Horesh eine ihrer Rechercheerfahrungen. „Das ist tatsächlich ein wesentlicher Aspekt dieser Reisen – und er steht quasi ganz offiziell auf dem Programm.“
Dabei geht es der Regisseurin nicht um eine Kritik an den Reisen selbst. Ihr Hauptinteresse ist, so Horesh, anhand der Geschichten über Menschen, die sich im Zuge dieser Reise aufmachen, um ihre Identität oft auf radikale Weise zu verändern, zu untersuchen, wie die israelische Gesellschaft selbst ihre Identität definiert: „Was heißt es, Israeli*n zu sein?“

Stoff für mehr als einen Film. Es wäre Stoff für mehrere Langfilme, verrät Horesh, die zurzeit daran ist, aus dem Plot noch einen Langfilm weiterzuentwickeln. Material hat sie dafür genug gesammelt. „Der Stoff hat mich einfach ,erwischt‘, verrät sie. „Und die Geschichte berührt mich auch ganz persönlich, denn auch ich habe mich nie als Teil der ,israelischen Story‘ empfunden in dem Sinn, dass wir ,auserwählt‘ sind und doch ,Außenseiter*innen‘ in dieser Welt – doch gerade das ist das Paradox unserer Nationalgeschichte.“

Inbar Horesh:
„Der Stoff hat mich einfach ,erwischt‘.“ © Inbar Horesh

Diese „Nationalgeschichte“ ist es letztlich, die Horesh mit am meisten dazu bewegt hat, an dem Kurzfilm zu arbeiten und nun den Langfilm daraus weiterzuentwickeln. Eine Nationalgeschichte, die eben immer auch eine sehr persönliche Geschichte ist und bleibt. „Ich lebe in Israel, ich bin in Israel aufgewachsen, ich befasse mich mit israelischen Themen – mehr als mit jüdischen Themen auf einer globalen Ebene. Für mich ist der Hauptaspekt des Filmes, Menschen in Israel dabei zu helfen zu verstehen, dass diese Definitionen, wer jüdisch ist und wer nicht und wem es erlaubt ist, Teil dieses jüdischen Staates zu sein, um wem nicht, nicht „g-ttgegeben“ sind, sondern menschengemacht.“
Das „Schicksal“ von Home Right ist das tausender anderer Filme der letzten Monate: Sie konnten in fast allen Fällen nur auf „virtuellen Festivals“ präsentiert werden. Es ist zu hoffen, dass der nur nach Minuten „kleine“ Film auch nach diesem Festival-Reigen sichtbar bleiben wird. Eine „Live-Präsentation“ in Wien steht jedenfalls noch aus. Vielleicht klappt das ja noch in „Nachcoronazeiten“.

1 KOMMENTAR

  1. Mit der „Identität“ ist es so ein Problem, vor allem, wenn eine Gesellschaft wie etwa die israelische selbst ihre Identität definieren soll: „Was heißt es, Israeli*n zu sein?“. Identität ist eine höchst individuelle Kategorie und als solche wiederum nicht eindimensional, sondern sie setzt sich zusammen aus einer Fülle von Identitätsmerkmalen unterschiedlichster Prägung. Darauf hat schon der indische Nobelpreisträger Amartya Sen in seinem Buch „Die Identitätsfalle“ hingewiesen. Menschen auf ein einziges derartiges Merkmal zu „miniaturisieren“ (wie Sen sagt) und sie damit in eine Schublade zu stecken, bedeutet, das Geschäft der Fundamentalisten zu betreiben. Das gilt noch viel mehr für eine ganze Gesellschaft.

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